Englisches Seminar

Forschung

 Die Forschungsarbeiten der Abteilung für Skandinavistik am Englischen Seminar richten sich in ihren Schwerpunkten auf Fragen der Literaturtheorie und Ästhetik, der mittelalterlichen Poetik sowie des kulturellen und literarischen Transfers im Mittelalter. Es wird sowohl in Einzelprojekten als auch in interdisziplinären Forschungsverbünden im Rahmen von Promotionsverbünden gearbeitet.

 

Nur noch wenige freie Plätze   Jun.Prof. Dr. Rebecca Merkelbach

► ‘The Other Sagas: A New Reading of the “Post-Classical” Sagas of Icelanders’ (Abgeschlossen)

Im Rahem dieses DFG-geförderte Projekts wurde eine Gruppe von Texten, die mehr als ein Drittel der Íslendingasögur ausmacht, umfassend neu gelesen. Frühere Forschung ging davon aus, dass diesen ´postklassischen´ Sagas die sozialen Aspekte fehlten, die als charakteristisch für die ´klassischen´ Sagas gelten. Stattdessen wurden ihnen eine binär aufgebaute Handlung zugeschrieben, die aus dem Konflikt zwischen übertrieben gezeichneten Heldenfiguren und in Einzelepisoden auftretenden paranormalen Gegenspielern besteht. In neueren Studien werden zunehmend ´klassische´ und ´postklassische´ Sagas nebeneinander gelesen, was zeigt, dass nur ein umfassender Ansatz es erlaubt, diese Gattung in ihrer Gesamtheit zu verstehen. Frühere Wertungen wurden jedoch bislang nicht aufgegriffen und das ´postklassische´ Korpus nicht als Ganzes betrachtet, so dass eine umfassende Lektüre aller ´postklassischen´ Sagas den Ausgangspunkt des Projekts bildete.

Anstatt von einer Dichotomie aus Held und Paranormalem auszugehen, wurde der Sagakonstruktion eine Dreiecksbeziehung zwischen dem Einzelnen, dem Paranormalen und dem Sozialen zugrunde gelegt. Jeder dieser Aspekte wurde zunächst einzeln betrachtet, ebenso wie die Fälle, in denen die Grenzen zwischen ihnen verschwimmen. Außerdem wurde ein neuer Ansatz für die vermeintliche Fiktionalität und den Eskapismus dieser Sagas formuliert der auf ´possible worlds theory´ (PWT) basiert. Somit wurden narratologische Theorien zusammen mit soziologischen und psychologischen Ansätzen zu sozialer Interakton, Trauma und Zugehörigkeit angewandt, um ein umfassenderes Bild von Erzählstruktur, Figurenkonstruktion, Begegnung mit dem Paranormalen, sozialer Vernetzung, sowie des Weltenbaus dieser Sagas zu erhalten. Diese umfassende Methodik ermöglichte es, diese Texte von ihrem soziokulturellen Hintergrund und als Widerspiegelung der realen Belange zu lesen, die in ihre Erzählwelten eingeartbeitet wurden.

Diese gründliche Neubewerung der Erzählungen, der Interaktionen zwischen den Figuren und ihres sozialen Kontextes trägt zu einem umfassenderen Verständnis des Íslendingasögur als Ganzes bei. Sie hat zudem neue Untersuchungsbereiche in der altnordistischen Forschung erschlossen, insbesondere PWT-informierte Lesarten. Abschließend wurde gezeigt, dass die ´postklassischen´ Sagas in ihrem spätmittelalterlichen Kontext betrachtet werden müssen, in dem sie keine Abweichung von der Norm darstellen, sondern Teil einer größeren Auseinandersetzung mit soziokulturellen Entwicklungen sind, die sich auch in anderen Gattungen widerspiegelt.

 

Bereits belegt   Prof. Dr. Stefanie Gropper (em.):

► Projekt MoMod (Modes of Modification)

in Zusammenarbeit mit Karl-Gunnar A. Johansson (Oslo), Anna Horn (Oslo), Jonatan Petterson (Stockholm), Massimiliano Bampi (Venedig) und Elise Kleivane (Oslo).
https://www.hf.uio.no/iln/english/research/projects/modes-of-modification/index.html

Das Teilprojekt „Texts in the Insular Distance. Narrative Concepts in Medieval Icelandic Literature“ untersucht, nach welchen Selektions- und Bewertungskriterien die anonym überlieferten Íslendingasögur einen Platz im literarischen System des isländischen Mittelalters erhielten und wie sich diese Kriterien im Lauf der Überlieferungsgeschichte der Texte veränderten.

► SFB 1391 Andere Ästhetik: Teilprojekt B05 "Narrative (Selbst-) Reflexion in den Isländersagas" (Abgeschlossen)

https://uni-tuebingen.de/forschung/forschungsschwerpunkte/sonderforschungsbereiche/sfb-andere-aesthetik/forschungsprojekte/projektbereich-b-manifestationen/b5-gropper/

https://uni-tuebingen.de/forschung/forschungsschwerpunkte/sonderforschungsbereiche/sfb-andere-aesthetik/

► The Íslendingasögur as Prosimetrum (ISAP)

The Íslendingasögur as Prosimetrum

 

Ohne Teilnehmerbegrenzung   Dr. Anna-Katharina Heiniger

Dr. Anna Katharina Heiniger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin (Postdoc) im SFB 1391 Andere Ästhetik und ist mitverantwortlich für das Teilprojekt "Narrative (Selbst-)Reflexion in den Isländersagas," das von Professorin Stefanie Gropper geleitet wird (https://uni-tuebingen.de/de/160780). Das Teilprojekt geht der Forschungsfrage nach, inwiefern die scheinbar beiläufig eingeworfenen Erzählerkommentare in den Isländersagas Rückschlüsse auf ästhetische Ansprüche an diese Texte bzw. deren literarisches Selbstverständnis erlauben.

Meistens hält sich der Erzähler der Isländersagas im Hintergrund und nimmt eine unauffällig neutrale, objektive Haltung ein ohne gross Gefühle oder seine eigene Meinung zu Tage treten zu lassen. Immer wieder kommt es jedoch vor, dass er das Geschehen kommentiert, indem er auf die Meinung anderer Leute oder der Allgemeinheit verweist, sich auf frühere Passagen in der Erzählung bezieht oder anzeigt, dass eine gewisse Zeitspanne vergangen ist. Man trifft daher wiederholt auf Phrasen wie "sem fyrr var sagt/ritat" ('wie zuvor erzählt/geschrieben wurde'), "nú er frá því sagt" ('nun wird davon erzählt'), "þat segja sumir menn" ('dies sagen manche Leute'), "Þess er getit eitt sumar" ('es wird erzählt, dass eines Sommers...'). In diesen Kommentaren tritt die Erzählinstanz kurz zurück von ihrer ansonsten überlegenen Haltung und gibt einen Teil der Verantwortung über das Erzählte zugunsten von extranarrativen Quellen ab. Diese werden jedoch meist nicht näher identifiziert und verifiziert, aber scheinen dennoch als verlässlich genug eingeschätzt zu werden.

Das Teilprojekt B05 geht der Hypothese nach, dass sich an Hand dieser kurzen Ausbrüche des Erzählers aus seiner gewohnten Haltung eine Möglichkeit ergibt, sowohl narrative, und damit verbunden ästhetische Strategien in den Sagas zu entdecken, als auch das literarische Selbstverständnis der Isländersagas zu ergründen. Im Zuge der Textanalysen und -diskussion werden sich fließende Übergänge (unter anderem) zu den Diskursen des Verhältnisses von Oralität und Literarizität, Fragen nach dem Genre und der Datierung von Manuskripten ergeben, wobei Letzteres kein Kerninteresse des Teilprojektes darstellt. Es ist in erster Linie an narrativen, semantischen, generischen und letztlich auch sozialen und performativen Strategien und Prozessen interessiert.

 

Ohne Teilnehmerbegrenzung   Juliane Witte, MA

► 'Þú er it mesta forað: The Role of Anger and Social Monstrositz in the Depiction of Women in Old Norse Literature'

Juliane Witte ist seit Oktober 2022 Doktorandin bei der Abteilung für Skandinavistik. In ihrer Dissertation untersucht sie die Rolle weiblicher Charaktere in der altnordischen Literatur durch den zweigleisigen Ansatz von Emotionsforschung und der sozialen Monstrosität. Während der Rahmen der Arbeit aus der vergleichenden Analyse hervorgeht, ist sie in diesen beiden Ansätzen verwurzelt, um die Spannungen herauszuarbeiten, die in der Darstellung dieser weiblichen Figuren eine Rolle spielen. Die Emotionsforschung, insbesondere die Analyse der Darstellung weiblicher Wur, dient als Ausgangspunkt für die Hinterfragung der Gesamtdarstellung weiblicher Figuren, der ihnen auferlegten Annahmen und der unterschiedlichen narrativen Aufgaben, die sie erfüllen müssen. Die Verwendung der Theorie der sozialen Monstrosität bietet der Forschung die Möglichkeit zu diskutieren, auf welche Weise die Darstellung weiblicher Charaktere sie sowohl als monströse Charaktere als auch als Repräsentanten sozialer Spannung positioniert.

Ein wichtiges Element dieser Arbeit ist die vergleichende Analyse der altnordischen Literatur mit den altenglischen und mittelhochdeutschen Literaturen. Zwar liegt der Schwerpunkt dieser Arbeit auf der altnordischen Literatur, doch der Vergleich mit anderen mittelalterlichen Literaturen vertieft unser Verständnis der weiblichen Charaktere und ermöglicht auch eine Neubewertung früherer Annahmen, die aus früheren Studien zur "germanischen" Literatur stammen. So werden Texte aus dem Íslendingasögur-Korpus vertreten sein, und ebenso die Heldengeschichten aus der Lieder-Edda und Elemente der fornaldarsögur behandelt werden. Aus dem Altenglischen wird Beowulf behandelt, während das Mittelhochdeutsche durch Das Nibelungenlied und Die Klage vertreten ist.