Seminar für Allgemeine Rhetorik

Seminar für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen zeichnet Heike Heubach für die ‚Rede des Jahres 2024‘ aus
 

„Die Auswirkungen des Klimawandels treffen uns alle. Am teuersten wird es dann, wenn wir nichts tun.“

Das Seminar für Allgemeine Rhetorik an der Universität Tübingen verleiht Heike Heubach die Auszeichnung ‚Rede des Jahres 2024‘ für die erste Bundestagsrede in Gebärdensprache am 10. Oktober 2024. Sie ist ein eindringliches Plädoyer für den Klimaschutz und ein bewegendes Beispiel einer veränderten politischer Redekultur im Zeichen von Inklusion.

Am 10. Oktober 2024 erlebte Deutschland eine Premiere der Rede- und Debattenkultur. Zum ersten Mal in der Geschichte des Bundestages wurde in einer Plenardebatte eine Rede in Gebärdensprache gehalten. Die SPD-Abgeordnete Heike Heubach gebärdete eine Rede zur geplanten Novellierung des Baugesetzbuches. Simultan wurde ihre Rede von einer Gebärdendolmetscherin als gesprochener Text hörbar gemacht.

Heike Heubachs Rede ist ein eindringliches Plädoyer für die Notwendigkeit des Klimaschutzes für alle Menschen: „Die Auswirkungen des Klimawandels betreffen uns alle.” Konkret und anschaulich wird dies durch die steigernde Nennung betroffener Gruppen im Kleinen wie Großen: von einzelnen „Häuslebauer/-innen” bis zum „Wirtschaftsstandort Deutschland”. Große Anschaulichkeit zeichnet auch Heubachs Ausführungen zur Dringlichkeit des Handelns aus, in denen sie sich der Überzeugungskraft des Beispiels bedient – „Wollen Sie Beispiele?”. Plausibel leitet sie aus dieser drängenden Situation die Baugesetzbuchnovellierung ab, die unter anderem die Mehrfachnutzung von Flächen vorsieht, wie Heubach lebensnah greifbar macht: „So wird der Sportplatz gleichzeitig eine Überflutungsfläche.” Den Kosteneinwand der Opposition greift sie klassisch-rhetorisch auf und weist ihn souverän zurück. Eine trockene juristische Materie wie das Baugesetzbuch wird an die Lebenswelt der Bürgerinnen und Bürger herangeführt und damit unmittelbar relevant gemacht. Ihre klar gegliederte Rede, in der sie Knappheit im Ausdruck mit schlüssiger Gedankenführung gekonnt vereint, lässt Heike Heubach in eine pointierte und eingängige Schlusssentenz münden: „Ein Mehr an Klimaschutz wird Leben retten und den Bundeshaushalt bei den Kosten von Naturkatastrophen entlasten. Am teuersten wird es dann, wenn wir nichts tun.”

Ihren gekonnt formulierten Redetext bringt Heike Heubach gebärdend zum Ausdruck und setzt auch darüber hinaus ihren Körper rhetorisch versiert und überzeugend ein. Bereits beim Gang zum Redepult gewinnt sie den Raum für sich, indem sie lächelnd Blickkontakt zum Publikum herstellt. Aufmerksam und wertschätzend adressiert sie bei ihrer Begrüßung die einzelnen Gruppen im Publikum, indem sie ihren Körper gezielt zu den jeweiligen Personen hinwendet. Durch Gebärde und Körpersprache macht sie deutlich, dass von der Präsidentin bis zu den Gästen auf der Tribüne alle Personen gleichermaßen in ihre Rede eingeschlossen sind. Heubachs rednerische Kompetenz wird durch ihre aufrechte, ruhige und selbstbewusste Körperhaltung unterstrichen.

Für ihre rhetorische Glanzleistung erhält Heike Heubach den Beifall des gesamten Publikums. Mit der Gebärde für Applaus und stehenden Ovationen honoriert der Bundestag diesen zukunftsweisenden Auftritt und gibt damit ein Beispiel für gelebte Inklusion und wertschätzende politische Teilhabe aller Personen. 

Mit ihrer stillen Rede im Bundestag setzt Heike Heubach auch ein Zeichen für die Vielfalt der Eloquenz. Diese erste Rede in Gebärdensprache stellt auch eine bereichernde Erweiterung der Rede- und Debattenkultur Deutschlands dar. Für diesen wertvollen Meilenstein der Redekunst verleiht die Jury des Seminars für Allgemeine Rhetorik Heike Heubach den Preis ‚Rede des Jahres 2024‘. 

Jury
Dr. Jutta Beck, Lukas Beck M.A., Selina Bernarding M.A., Hanna Broghammer, Dr. Fabian Erhardt, Dr. Markus Gottschling, Rebecca Kiderlen M.A., Prof. Dr. Joachim Knape, Prof. Dr. Olaf Kramer, Dr. Frank Schuhmacher, Prof. Dr. Dietmar Till, PD Dr. Lily Tonger-Erk, Dr. Thomas Zinsmaier

Kontakt
Dr. Fabian Erhardt
Universität Tübingen
Seminar für Allgemeine Rhetorik
Telefon: 0162 5690725
E-Mail: fabian.erhardtspam prevention@uni-tuebingen.de

Link zur Rede: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw41-erste-rede-dgs-1023382

Rede des Jahres

Seit 1998 vergibt das Seminar für Allgemeine Rhetorik die Auszeichnung ‚Rede des Jahres’. Mit diesem Preis würdigt das Seminar jährlich eine Rede, die die politische, soziale oder kulturelle Diskussion entscheidend beeinflusst hat und als wichtiger Beitrag zur Entwicklung der Redekultur gelten kann. Kriterien für die Jury sind u.a. inhaltliche Relevanz, Vortragsstil, Elaboriertheit sowie publizistische Wirkung. 

Kriterien

  • Was ist der bemerkenswerte Anlass oder die besondere situative Herausforderung? 
  • Was ist die publizistische Wirkung der Rede? 
  • Wie elaboriert ist die Rede besonders mit Blick auf die gewählte Redegattung? 
  • Wie ist die inhaltliche Relevanz und thematische Akzentuierung der Rede? 
  • Welcher Vortragsstil findet sich inbesondere im Hinblick auf die jeweilige Persönlichkeit?
  • Leistet die Rede einen Beitrag zur Entwicklung der Redekultur in Deutschland?

Die letzten Reden

2023
Robert Habeck: Video-Ansprache zu Israel und Antisemitismus

Die Rede wurde am 1. November gehalten und ist ein Musterbeispiel für eine engagierte und bedeutsame politische Rede. Mit Verve und hoher Emotionalität verteidigt Habeck das Existenzrecht Israels und legt damit ein eindringliches Votum für die besondere Verantwortung Deutschlands ab.

2022
Luisa Neubauer: Ansprache auf dem Parteitag der Grünen

Die Rede wurde am 16. Oktober auf dem Parteitag der Grünen gehalten und ist ein aufrüttelndes Plädoyer für eine wirkungsvolle Klimapolitik und ein eindringlicher Aufruf der jungen Generation für Gerechtigkeit und Solidarität in Anbetracht des Klimawandels. 

2021
Maren Kroymann: Dankesrede beim Deutschen Comedypreis

Die Rede wurde am 1. Oktober als Dankesrede für den Ehrenpreis des Deutschen Comedypreises gehalten und ist ein unerwartetes, leidenschaftliches Plädoyer für Gleichberechtigung, in der Kroymann eindringlich den alltäglichen Sexismus kritisiert. Sie ist Zeichen für einen tiefergreifenden gesellschaftlichen Wandel, der sich vor allem durch das Überwinden der Sprachlosigkeit auszeichnet und verschafft der #metoo-Bewegung in der Comedybranche starke Sichtbarkeit.

2020
Angela Merkel: Fernsehansprache zur Coronapandemie

Die Rede wurde am 18. März gehalten und ist als historische Fernsehansprache ein eindrucksvoller Appell an Verantwortung und Miteinander. Sie verbindet die anschauliche Darstellung komplexer wissenschaftlicher Erkenntnisse mit Empathie und politischer Umsicht.

2019
Ursula von der Leyen: Wahlrede vor dem Europäischen Parlament

Die Rede wurde am 16. Juli gehalten und ist ein eindrucksvolles und glaubwürdiges Bekenntnis zu Europa, ein Beweis für die Integrationskraft der Idee „Europa“ und ein engagiertes Plädoyer für eine europäische Wertegemeinschaft.

2018
Cem Özdemir: Debattenbeitrag im Deutschen Bundestag

Die Rede wurde am 22. Februar gehalten und ist eindrückliches Plädoyer für eine offene Gesellschaft, gegen Ausgrenzung und Spaltung. Die leidenschaftliche Parlamentsrede zeigt, wie man den Populisten im Parlament die Stirn bieten kann.

2017
Peter Strohschneider: Rede auf der Jahresversammlung der DFG

Die Rede wurde am 4. Juli gehalten und ist ein engagiertes Plädoyer gegen populistische Vereinfachungen und alternative Fakten. Der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft rechnet in seiner Rede mit den populistischen Strömungen ab und reflektiert kritisch den gegenwärtigen Wissenschaftsbetrieb.

2016
Norbert Lammert: Rede zum Tag der Deutschen Einheit

Die Rede wurde am 3. Oktober in der Dresdner Semperoper gehalten und ist eine besonnene Festrede zur Entwicklung Deutschands inmitten einer meist stürmisch geführten politischen Debatte, während zugleich im Freien der Niedergang Deutschalnds beschworen wird.