Fotografische Praktiken übersetzen hochkulturelle Kunstangebote in populärkulturelle Inhalte. Durch sie wird eine dezidierte Nähe zum Alltäglichen praktiziert, bestehende Grenzen zwischen musealen Räumen und persönlichen Lebenswirklichkeiten verschwimmen und neue, persönlich relevante Zugänge zu Kunst konkretisieren sich. Soziale Medien und digitale Bildtechnologien eröffnen neue gestalterische Spielräume. Selbstrepräsentative Fotografie, modische Inszenierungen, digitale Filter, die den Kontrast fotografischer Abbildungen erhöhen oder verringern, die Farben intensivieren oder in Schwarz-Weiß-Szenerien umwandeln, digitale Bildarrangements und visuelle Neuinterpretationen künstlerischer Erzeugnisse verlangen von den Akteur*innen dabei weder die Mobilisierung neuer Wissensbestände noch das mühsame Erwerben neuer Handlungskompetenzen. Sie entsprechen einem Modus der Alltagserfahrung, sind für viele Museumsbesucher*innen bereits zur Gewohnheit geworden, lassen „auf angenehme und entlastende Weise Vertrautheit und routinierte Kompetenz erfahren“[1]und können damit Verunsicherungen und Irritationen reduzieren oder überschreiben. Die Fähigkeit, Kunst zu deuten und Kunst als bedeutungsvoll zu erfahren, die Kompetenz, sich kreativ und aktiv mit den aufgestellten Kunstangeboten auseinanderzusetzen und Verbindungen quer zu anderen Lebens- und Erfahrungsbereichen zu knüpfen, realisiert sich in den medienpraktischen Routinen der Akteur*innen. Durch fotografische und bildkuratorische Praktiken werden alltägliche und museale Kontexte miteinander verknüpft, hochkulturelle Kunstangebote werden in populärkulturelle Zusammenhänge übertragen und die Notwendigkeit kunsthistorischen Wissens wird durch die Möglichkeit eines sinnlichen Verstehens substituiert. Den teilweise exkludierenden Strukturen und etablierten Distinktionsmechanismen musealer Institutionen, die sich auf der Distanz zum Alltäglichen formieren, kann damit effektiv entgegengewirkt werden. Diese Inklusionskapazitäten sozialer Medien und digitaler Fotografie wird das Projekt Blickwinkel gezielt nutzen, um für die Schülerinnen und Schüler pädagogischer Förderzentren barrierearme Zugänge zu musealen Kunstangeboten zu schaffen.
[1] Kaspar Maase, Schönes alltäglich erleben: Über die Ästhetisierung der Kultur, 1. Aufl., Bd. 265, Edition Kulturwissenschaft (Bielefeld, Germany: transcript Verlag, 2022), S. 81.