Forschungsprojekt zu Schellings Spätphilosophie

Prof. Dr. Friedrich Hermanni, Eberhard-Karls-Universität Tübingen, Prof. Dr. Thomas Buchheim, LMU München


Schellings späteste Vorlesungen zur Philosophie der Mythologie und Offenbarung sowie die zugehörigen Einleitungen und die begleitenden Vorträge und Entwürfe bilden einen philosophischen Brocken von größtem gedanklichen Gewicht. Sie besitzen eine systematische Ausstrahlung, die bis in unsere Gegenwart reicht.
Die Erforschung dieses 'Brockens' klassischer deutscher Philosophie, dessen ganzes Potential für die weltweit geführten philosophischen und theologischen Debatten noch weithin unerschlossen ist, steckt seit Jahrzehnten in einer Sackgasse, weil gerade an den besonders sensiblen Angelpunkten der Argumentation keine in ihrer Zuverlässigkeit und Buchstabentreue genügend belastbaren Texte vorhanden sind. Die Ausgabe des späten Systems durch Schellings Sohn bedarf einer gründlichen Revision und durchgängigen Neubewertung unter Hinzuziehung sämtlicher vorhandener Quellen, insbesondere (aber nicht nur) des gesamten einschlägigen Materials aus dem Berliner Nachlass.


Erst nachdem eine Sichtung dieses Nachlasses erfolgt ist und seine einzelnen Elemente auf das vorhandene Konvolut von Vorlesungen bezogen und dafür ausgewertet sind, wird die philosophische und theologische Schelling-Forschung wirklich neue und verlässliche Fortschritte erzielen können.
Wir haben uns vorgenommen, in dieser Perspektive ein längerfristig angelegtes, gemeinsames Forschungsprojekt in Angriff zu nehmen, das in Zusammenarbeit mit und aufbauend auf die bevorstehende systematische Sichtung und Digitalisierung des Berliner Nachlasses teils editorisch-kritische Ziele in Bezug auf den vorhandenen Textbestand und teils philosophisch-theologische Absichten mit Blick auf das späteste System Schellings und auf die Sachfragen verfolgt.



Wissenschaftliche Teilaufgaben in Verbindung mit dem vorgenommen Projekt sind bspw.:


(A) Auf primär textkritischem und editorischem Feld:

  1. Sichtung und Beziehung allen noch verfügbaren Hintergrundmaterials auf die Textgestalt der einzelnen Vorlesungen.
  2. Darauf aufbauend die explizite kritisch-philologische Bewertung der einzelnen Vorlesungen und ihrer besonders sensiblen Angelpunkte.
  3. Vergleich und Sammlung der Abweichungen der spätesten Fassung der Philosophie der Mythologie und Offenbarung von der sog. 'Urfassung' aus der Münchner Zeit.
  4. Historische Rekonstruktion des Systemplans in seiner spätesten Gestalt und die zu ihm führende Entwicklungsgeschichte.


(B) Auf primär philosophischem und theologischem Feld:

  1. Philosophische Explikation der neuartigen, von Schelling entwickelten Systemstruktur des gesamten Denk- und Vernunftraumes, insbesondere der dabei fälligen methodischen Trennung der positiven von negativer Philosophie.
  2. Analyse der Figur eines umfassenden positiven "Erweises" anstelle dessen, was in der vorkantischen Tradition die Funktion der Gottesbeweise war.
  3. Darlegung der Spezifika von Schellings Umgang mit der Vielheit von Mythologien und Religionen.
  4. Rekonstruktion der Eigentümlichkeit und der Begründung des von Schelling behaupteten 'Zwangscharakters' des mythologisch-religiösen Bewusstseins sowie des Konzepts der 'Philosophischen Religion' als Befreiung von diesem 'Zwangscharakter'.