Die sozialistische Stadt

Mit der Gründung der DDR im Jahr 1949 fand ein Systemwechsel statt (Bleek 2013). Die DDR hatte ein zentralistisches System mit einer starke Dominanz der Staatspartei über alle Funktionssysteme und Organisationen (Land 2002: 11). Dieser Systemwechsel hatte auch Auswirkungen auf die Raumplanung. Die Gleichheitsvorstellung war ein dominierender Part der sozialistischen Ideologie (Franz 2000: 160), wodurch „am ‚sozialistischen Menschen‘ ausgerichtete Stadtutopien“ (Franz 2000: 160) entstanden. Durch die Kriegszerstörung war viel Armut vorhanden. Der Wiederaufbau sollte diese beseitigen und gleichzeitig negative Wirkungen des Wohnens eliminieren (Hübler 2004: 89). Die meisten Städte bauten jedoch auf „kapitalistische[m] Erbe“ (Häußermann 1996: 5) auf, welches überwunden werden sollte. Dies sollte unter anderem durch ein „städtisches Regime“ (Häußermann 1996: 6) geschehen. In diesem entscheidet die Gesellschaft respektive die Partei über die Bodennutzung und nicht wie im Westen Deutschlands private Eigentümer (Häußermann 1996: 7-8; Hübler 2004: 90). So konnten alle Investitionen staatlich gelenkt werden (Häußermann 1996: 7-8). Dieses Regime eliminierte mögliche Bodennutzungskonflikte, wodurch ideale Voraussetzungen für eine gezielte Planung von Städten entstanden (Häußermann 1996: 8). Städte wurden nicht von unten entwickelt, sondern von oben geplant, wodurch städtebaulichen Leitbildern eine größere Bedeutung zukam (Häußermann 1996: 10). Dabei gab es drei Prinzipien der Stadtentwicklung und -gestaltung (Häußermann 1996: 11): 1. Die Ganzheitlichkeit: Alle Funktionen im Städtebau sollen gleichermaßen berücksichtigt werden. 2. Die Zentralität: Die Mitte der Stadt soll auch die Mitte des gesellschaftlichen Lebens darstellen. 3. Die Dominanz: Die gesellschaftliche Ebene sollte in der Stadtplanung die dominante Ebene sein.
Dabei sollte unter Berücksichtigung folgender Merkmale gebaut bzw. aufgebaut werden: Das politische System soll durch den Bau von Prachtplätzen und -Straßen gestärkt werden. Privatsphäre stand bei der Stadtplanung grundsätzlich unter dem staatlichen Interesse. Es fand eine Trennung der Funktionen Wohnen und Arbeiten statt, welche durch ein Verkehrsnetz aus öffentlichem Nahverkehr gestützt wurde. Der Umgang mit dem alten Baubestand („kapitalistischem Erbe) wurde unterschiedlich gehandhabt und reichte von Erhalt (z.B. Moskau) bis zum Abbruch und Neubau (Berlin) (Spektrum 2001). Generell gab es zudem die Idee der Mikrorayons, die aussagt, dass jeder Bürger und jede Bürgerin in einem Umkreis von 800 m um seine Wohnung alle wichtigen Funktionen finden soll.

Phasen der Stadtentwicklung

Die Stadtplanung und -entwicklung in Ostdeutschland lässt sich in verschiedene Phasen unterteilen. Die erste Phase ist die Phase des Neu- und Wiederaufbaus. Unmittelbar nach der Gründung der DDR. In dieser Phase der Stadtplanung sollten Plätze den politischen und gesellschaftlichen Mittelpunkt von Städten bilden und der Fokus auf die Innenstädte wurde so zu einem strukturellen Grundsatz (Häußermann 1996: 13; Durth 1996: 11). Zudem spielte die einheitliche Gestaltung der Zentren eine Rolle, um das neue System zum Ausdruck zu bringen. Altstadtviertel und Kirchen, die den Krieg überstanden hatten, wurden teilweise abgerissen, um neue, dem System entsprechende Stadtzentren zu errichten (Häußermann 1996: 13). Dieser „sozialistische Stolz“ (Häußermann 1996: 13) ist vielen Stadtzentren in Ostdeutschland noch heute anzumerken (Häußermann 1996: 13). Zudem sollten „Paläste für das Volk“ entstehen, die heute oft noch an den innenstadtnahen großen Straßen und Plätzen zu finden sind.
Die zweite Phase beginnt Mitte der 50er Jahre. Die bis dahin stattfindenden großen Projekte zur Umsetzung der eben genannten Ziele konnten eine Verschlechterung der Lebensverhältnisse nicht bremsen (Häußermann 1996: 14). Ende 1954 wurde deswegen eine radikale Standardisierung und Typenprojektierung initiiert, um insgesamt „[b]esser, billiger und schneller [zu] bauen“ (Durth 1996: 16).
Die dritte Phase beginnt 1970 mit dem Projekt „Wohnungsfrage als soziales Problem“ (Häußermann 1996: 14; Lange 2015: 91). In dieser Phase sollte die Legitimität des Systems durch sozialpolitische Leistungen gefestigt werden (Häußermann 1996: 14). Der Fokus wurde nun sehr stark auf den Wohnungsbau, weiter in Form von Großwohnsiedlungen, gelegt (Flierl 1991: 52). Die komplexe Gestaltung der Wohnumwelt wurde als kultureller Prozess gesehen. Die Bewohner sollten am Gestaltungsprozess beteiligt werden (Lange 2015: 195).

Systemumbruch 1990

Mit dem Systemumbruch 1990 fand auch ein grundlegender Umbruch im Planungssystem statt. Diese Phase wird teilweise als nachholende Modernisierung verstanden (Kovács & Wiessner 2006: 15), die jedoch mit einigen Problemen gespickt ist. Es fand ein Transfer der westdeutschen Planungssystem auf die neuen Bundesländer statt (Land 2002: 1; Hübler 2004: 91) und die Änderungen der Ordnung fanden quasi über Nacht statt (Häußermann 1996: 20). Die zentral gesteuerte Planwirtschaft wurde beendet und planerische Kompetenzen wurden auf die Gemeinden übertragen (Kovács & Wiessner 2006: 14-15). Das Privateigentum wurde wieder eingeführt (Häußermann 1996: 20). Mit dem Wandel zur Marktwirtschaft gingen weite Bereiche der ostdeutschen Wirtschaft nieder (Winkel 1995: 384). Problematisch war zudem, dass die Verwaltung in Ostdeutschland nicht auf die neuen Planungssysteme ausgelegt war. Es fehlten Experten und Umsetzungsstrategien, weswegen es die ersten Jahre bis zur ersten Kommunalwahl so gut wie keine funktionsfähige Planung in Ostdeutschland gab (Winkel 1995: 386).

Folgen der Systemumbrüche

Die Systemumbrüche brachten in der Stadtplanung und -entwicklung eine Vielzahl von Folgen mit sich. Zwar fokussierte sich der Städtebau in der DDR auf die Stadtzentren, jedoch nur als Zentren der Repräsentation und nicht als Lebensmittelpunkt (Friedrichs 1996: 360). Nach der Wende fanden ein Bedeutungswandel und die Revitalisierung der Innenstädte statt (Herlyn 2002: 20). Zudem wurden viele Altbaugebiete aufgrund ihres historischen Wertes und der Bedeutung bei der Entwicklung einer kompakten Stadt revitalisiert (Herlyn 2002: 22). Es fand also ein Statuswandel verschiedener Stadtviertel statt. Die Großbausiedlungen verloren, wie schon in Westdeutschland in den 70er und 80er Jahren, deutlich an Ansehen, während die historischen Stadtviertel an Ansehen gewannen (Franz 2000: 166-168; Wiest 2005: 238).
Durch die Ausschaltung der Bodenpreise in der DDR ging zudem die Konkurrenz bei der Bebauung verloren. So wurden auch viele Gebäude mit Wohnfunktion im Stadtzentrum angesiedelt (Häußermann 1996: 15). Mit der Öffnung zum freien Markt setzte diese Konkurrenz wieder ein und nur noch wirtschaftlich rentable Vorhaben – vor allem der Einzelhandel und Filialen – wurden in den Innenstädten angesiedelt (Franz 2000: 168).
Durch die Bebauung der inneren Stadt mit Wohngebäuden und einer gezielten Bebauung bis an den Stadtrand fehlte die Suburbanisierung in der DDR fast vollständig. Mit der Wende setzt zuerst eine nachholende Suburbanisierung ein. Diese fand in sehr großem Umfang statt, den einige Autoren auf eine angestaute Mobilität zurückführen (Herlyn 2002: 26). Andere Autoren betrachten sie als eine Entscheidung aus Mangel an Alternativen (Haase et al. 2010: 25). Die Suburbanisierung und die neue Preiskonkurrenz verstärkten die soziale Segregation, da nur die Personen mit den notwenigen Ressourcen in die umliegenden Gebiete wandern konnten (Herlyn 2002: 26). Zudem stellte die Suburbanisierung eine Konkurrenz zum Aufbau der Innenstädte dar, da durch die Abwanderung besser gestellter Personen Ressourcen aus den Innenstädten abgezogen wurden (Herlyn 2002: 27). Neben der Abwanderung von Steuergeldern und dem Zerfall der kompakten Städte führte die Suburbanisierung zudem zu einem erheblichen Mehraufkommen an Verkehr (Herlyn 2002: 26).
Seit Ende der 90er Jahre findet jedoch eine Reurbanisierung statt (Haase et al. 2010: 24). Diese spiegelt sich in einer ökonomisch ausgerichteten, architektonischen und kulturellen Inszenierung der Innenstädte und in stadtteilbezogenen Aufwertungsprozessen wider. Die urbanen Kerne erfuhren einen allgemeinen Bedeutungsgewinn (Wiest 2005: 237). Die Zuwanderung in die Stadt fand jedoch nicht gleichmäßig statt, sondern es bilden sich Wachstumsinseln innerhalb einer schrumpfenden Umgebung heraus (Haase et al. 2010: 26). Die dominierende Stadtentwicklung in Ostdeutschland war jedoch lange die Schrumpfung von Städten (Herlyn 2002: 27). Dies war direkt nach der Wende vor allem problematisch, da die Planung noch auf ein Wachstum der Städte ausgelegt war (Wiest 2005: 239). Im Laufe der Zeit fand eine Prioritätenänderung von einer Stadterweiterung zur Stadterneuerung und -umbau statt (Wiest 2005: 239). Heute schrumpfen manche Städte nach wie vor insgesamt, in anderen kommt es zu einer Polarisierung. Häufig verlieren die Stadtzentren Einwohner, während die citynahen Gebiete einen Einwohnergewinn verzeichnen (Wiest 2005: 238-239). In Ostdeutschland überwiegt aber insgesamt bis heute das Schrumpfen der Städte (Kauffmann 2015: 10).
In Leipzig zeigt sich diese städtische Vergangenheit vor allem noch durch die Markierung großer Aufmarschplätze beispielsweise durch das ehemalige Unihochhaus. Auch die Prachtstraßen mit den „Bürgerpalästen“ lassen sich noch gut erkennen. Nach der Wende kam es aufgrund der Abwanderung und den zahlreichen Plattenbauten zu enormen Leerstand, der zu großen Problemen führte (à perforierte Stadt).

 

Literaturverzeichnis:

  • Durth, W. (1996): Stalinistische Stadtbaukunst. In: ICOMOS–Hefte des Deutschen Nationalkomitees 20. S. 11–16.
  • Flierl, B. (1991): Stadtgestaltung in der ehemaligen DDR als Staatspolitik. In: Marcuse, P. Wohnen und Stadtpolitik im Umbruch: Perspektiven der Stadterneuerung nach 40 Jahren DDR: Berlin. 49–65.
  • Franz, P. (2000): Soziale Ungleichheit und Stadtentwicklung in ostdeutschen Städten. In: Harth, A., Scheller, G. u. W. Tessin. Stadt und soziale Ungleichheit: Opladen. 160–173.
  • Friedrichs, J. (1996): Die Entwicklung der Innenstädte: Chemnitz, Erfurt und Leipzig. In: Strubelt, W., Genosko, J., Bertram, H., Friedrichs, J., Gans, P., Häußermann, H., Herlyn, U. u. H. Sahner. Städte und Regionen - Räumliche Folgen des Transformationsprozesses. Berichte der Kommission für die Erforschung des sozialen und politischen Wandels in den neuen Bundesländern e.V. (KSPW). 5: Wiesbaden. 357–408.
  • Haase, A., Herfert, G., Kabisch, S. u. A. Steinführer (2010): Reurbanisierung in ostdeutschen Grossstädten: Regionale, städtische und Quartiersanalysen unter besonderer Berücksichtigung demographischer Prozesse. In: disP-The Planning Review 46 H. 180. S. 24–35.
  • Häußermann, H. (1996): Von der Stadt im Sozialismus zur Stadt im Kapitalismus. In: Häußermann, H. Stadtentwicklung in Ostdeutschland: Soziale und räumliche Tendenzen: Opladen. 5–48.
  • Herlyn, U. (2002): Stadtentwicklung in Ostdeutschland seit der Wende aus soziologischer Sicht. In: Bertels, L. u. U. Herlyn. Stadtentwicklung Gotha 1990-2000: Opladen. 13–32.
  • Hübler, K.-H. (2004): Ethik und Raumplanung in Deutschland. In: Lendi, M. u. K.-H. Hübler. Ethik in der Raumplanung: Zugänge und Reflexionen. Forschungs- und Sitzungsberichte / Akademie für Raumforschung und Landesplanung. 221: Hannover. 68–104.
  • Kauffmann, A. (2015): Im Fokus: Bevölkerungsentwicklung der ostdeutschen Städte seit 1990–Fiktion oder Wirklichkeit? In: Wirtschaft im Wandel 21 H. 1. S. 8–11.
  • Kovács, Z. u. R. Wiessner (2006): Allgemeine Aspekte der Stadtentwicklung in Budapest und Leipzig: historisches Erbe und aktuelle Tendenzen. In: Kovács, Z. u. R. Wiessner. Stadtentwicklung in der Transformation: Vergleichende Untersuchung zum Strukturwandel in Budapest und Leipzig: Budapest. 7–20.
  • Land, R. (2002): Ostdeutschland - doppelter Umbruch. o. O. Abrufbar unter: http://www.soeb.de/fileadmin/redaktion/downloads/ostdeutschland_umbruch.pdf.
  • Spektrum (2001): sozialistische Stadt. Abrufar unter: https://www.spektrum.de/lexikon/geographie/sozialistische-stadt/7400. Letzter Aufruf am 08.09.2021.Wiest, K. (2005): Reurbanisierung als Mainstream der ostdeutschen Stadtentwicklung. In: Wohnungsmarkt und Planungspolitik in sächsischen Großstädten. RaumPlanung 123 H. 2005. S. 237–242.
  • Winkel, R. (1995): Regionalentwicklung in den neuen Bundesländern. In: Jenkis, H. W. Raumordnung und Raumordnungspolitik: Oldenburg. 384–400.