Alfons Auer
In den Tübinger Universitätsreden zu Alfons Auers 90. Geburtstag 2005 ist auch ein Beitrag von ihm selbst abgedruckt, in welchem er schreibt:
„Im Dasein eröffnet sich uns die Grundchance, ein Mehr an Vernunft, Freiheit und Solidarität in dem uns anvertrauten Stück Welt zu hinterlassen, als wir darin angetroffen haben.“ Darin folgt er seinen Vorgängern in Tübingen Franz Xaver Linsenmann und Theodor Steinbüchel sowie dem Humanisten Erasmus von Rotterdam und Teilhard de Chardin, der für ihn den prophetischen Hintergrund der Aufbruchstimmung des 2.Vatikanischen Konzils darstellte und dessen Bild in seinem Dienstzimmer hing.
Der am 1915 geborene Priester aus dem Oberland (Schönebürg-Schwendi bei Biberach a.d.Riß, die Heimat, deren Ehrenbürger er ist und wo er am 26. November 2005 beerdigt wurde) war Vikar in Stuttgart, Studentenseelsorger in Tübingen, mitgründender Akademiedirektor der Diözesakademie in Stuttgart-Hohenheim, bevor er, nach Tübinger Promotion (über F.X.Linsenmann) und Habilitation (über Erasmus von Rotterdam) seiner erste Professorenstelle für Moraltheologie in Würzburg (1955-1966) erhielt. Dann kehrte er nach Tübingen zurück, wo er 1980 emeritiert wurde und wo er, begleitend zu seinem akademischen Leben, stets auch als Prediger tätig war, noch im Alter das „Tübinger Forum“ für Akademiker mit begründend und mit begleitend. Auer entwickelte einen eigenen unauswechselbaren Sprachstil, über lange Jahre hinweg predigte er sonntags in der Kapelle „Auf dem Sand“. Sprachverantwortung war ihm stets wichtig, deswegen arbeitete er sorgfältig am mündlichen und schriftlichen Wort. Auch dadurch gelang ihm ein „Mehr an Vernunft, Freiheit und Solidarität“ in der Glaubenseinsicht und in der ethischen Anleitung zum Handeln. Er scheute nie davor zurück, die Worte der Schrift und die Geheimnisse des christlichen Glaubens an der zeitgenössischen Vernunft zu messen. Er gab sie nie auf, aber er wollte wissen, wie sie sich vor unserem Bewußtsein behaupten können. Glauben sollte das Denken bewegen und sich als Befreiung in Solidarität bewähren. Es ist heute kaum zu ermessen, wie befreiend seine in Tübingen nach 1967 entwickelte Theologische Ethik auf die Studierenden wirkte, die in Scharen in seine Seminare strömten, wo sie vor allem lernten, die christlichen moralischen Motive im Medium einer interdisziplinären wissenschaftlichen Welt zu untersuchen und zu überprüfen. Gewiss ist die damalige Aufbruchstimmung verloren gegangen, hat sich an mancher Reformunwilligkeit aufgerieben. Geblieben ist Auers Ermunterung zu mehr Vernunft, Freiheit und Solidarität „Das Ethische“, sagte Alfons Auer, „meldet sich nicht als Oktroi ´von außen` oder ´von oben`. Es meldet sich als Implikat der Wirklichkeit.“ Das war seine Vorstellung, die er in seinen vielgelesenen Büchern über den „weltoffenen Christen“(1961), über die „Autonome Moral“(1971), über die „Umweltethik“(1985) und zuletzt über das Altern (1995) entwickelt hat. Er verstand die Wirklichkeit als Prozess und als Geschichte. Darin sah er Erfahrungen und Lernvorgänge, die den bleibenden Wahrheiten eine neue Sprache ihrer Erkundung ermöglichen. In der Erneuerung der katholischen Moraltheologie nach dem Konzil ist er eine weithin sichtbare und verehrte Größe geworden. Er erhielt die Ehrendoktorate von Frankfurt und Wien.
Unter dem Titel: „Ist die Kirche heute noch ethisch bewohnbar`?“ las er ein päpstliches Dokument „stellvertretend mit den Augen jener Katholiken, die sich zwar kirchlich engagieren, die sich aber mit ihren ethischen Vorstellungen nicht mehr bei ihr zuhause fühlen.“ Trotz aller auszuhaltenden Spannungen betrachtete Auer die Kirche als „heimatstiftend“, insofern „sie ein umfassendes Sinnverständnis vermittelt, mit dem man leben und sterben kann“. Dafür war er ein wahrer Professor (ein „Bekenner“) als akademischer und pastoraler Zeuge.
von Dietmar Mieth