Die Rede des Jahres 2004
Heribert Prantl: Zivilgesellschaft ist vitaler Verfassungsschutz
Das Seminar für Allgemeine Rhetorik der Eberhard-Karls-Universität Tübingen hat Heribert Prantls Rede Zivilgesellschaft ist vitaler Verfassungsschutz zur Rede des Jahres 2004 gewählt. Eindringlich, anschaulich und jenseits abgenutzter Phrasen analysiert der Redner in dem Text vom November 2004 Ursachen und Folgen des Rechtsextremismus und weist überzeugende Perspektiven zur Rückeroberung des öffentlichen Raumes von den Rechtsradikalen.
Wieviel Nazis gibt es hier? Diese Frage ist mutige Provokation in manchen Teilen Deutschlands, und Heribert Prantl eröffnet mit ihr eine Rede zum Thema Rechtsextremismus, die ihresgleichen sucht. Prantl gelingt es, die Realität rechtsextremistischer Gewalt in Deutschland ohne falsches Pathos anschaulich zu machen und die Wirkungen rechtsextremer Strukturen mit klaren und überzeugenden Worten zu analysieren. Dabei ist das Thema Rechtsextremismus rhetorisch heikel, vor einer demokratisch gesinnten Gruppe machen es sich die Redner meist zu leicht, ein pathetischer Appell scheint alles zu sagen, argumentiert wird nicht. Anders bei Prantl, in seiner Rede zur Verleihung der Kesten-Medallie an die Initiative Bunt statt Braun, die den Einsatz für Demokratie und Toleranz in ihr Programm geschrieben hat, liefert er eine scharfsinnige Analyse des Phänomens Rechtsextremismus.
Prantls erschreckende Beispiele verweigern sich allzu simplen Lösungsmustern: da ist die Lehrerin, die nicht weiß, wie sie auf den Hitler-Gruß eine Schülers reagieren soll, der Jugendliche, der einen Ausbildungsplatz nur in einer von Rechten unterlaufenen Werkstatt findet und das kleine Dorf, in dem schon derjenige ein Linksextremer ist, der das Grundgesetz verteidigt. Einfache Lösungen gibt es in solchen Situationen nicht, und der Redner gaukelt sie auch nicht vor. Vielmehr zeigt er eindringlich, wie die Ideologie der Ungleichheit und Gewaltakzeptanz unsere Gesellschaft schleichend verändert. Die italienische Mafia, auf die Prantl dabei verweist, ist ein ebenso ungewöhnlicher wie treffender Vergleich.
Meisterhaft gelingt Prantl in seiner Rede die Balance zwischen Mahnung und Motivation, er macht unmißverständlich klar, was für uns alle auf dem Spiel steht, und zeigt, wie ein einzelnes mutiges Wort gegen Rechtsradikalismus seinen Beitrag zur Stärkung demokratischer Strukturen leistet. Daß die Bürger den Staat machen, ist eine vielzitierte Phrase. Prantl macht deutlich, was sie meint: Gesellschaft ist keine abstrakte Größe, sie entsteht im alltäglichen Miteinander. Im öffentlichen Raum gilt es daher laut seiner scharfsinnigen Analyse, die Grundwerte unserer Gesellschaft immer wieder neu zu definieren. Dabei darf der Blick nicht auf Deutschland beschränkt bleiben. In Auseinandersetzung mit Joseph Roth haucht Prantl dem Bild vom europäischen Haus, das abgenutzt und stumpf erscheint, neues Leben ein und verleiht ihm neuen rhetorischen Glanz: er sieht Europa als Haus mit vielen Türen und Zimmern, europäisches Gemeingefühl und patriotische Überzeugung schließen sich nicht aus, solange sie auf demokratischen Werten beruhen und der öffentliche Raum von Freiheit und Meinungsvielfalt und nicht von Gewalt und Ungleichheit beherrscht wird.
Jury: Prof. Dr. Gert Ueding, Prof. Dr. Joachim Knape, Boris Kositzke, Olaf Kramer und Peter Weit.
Sprecher der Jury: Olaf Kramer