Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft

Szenographische Museumsausstellungen – Geschichte, (Vor)Urteile, Potenziale

Gefördert durch Deutsche Forschungsgemeinschaft
Leitung

Prof. Dr. Thomas Thiemeyer

Wissenschaftlicher Mitarbeiter

Alexander Renz, M.A.

Laufzeit 07/2016 - 03/2020

Das Museum des 21. Jahrhunderts befindet sich in einer Identitätskrise: Knappe Budgets und Quotendruck sowie die Konkurrenz durch Fernsehen, Internet und multimediale Spektakel in Science Centern oder Vergnügungsparks führen dazu, dass viele Museen sich neu als öffentliche Räume definieren und alternative Ausstellungsansätze ausprobieren, um weiterhin gesellschaftliche Relevanz zu besitzen. Es stellt sich die Frage, welche Rolle die alte europäische Kulturinstitution Museum in ihrer traditionellen Form im 21. Jahrhundert noch spielen kann, und wie wir unser Verständnis vom Museum verändern müssen, um ihm auch in Zukunft gerecht zu werden.
Hier setzt das Projekt Szenographische Museumsausstellungen – Geschichte, (Vor)Urteile, Potenziale an. Es will mit den multimedial-szenographischen Schauen einen sehr prominenten neuen Ansatz genauer in den Blick nehmen und wissen, was die Verschiebung von den echten Dingen zu multimedialen Erlebniswelten für die Institution Museum bedeutet.

Welche Chancen und Risiken besitzt die neue multimediale Ausstellungskultur, die Genregrenzen sprengt und sich an der Dramaturgie des Films und des Theaters orientiert? Sie baut historisch wichtige Orte als Bühnenbilder nach und/oder dynamisiert die einst statische Ausstellung durch schnelle Bildfolgen, AV-Medien, offenen Sound und interaktive Offerten. Kurzum, sie erzeugt immersive Räume, die den Besucher in das Geschehen hineinziehen sollen, um emotionale Nähe zu erzeugen. Diese Ausstellungsräume sind nicht länger exklusiv für die Objekte der Sammlung reserviert, sondern vermengen unterschiedliche Medien, Dinge und Gestaltungselemente zu einem Gesamtkunstwerk mit hohem Erlebnisgehalt. Diese szenographische Ausstellungen haben Vorläufer im 19. und 20. Jahrhundert.
Das Projekt Szenographische MuseumsausstellungenGeschichte, (Vor)Urteile, Potenziale will mit historischer und gegenwartsorientierter Museumsanalyse das Potenzial dieses Ansatzes ausloten und die Diskussionen untersuchen, die er in der (Fach-)Öffentlichkeit auslöst. Zugrunde liegt dem die These, dass sich (nur?) hierzulande ein bildungsbürgerlicher Affekt gegen multimedial-szenographische Ausstellungen innerhalb der Museen und in der Kulturkritik hartnäckig hält, der massenkompatible Unterhaltung gegen Qualität ausspielt. Dieses unterschwellige Unbehagen ist hierzulande verbreitet, ohne dass bislang empirisch belastbare Daten vorliegen, die es fundieren oder relativieren könnten. Diese empirische Fundierung möchte das Projekt beginnen. Dabei konzentriert es seine Analyse auf (kultur)historische Museen.
Generell soll das Projekt Szenographische Museumsausstellungen Grundlagenforschung leisten. Es will am Beispiel des Museums exemplarisch herausfinden, wie sich unser Verständnis von legitimer Kultur und legitimen Formen der Kulturvermittlung entwickelt und verändert hat. Das Museum als klassische Institution der Hochkultur, die insbesondere seit den 1970er Jahren zunehmend populäre Angebote aufnimmt, eignet sich als Exempel für diesen Aushandlungsprozess zwischen Bildung/Kultur auf der einen Seite und Unterhaltung/Vergnügen auf der anderen Seite besonders.

Projektarchitektur
Das Projekt Szenographische Museumsausstellungen will systematisch Aneignungspraktiken der Besucher in multimedial-szenographischen historischen Ausstellungen analysieren und die Argumente der Gegner und Befürworter zusammentragen sowie sich mit den historischen Wurzeln unseres Verständnisses von legitimen und illegitimen Ausstellungsformen (abhängig etwa von Alter, Nationalität, Milieu oder Fachkontext) auseinandersetzen. Entsprechend dieses einerseits gegenwartsorientierten und andererseits historisch ausgerichteten Erkenntnisinteresses ist das Projekt in zwei Teile untergliedert:
Teilprojekt 1 Szenographische Museumsausstellungen heute soll am Beispiel von 3 szenographischen Ausstellungen der Gegenwart in verschiedenen Ländern nachzeichnen, wie sich 1. das Publikum in ihnen verhält und wie 2. über diese Schauen diskutiert wurde. Die Leitfrage lautet: Wie werden szenografische Ausstellungen von Museumsmachern, Museumskritik und Publikum heute beurteilt? Wie eignen sich Besucher diese Ausstellungen tatsächlich an?
Teilprojekt 2 Szenographische Museumsausstellungen historisch will die aktuelle Forschung historisch fundieren, soll ergründen, welche geistigen Grundlagen im 19. Jahrhundert gelegt wurden, die unser Verständnis von legitimen Ausstellungsansätzen bis heute prägen und wie sich diese Ansichten im 20. Jahrhundert verändert haben. Es will zudem wissen, was neu an den heutigen Formaten ist und was nur unter neuen Vorzeichen zurückkehrt. Denn die Intention, Geschichte möglichst lebendig und hautnah zu vermitteln, gab es schon im 19. Jahrhundert in Form von „Epochenräumen“, die historische Epochen mithilfe unterschiedlicher Objekte, zeittypischer Möblierung und Architektur wiederbeleben wollten.

Literatur
Thomas Thiemeyer: Inszenierung, in: Ders./Heike Gfrereis/Bernhard Tschofen (Hg.): Museen verstehen. Begriffe der Theorie und Praxis, Göttingen 2015, S. 45-62.