In großen Forschungsnetzwerken geht der lokale Bezug oft unter. Anstatt von einem universellen Standard für Industrienationen auszugehen, arbeitet COVIDSurg auf internationaler Ebene mit vielen Ärztinnen und Ärzten sowie Vertreterinnen und Vertretern aus verschiedenen Entwicklungsländern zusammen. Eine solche Vertreterin ist Oumaima Outani, die sich bereits sehr früh in Ihrer Karriere aktiv für mehr Sichtbarkeit und bessere medizinische Standards in Afrika eingesetzt hat. Im Interview ermutigt sie junge Menschen, ihren eigenen Weg zu gehen und ihr eigenes Glück zu schaffen.
Interview von Sarah Polzer
Frau Outani, noch sind Sie Studentin, trotzdem haben Sie schon an vielen medizinischen Projekten mitgearbeitet. Was waren Ihre ersten Projekte?
Das allererste Projekt, an dem ich beteiligt gewesen bin, war eine Querschnittsstudie. Darin untersuchten wir die Sicht der marokkanischen Bevölkerung auf das Thema Organspende. Später erfuhr ich von Forschungsprojekten in Netzwerken, die auch für Medizinstudenten offenstanden. Die Idee dahinter hörte sich für mich durchaus machbar an. Mein erstes Projekt dieser Art war eine Studie mit dem Titel GlobalSurg four. Meine Teilnahme an diesem Projekt gab mir genügend Selbstvertrauen, um mich auch an andere Dinge heranzuwagen. So präsentierte ich meine ersten klinischen Fallberichte auf Konferenzen, wie der Middle East Spinal Cord Injury Conference und auf einer der Konferenzen der World Federation of Neurosurgeons.
Wann sind Sie dem GlobalSurg-Netzwerk beigetreten und was hat Sie dazu bewogen bei COVIDSurg aktiv zu werden?
Als die Pandemie ausbrach, wurden meine Studienkollegen und ich aufgefordert, das Krankenhaus zu verlassen und unsere klinische Ausbildung wurde ausgesetzt. Das hinterließ bei mir ein Gefühl der Hilflosigkeit. Ich konnte nicht einfach nur zuschauen und das nur so hinnehmen. Deshalb entschied ich mich dazu, mich COVIDSurg anzuschließen und die nationale Leitung für Marokko zu übernehmen. Das war der Beitrag, den ich leisten wollte und alles, was ich zu diesem Zeitpunkt tun konnte. Nachdem ich zunächst im entsprechenden Öffentlichkeitsarbeitskomitee mithalf, die Studien bekannt zu machen, bin ich später auch Teil des Teams geworden, das die Dateneingabe für die COVIDSurg Studien in der ganzen Welt unterstützt und die Datenintegrität sicherstellt. So fand ich auch den Weg in das wissenschaftliche Team, das gemeinsam die Fachartikel verfasst. Die COVIDSurg-Projekte prägen die Leitlinien für die chirurgische Versorgung während der Pandemie. Ich fühle mich daher sehr geehrt, dass ich dabei sein durfte und direkt miterleben konnte, wie viele neue Projekte Gestalt annahmen und sich entwickelten. Auch wenn ich nicht an vorderster Front in der Krankenversorgung meinen Beitrag leisten konnte, so war doch die Forschungsarbeit und die Möglichkeit marokkanischen Krankenhäusern zu helfen an dieser großen Studie teilzunehmen, meine Art, die weltweiten Bestrebungen gegen die Pandemie zu unterstützen.
Welche persönlichen Erkenntnisse ziehen Sie aus der Arbeit mit COVIDSurg?
Ich glaube, dass ein großer Teil der Forschung momentan strukturell sehr ähnlich verläuft wie bei COVIDSurg. Viele Menschen werden gebraucht, verschiedene Krankenhäuser und eine große Anzahl an Ländern, die sich beteiligen. Nur so ist es möglich den Datensatz so zu vergrößern, dass wir zuverlässige, verlässliche Resultate erhalten. Die internationale Zusammenarbeit im COVIDSurg-Netzwerk macht die Arbeit im Team für mich noch viel wertvoller. Die Beteiligung von Entwicklungsländern an diesem Verbund gibt uns die Möglichkeit mehr unserer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Ärztinnen und Ärzten in Afrika eine Plattform zu bieten, damit die klinischen Empfehlungen von COVIDSurg die lokalen Besonderheiten beachten und so bei unseren Patienten und in unseren Krankenhäusern auch ankommen.
Gibt es neben COVIDSurg noch andere Projekte, die Ihnen besonders am Herzen liegen?
Mein erstes Buchkapitel in der Neurochirurgie, das ich als verantwortliche Hauptautorin verfasst habe. Das Buch ist noch nicht online, aber dieses Projekt liegt mir sehr am Herzen, da ich zum ersten Mal ein Team selbst geleitet und ein Projekt von A bis Z betreut habe.
Sie arbeiten viel auf internationaler Ebene. Worum geht es bei den Kollaborationen?
Vor Kurzem erhielt ich eine Einladung, mich einer Gruppe von angehenden Ärztinnen und Ärzten sowie Medizinstudentinnen und -studenten aus Entwicklungsländern anzuschließen. Ein beeindruckender Nachwuchsforscher aus Afghanistan leitet die Forschungsgruppe. Meine meisten Projekte für Publikationen befassen sich mit globalen Herausforderungen für die Gesundheitsversorgung aus der Perspektive einer jungen Generation. Ich hatte die Ehre, von Oktober 2017 bis Oktober 2019 den Vorsitz eines Forschungsverbunds an meiner medizinischen Fakultät übernehmen zu dürfen. Während meiner Amtszeit habe ich es mit meinem wunderbaren Team geschafft, vier Forschungsseminare zu veranstalten. Darunter einen Workshop zur Durchführung von Metaanalysen für Fortgeschrittene. Einige Professoren der McGill Universität in Kanada haben ihn gemeinsam mit uns organisiert. Mit der Unterstützung der norwegischen Botschaft gelang es uns auch, die zweite Ausgabe der TedMed online Konferenz sowie weitere zukunftsweisende Konferenzen auf die Beine zu stellen. An einer dieser Veranstaltungen nahm sogar ein Jurymitglied des Nobelpreiskomitees des Karolinska-Instituts teil.
Durch Ihre internationale Zusammenarbeit sind Sie schon viel gereist. Was hat Sie am meisten überrascht?
Ich war überrascht, wie sehr ich mich nach jeder Reise selbst verändert habe und als Persönlichkeit gewachsen bin. Auf Reisen in neue Länder, vor allem mit Menschen, die ich vorher nicht kannte, habe ich gleichzeitig viel über mich selbst gelernt. Mit den richtigen Absichten und dem nötigen Engagement seine Ziele zu erreichen, gelingt es von jeder Reise besser, stärker, interessanter und neugieriger zurückzukehren.
Sie stehen kurz vor dem Ende Ihres Studiums. Welcher Bereich begeistert Sie am meisten und was fasziniert Sie daran?
Seit Beginn meines Medizinstudiums fiel es mir schwer, mich nur für ein einziges Teilgebiet in der Medizin zu entscheiden. Ich liebe die sofort sichtbaren Effekte in der Chirurgie, den ganzheitlichen Ansatz in der Allgemeinmedizin, die schnellen diagnostischen Fähigkeiten der Intensivmediziner, das Privileg der Onkologen, ihre todkranken Patienten zu begleiten und ihnen zu helfen, diese Phase ihres Lebens zu meistern. Die Augenheilkunde, mit allen ihren Bereichen, habe ich erst sehr spät in meinem Medizinstudium entdeckt. Die Art und Weise, wie diese Disziplin das Leben von Menschen drastisch verändern kann, hat mich fasziniert. Ich finde eigentlich in allem, was ich studiere, etwas Faszinierendes. Diese Faszination spornt mich an, immer mehr Neues dazulernen zu wollen, aber es macht mir gleichzeitig auch die Entscheidung schwerer. Mir bleiben auch nur noch ein paar Monate Zeit, bis ich mich entschieden haben muss.
Wie gehen Sie mit dem Dilemma sich entscheiden zu müssen um und welchen Rat haben Sie für andere Studierende, die sich in einer ähnlichen Situation befinden?
Oh, ich denke, es ist wichtig, darüber zu sprechen! Viele Studenten befinden sich in der gleichen Situation. Sie flippen völlig aus, wenn sie auf ihre Studienkollegen treffen, solche „die schon immer wussten, was sie Mal machen wollten“. Ich wurde tatsächlich oft dafür kritisiert, dass ich mich nicht früher entschieden habe. Auch, weil ich mich nicht nur auf einen Bereich konzentriert habe und mich nicht auf ein bestimmtes Fachgebiet festlegte, nachdem ich meinen Lebenslauf ausgerichtet habe. Momentan bin ich noch Medizinstudentin im sechsten Ausbildungsjahr, was bedeutet, dass mir noch etwas Zeit bleibt, um mich zu entscheiden. Unterschiedliche Interessen zu haben und sich in verschiedenen Fachrichtungen auszuprobieren, ist, finde ich zumindest, völlig normal und verständlich. Nimm dir selbst, die Zeit, die du brauchst.
Viele Menschen träumen davon, das zu erreichen was Sie bereits in jungen Jahren erreicht haben - ein globales Netzwerk aufzubauen. Welchen Rat möchten Sie der jungen Generation mit auf den Weg geben?
Mein Rat an meine Generation und die Jüngeren lautet, sich das Glück selbst aufzubauen. Manche nennen es vielleicht "Dinge erzwingen". Ich aber nenne es "einen Glücksfall". Arbeite hart, verbreite die Ergebnisse deiner Arbeit, teile deine Meilensteine mit anderen und nutze jede Gelegenheit, die sich dir bietet, um dich zu vernetzen. Dadurch, dass du deine Ergebnisse mit anderen teilst, erhöht sich die Sichtbarkeit deiner Forschung und die Wahrscheinlichkeit von Kollegen wahrgenommen zu werden. Erstelle dir ein Konto auf Twitter, LinkedIn, ResearchGate oder sogar auf Instagram! Man weiß nie, wo sich ein Mentor findet. Sei immer aufgeschlossen. Kollaborationspartner oder Mentoren müssen nicht unbedingt von der eigenen Universität oder sogar aus dem gleichen Land stammen. Teile deine Erfolge mit anderen und denke daran, dass es nicht darum geht, zu prahlen, sondern lediglich darum, für sich selbst einzustehen. Du selbst bist das beste Aushängeschild für deine Arbeit.
Sehen Sie sich selbst als Vorbild?
Das müssen andere entscheiden. Letztlich sind es immer die anderen, die sich aussuchen, zu wem sie aufschauen wollen. Ich hoffe allerdings, dass ich andere Menschen dazu ermutige, das Beste aus sich herauszuholen und sich zu trauen, ihre Träumen zu verfolgen.
Auf welchen Kanälen kann ich Sie finden, wenn ich Ihre weitere Karriere verfolgen möchte?
Man findet mich unter @oumaima.outani auf fast allen Social-Media-Plattformen, wobei mir Twitter am meisten am Herzen liegt; kurz und bündig und außerdem ist #MedTwitter ist ein großartiger Ort zum Netzwerken.
Welche Erfahrungen haben Sie im Internet gemacht? Stoßen Sie dabei immer auf Zustimmung?
Meine Erfahrungen waren nicht nur durchweg positiv. Ich habe einiges an Cyber-Mobbing erlebt, von Leuten, die ich kenne, aber auch von Fremden. Trotzdem überwiegen für mich bisher die guten Erfahrungen. 90 Prozent der Möglichkeiten, die sich mir in der Forschung aber auch außerhalb davon geboten haben, wurden für mich erst über die sozialen Medien zugänglich.
Wo wir gerade bei positiven und negativen Aspekten sind: Wie würden Sie die Pandemie zusammenfassen: Gab es auch Momente, denen Sie etwas Positives abgewinnen konnten?
Es ist schwer, etwas wirklich Positives darüber zu finden, wenn eine Pandemie über vier Millionen Menschen das Leben gekostet hat und so die Welt destabilisiert. Das erinnert uns daran, wie wichtig es ist, an einem Strang zu ziehen und die Unterschiede zwischen uns hintenanzustellen, um zu überleben. Die Pandemie hat das Beste in so vielen Menschen zum Vorschein gebracht. Das haben wir an den Initiativen gesehen, die auf der ganzen Welt von Menschen ergriffen wurden, um diejenigen zu unterstützen, die an vorderster Front der Pandemie arbeiten. Das zeigt sich auch daran, dass dort viele ihr eigenes Leben riskieren, um anderen zu helfen. Gesellschaften reagierten, um ihre ältesten und schwächsten Mitglieder zu schützen. Bei mir hat es einen großen Eindruck hinterlassen, dies alles mitzuerleben und daran beteiligt gewesen zu sein.