Seminar für Allgemeine Rhetorik

Die Rede des Jahres 2006

Papst Benedikt XVI: Vorlesung an der Universität Regensburg

Die Regensburger Vorlesung des Papstes vom 12. September 2006 ist vom Seminar für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen zur Rede des Jahres 2006 gewählt worden. Damit würdigt das Seminar für Allgemeine Rhetorik eine Rede, die ein ungewohntes Maß an weltweiter Aufmerksamkeit errungen hat und jenseits tagespolitischer Meinungen und Rücksichten eine Antwort auf Frage nach dem richtigen Umgang mit religiösen Fundamentalismen formuliert.

Das Thema dieser gezielt mißverstandenen Rede ist das Verhältnis von Vernunft und Glauben im Christentum und die Bekräftigung christlicher Überzeugung, daß vernünftig zu handeln dem Wesen Gottes entspricht. Der Redner betont diese Errungenschaft als eine Erbschaft griechischen Denkens, das die christliche Religion in ihrer langen Geschichte bis zu ihrer heutigen humanen Kenntlichkeit verändert hat.

Im Zeitalter religiöser Fundamentalismen in vielen Ausprägungen und neuer Glaubenskämpfe, aber auch eines esoterisch-irrationalistischen Religionsverständnisses, dem oft ein flacher Aufkläricht (Lessing) entspricht, bedeutet die Rede des Papstes eine höchst engagierte, argumentativ präzise und historisch gesättigte Ortsbestimmung christlichen Glaubens aus griechischem Geist. Nur modellhaft zitiert der Redner den Dialog zwischen dem byzantinischen Kaiser Manuel II. und einem gelehrten Perser vom Ende des 14. Jahrhunderts. Dieser Dialog illustriert lebendig den humanisierenden Einfluß des griechischen Logos auf den christlichen Glauben und das Unverständnis, das ihm der Islam entgegenbringen mußte. Daß einige aus dem Zusammenhang gerissene Sätze aus diesem exemplarisch zu verstehenden Dialog solches Aufsehen erregen konnten, belegt mehr als 500 Jahre später seine ungebrochene Aktualität.

Die Rede ist in ihrer vielstimmigen und doch geradlinigen Komposition meisterhaft gebaut. Der Papst bringt sowohl seine eigene Biographie ins Spiel wie seine kritische Vernunft und religiöse Überzeugung. Er beeindruckt durch einen ungewohnt persönlichen und zugleich reflektierten Redegestus, der darauf aus ist, andere mit Mitteln der Vernunft zu überzeugen. Ausgehend von den eigenen akademischen Anfängen, fragt der Redner nach der Berechtigung der Theologie im Kreise der anderen Universitätswissenschaften, um schließlich in dieser Plazierung das Ergebnis einer zweitausendjährigen wechselvollen Geschichte der Hellenisierung des Christentums zu erkennen. Das geschieht in einer für die akademische Redegattung Vorlesung vorbildlichen gedanklich konzentrierten, dabei immer historisch anschaulichen und argumentativ überzeugenden Weise, in der sich eben jene Fähigkeit zur guten Rede und ein rechtes Denken äußert, die einst Kaiser Manuel schon von einem Gläubigen erwartete. Dabei zeigt sich der Papst auch darin griechischem Denken mit seiner Kraftquelle, der agonalen Streitkultur, verpflichtet, daß er seine Thesen mutig und entschieden, also ohne die oft als Dialog getarnte Bereitschaft zu Beschwichtigung und Anpassung vorträgt.

Jury: Prof. Dr. Gert Ueding, Prof. Dr. Joachim Knape, Boris Kositzke, Olaf Kramer und Peter Weit.

Sprecher der Jury: Olaf Kramer

Text der Rede   Video der Rede