Arbeitsprogramm
Die Sedimentkerne des Stadtsees werden für die geplanten Untersuchungen hochaufgelöst beprobt. Wenn möglich sollen besondere Ereignisse, die in den historischen Schriftquellen vermerkt sind, jahrgenau aufgelöst werden. Das Arbeitskonzept des Projekts verfolgt einen sogenannten Multi-Proxy-Ansatz, d.h. sedimentologische, biochemische und biologische Parameter der Seesedimente werden als indirekte Anzeiger (Proxies) für vergangene Änderungen genutzt und im Sinne einer umfassenden Umweltrekonstruktion zusammen analysiert. Um eine hochauflösende Rekonstruktion der Umweltbedingungen zu ermöglichen, ist eine präzise Datierung vonnöten. Seesedimente werden meist mittels Radiokohlenstoffmethode an Pflanzengrossresten datiert. Dies dient als Grundlage zur Erstellung eines Altersmodells der Sedimente. Ergänzend wird für den Zeitraum des Mittelalters bis zur Frühen Neuzeit eine Warvenchronologie erstellt. Die hierbei durchgeführte Warvenzählung, ermöglicht es den Sedimentabschnitt exakt zu datieren. Da geschichteten Sedimentabschnitte in ungeschichtete ältere und jüngere Abfolgen eingebettet sind, wird die Warvenchronologie als schwebend bezeichnet. Durch die Verknüpfung mit historischen Ereignissen und die hohe chronologische Genauigkeit kann die schwebende Warvenchronologie in eine absolute (Warven-) Chronologie überführt werden.
Das Sedimentarchiv
Neben natürlichen Prozessen werden anthropogen verursachte Umweltveränderungen im See archiviert. Da der Stadtsee sehr eng mit der Stadt und dem Umland verknüpft ist, werden in den Sedimenten Informationen über lokale und regionale Auswirkungen von Klimaveränderungen im direkten Lebensumfeld des Menschen sowie über die Stadt- und Umlandentwicklung gespeichert. In Bad Waldsee veranschaulichen die Sedimente des Stadtsees die besondere Situation einer verstärkten anthropogene Einflussnahme auf das Gewässer spätestens ab dem Mittelalter. Die Entwicklung der Stadt und des Umlandes spiegelts sich indirekt durch Abwassereinleitungen (Schadstoffe), Rußeinträge und hydrologische Eingriffe in den Seesedimenten wider. Die Einträge persistenter Schadstoffe wie Schwermetalle und organischer Schadstoffe in den See werden mittels verschiedener geochemischer Methoden bestimmt. Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) aus Verfeuerungsprozessen und Stadtbränden werden als dünne Ruß- oder Aschelagen im Sediment abgelagert. Mittels spezifischer PAK-Muster können die Herkunftsquellen bestimmt werden. Die Analysen erfolgen mittels Gaschromatographie (GC-MS). Durch mittelalterliche Metallverarbeitung, Textilherstellung sowie durch Färberei und Gerberei können Schwermetalle in den See gelangen. Mittels anorganischer geochemischer Untersuchungen (ICP-MS, RFA) und sequenzieller Extraktion können die Metallspezies und Bioverfügbarkeit ermittelt werden. Ziel ist es zu überprüfen, ob bereits im Mittelalter umfangreiche Umweltbelastungen mit Schadstoffen durch anthropogene Aktivität hervorgerufen wurden und mit welchen Aktivitäten diese einhergingen.
Neben anthropogenen Signalen werden auch Witterungsbedingungen und klimatische Trends in den Seesedimenten archiviert. Extreme Wetterereignisse verändern die Sedimentfazies und werden anhand von Dünnschliffen aus repräsentativen Abschnitten ermittelt. Beispielsweise führen Hochwasser zur Bildung von grobkörnigen klastischen Lagen im Sediment, die mittel mikroskopischer Untersuchung der Dünnschliffe bestimmt werden. Aus der Häufigkeit dieser Lagen können Hochwasserhäufigkeiten über mehrere Jahrhunderte abgeleitet werden. Die chemische Zusammensetzung des Sediments wird über μXRF Scans an den Sedimentkernen ermittelt. Hierbei liefern erhöhte Gehalte von Elementen wie Silizium, Titan und Aluminium, Hinweise auf erhöhten klastischen externen Stoffeintrag in den See. In der Regel ist dies auf gesteigerte Bodenerosion im Einzugsgebiet durch Waldrodung, städtische Bautätigkeit oder Intensivierung der Landwirtschaft oder Landnutzungswechsel zurückzuführen. Unter Hinzuziehung weiterer Hinweise aus dem historischen Schriftarchiv lassen sich mögliche Auswirkungen und Ursachen gesteigerter Bodenerosion ableiten.