Kath. Institut für berufsorientierte Religionspädagogik

Spirituelle Selbstkompetenz im Bildungssystem (SSK)

Das Projekt Spirituelle Selbstkompetenz im Bildungssystem (SSK) will den möglichen Zusammenhang zwischen den Selbstwirksamkeitserwartungen von Religionslehrern und Religionslehrerinnen und ihrer Spiritualität erhellen. Dazu wurde von November 2012 bis Juli 2013 ein Lehrgang in drei Modulen durchgeführt und wissenschaftlich begleitet. Die empirisch gewonnenen Daten sind nun ausgewertet und im Verlag Waxmann unter dem Titel Spirituelle Selbstkompetenz erschienen.

Hintergrund und Forschungsfragen

Spiritualität ist in vielfacher Hinsicht zu einem hoch relevanten Thema im Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen geworden. Die Situation dieses Unterrichts ist geprägt von einer hohen religiösen Heterogenität der Schüler und Schülerinnen, wobei die jeweilige konfessionelle Prägung sehr unterschiedlich ist und die Herausforderungen des interreligiösen Dialogs die konfessionelle Identitätsbildung durchdringen. Religionsdidaktisch ist ein Religionslehrer vor die Herausforderung gestellt, die verschiedenen Religionen und Religiositäten zu integrieren und gleichzeitig den Religionsunterricht zu profilieren. Seine Authentizität ist dadurch angefragt, sein Selbst steht in der Spannung von Fremd- und Selbstzuschreibung.

Damit rückt die Lehrperson in den Fokus. In der empirischen Forschung zum Religionsunterricht zeigte sich, dass deren Authentizität entscheidendes Kriterium für guten Religionsunterricht ist. Schülerinnen und Schüler lernen besonders gut von und mit Lehrkräften, die ihr Fach passioniert und inspiriert vertreten.

Daher wurden folgende Fragen gestellt:

  1. Gibt es einen Zusammenhang von Selbstwirksamkeit und Spiritualität?
  2. Welche Wirkungen des Lehrgangs lassen sich beschreiben?
  3. Was verstehen Kolleginnen und Kollegen unter Spiritualität? Wie ist dieser Begriff inhaltlich gefüllt?
  4. Welche religionsdidaktischen Möglichkeiten ergeben sich daraus für die Schulpraxis in Unterricht und Berufsalltag?

Vorgehen

Teil des Projekts war ein bundesweiter Lehrgang für Religionslehrerinnen und Religonslehrer an beruflichen Schulen, welcher der Ausbildung und Stärkung spiritueller Selbstkompetenz diente. In den drei Modulen "Hinführung zur Kontemplation als spiritueller Übungsweg", "Spiritualität ins Gespräch bringen" und "Spiritualität in meinem Beruf - Entwicklung und Einübung von Handlungsstrategien" wurden spirituelle Übungswege erprobt, spirituelle Haltungen reflektiert und nach Transfermöglichkeiten in den Berufsalltag gesucht.

Die Teilnehmer wurden über einen Zeitraum von etwa 1,5 Jahren empirisch begleitet. Dabei ging es vor allem darum, den möglichen Zusammenhang zwischen Selbstwirksamkeit und Spiritualität von ReligionslehrerInnen zu erhellen.

Neben einer Eingangs- (t0) und einer Endbefragung (t4) per Fragebogen und der teilnehmenden Beobachtung während der Kurse, erfolgte die Erhebung der Daten zu den verschiedenen Zeitpunkten t1, t2 und t3 mittels leitfadengestützter Interviews, sowohl mit TeilnehmerInnen der Kursgruppen als auch der beiden Begleitgruppen ("Spirituelle"/ "Nicht-Spirituelle").

Ergebnisse im Überblick

Ziel der Studie war es, empirisch zu erheben, inwiefern individuelle Spiritualität Einfluss auf Selbstwirksamkeitserwartungen und Distanzierungsfähigkeit von Religionslehrerinnen und -lehrern an berufsbildenden Schulen hat bzw. haben kann.

Lehrerinnen und Lehrer

Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die wesentlichen Grundlagen für eine spirituelle Entwicklung in der religiösen Erziehung zu suchen und zu finden sind. Gleichwohl gibt es nachweisbar eine spirituelle Entwicklung in Teilkomponenten spiritueller Selbstkompetenz. Das Spiritualitätsverständnis differenzierte sich von t1 zu t3 deutlich, Spiritualität wurde – induziert wohl allein durch den geschützten Raum des persönlichen Interview-Gesprächs – mit Blick auf seine transzendenten Bezüge und mit Blick auf das eigene Agieren in der Welt profilierter.

Sich der eigenen Spiritualität bewusst zu werden, das eigne Spiritualitätsverständnis zu reflektieren und zu artikulieren und sich mit anderen darüber auszutauschen, kam den Bedürfnissen der Teilnehmerinnen und Teilnehmern, sowohl der Kurs- wie der Begleitgruppe sehr entgegen. Mit dem Nachspüren der eigenen spirituellen Entwicklung, dem Wahrnehmen des gegenwärtigen Standpunktes und der Aussicht sich weiter auf dem spirituellen Weg beruflich und privat entfalten zu können, scheinen die Probandinnen und Probanden etwas Gesuchtes gefunden zu haben. Ein allgemeines Reden über Spiritualität ist so zu unterscheiden von einer persönlichen Spiritualität, die zur Sprache findet und in das Beziehungsgeschehen eingebracht werden kann.

Selbstwahrnehmung, Achtsamkeit, Selbstreflektion sind zentrale Elemente von Selbstkompetenz. Allein durch die Interviews konnten Reflexionen ausgelöst werden, die einen hohen Wert an sich haben. Dabei wurde sichtbar, dass Distanzierungsfähigkeit im Sinne eines bewussten Erlebens von Ruhe und Gelassenheit zunahmen und dass das Bewusstsein für lebenshinderliche Formen im Alltag (Gehetztsein im Gespräch, Schülerinnen und Schüler nicht genügend würdigen, Präsenz in Gesprächen etc.) erhöht wird.

Unterricht

In der Gegenwart kann bei einem Großteil der Schülerinnen und Schüler in der Kindheit nicht mehr von einem kontinuierlichen Heranführen an religiöse Glaubensinhalte und -formen ausgegangen werden. In diesem Fall kommt der spirituellen Selbstkompetenz des Religionslehrers und der Religionslehrerin eine bedeutende Rolle zu, da seine und ihre spirituellen Fähigkeiten in dieser Situation vor allem auch religionsdidaktisch sehr bedeutsam sind. Auch Schülerinnen und Schüler lernen am Modell; in Zeiten, in denen die Religionslehrkraft als nahezu einziges religiöses Vorbild in der Biografie erscheint, wird damit deren Rolle umso bedeutsamer für die Erfahrung zukünftiger, eigener (religiöser) Selbstwirksamkeit.

Gleichwohl ist es eine Gradwanderung, eigene Spiritualität im Unterricht zu zeigen, ohne diese zu verzwecken. Die Ergebnisse aus unsrer Studie weisen darauf hin, dass es den Unterrichtenden oft schwerfällt, das, was ihnen selbst "heilig" ist, dem profanen Unterrichtsgeschehen auszusetzen ("Perlen vor die Säue"). Wenn sie es aber wagen und z. B. in Bezug auf das erste Modul, Aufmerksamkeits- und Stilleübungen mit den Schülerinnen und Schülern praktizieren, entsteht in der Regel der Eindruck, dass dieser Versuch der Vermittlung von Spiritualität gelingt, da die Übungen gerne von den Schülerinnen und Schülern aufgenommen werden.

Fortbildung

Dass die drei Dimensionen Selbstwahrnehmung, Achtsamkeit, Selbstreflexion "ständig im Mittelpunkt standen", war für einen Teilnehmer "das Geheimrezept dieses Kurses", "das Besondere an diesem Lehrgang".

Die Übung der Kontemplation scheint vor allem dafür geeignet Selbstwahrnehmung und Achtsamkeit effektiv einzuüben. Der streng strukturierte Tagesablauf und das Einhalten durchgehenden Schweigens wurden dabei nicht als störend, sondern als wohltuend erlebt. Die Teilnehmenden beschreiben genau dieses jähe Gegenteil des Gewohnten als Bedingung für eine realistische Sicht auf sich selbst. Die Reflexion über das Erfahrene und die Einordnung in das bisherige Selbstbild schlossen sich der praktischen Übung an. Dass die Teilnehmenden auf Eigeninitiative und freiwilliger Basis die kontemplative Übung in den Kursteilen zwei und drei fortsetzen wollten, zeigt die Relevanz, die Authentizität, Achtsamkeit und Selbstreflexion für sie zu haben scheinen.

In Fortbildungen, die die spirituelle Selbstkompetenz schulen wollen, kommt den jeweiligen Leitungen besondere Bedeutung zu. Sie sind eben nicht nur für die Inhalte verantwortlich, sondern sie stehen mit ihrer Person für den Gegenstand der Fortbildung. Andererseits ist entlastend, dass eine vertrauensvolle Atmosphäre in der Gruppe beispielsweise durch die konsequente Einübung von Perspektivenübernahmen gefördert werden kann, die dann ihrerseits Bedingung für gute Gespräche über Spiritualität ist. Spiritualität ist, richtig initiiert und angeleitet, ein Selbstläufer.

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