Bericht zum Vortrag am 05.12.2016 „Schuss vor den Bug oder Rückenwind für eine kriminelle Karriere? Ergebnisse einer Evaluation des sogenannten Warnschussarrests“
im Rahmen des Kriminologisch-kriminalpolitischen Arbeitskreises
Nach einleitenden Worten von Prof. Dr. Jörg Kinzig stellte der Referent, Dr. Dirk Baier, Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, vor einem breiten Publikum in der Universität Tübingen ausgewählte Ergebnisse einer empirischen Untersuchung des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachen (KFN) zum sog. Warnschussarrest (§ 16a JGG) vor. Der Begriff Warnschussarrest umschreibt die Möglichkeit des Jugendgerichts, neben einer Jugendstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wird, einen Jugendarrest zu verhängen.
Zunächst zeigte der Referent anhand der Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik einen Rückgang der Jugendkriminalität in Deutschland innerhalb der letzten Jahre auf. Dennoch entschied sich der Gesetzgeber im Jahr 2013, den Warnschussarrest in § 16a JGG in das Gesetz aufzunehmen. So solle beim Jugendlichen mit dieser neuen Sanktion Verständnis für das Unrecht seines Verhaltens geweckt werden („Knastluft schnuppern“). Denn Bewährungsstrafen würden Jugendliche als „Freispruch zweiter Klasse“ wahrnehmen, wenn die Jugendstrafe nicht vollstreckt werde.
Hauptziel des KFN-Forschungsprojektes war es, die Wirkungen des Warnschussarrests rechtstatsächlich zu erschließen und die Maßnahme auf ihre rechtspraktische Anwendung und ihre Ausgestaltung im Vollzug zu untersuchen. Methodisch führte das Team um den Referenten Aktenauswertungen durch, die durch Befragungen von Praktikern und Arrestanten und durch Auswertungen der Strafverfolgungsstatistiken ergänzt wurden: Aus den Strafverfolgungsstatistiken ergäben sich, so der Referent, deutliche lokale Unterschiede in der Verhängungspraxis der Maßnahme, die vermutlich auf verschiedene Rechtskulturen in den jeweiligen LG-Bezirken zurückgingen. Die bundesweite Aktenanalyse aus 27 LG-Bezirken (Stichprobe) bezog sich auf 1.598 Akten, von denen 213 Akten einen Warnschussarrest enthielten. Die Auswertungen ergaben, dass Warnschussarrestanten u.a. jünger, häufiger männlich, seltener Eltern und stärker versatil als Verurteilte einer Vergleichsgruppe seien, die nur eine Jugendstrafe zur Bewährung erhielten. Bedeutsame Unterschiede zwischen Verurteilten mit und ohne Warnschussarrest ergab die Auswertung aber nicht. Immerhin jeder fünfte Arrestant habe entgegen der Regel des § 16a Abs. 2 JGG vor dem Warnschussarrest 2 schon einmal einen Dauerarrest verbüßt. Mit Hilfe eines umfangreichen Fragebogens konnten außerdem 894 Praktiker (Jugendrichter und Staatsanwälte, Jugendgerichtshelfer, Bewährungshelfer) zu persönlichen Einstellungen und Wahrnehmungen zum Warnschussarrest (Entwicklung der Kriminalität, Punitivität, Ursachen von Jugendgewalt usw.) befragt werden. Mehr als die Hälfte der Befragten hatte keine Erfahrungen mit der Maßnahme. Die Mehrheit ordnete sie sowohl erzieherisch als auch strafend ein. Knapp 70% der Interviewten befürworten die unveränderte Beibehaltung des § 16a JGG.
Die Befragungen von Arrestanten beschränkten sich aufgrund einer sehr geringen Rücklaufquote auf 41 Teilnehmer. Die Hälfte hatte bereits Hafterfahrung. Etwa 80 % gaben an, durch den Warnschussarrest eingesehen zu haben, für die Straftaten „gerade stehen zu müssen“. Immerhin 40 % sahen einen Nutzen im Arrest für sich selbst; fast genauso viele fühlten sich durch den Arrest aber aggressiver als zuvor.
Eine erste Rückfalluntersuchung bezog sich auf Bundeszentralregister- und Erziehungsregistereinträge aller Probanden der Aktenanalyse. Die Rückfallquote lag für Warnschussarrestanten bei 32,5%, für Verurteilte ohne Warnschussarrest bei 35,2%. Statistisch ist dieser Unterschied nicht signifikant. Einschränkend zur Aussagekraft dieser Zahlen verwies der Referent aber auf die relativ kleine Stichprobe. Im Rahmen der Arrestantenbefragung gaben 46% an, nach dem Warnschussarrest rückfällig geworden zu sein.
Zusammenfassend stellte Dirk Baier fest, dass der Warnschussarrest weder nutze noch schade. Deshalb empfahl er, auf diese Sanktion zukünftig zu verzichten. Dem Vortrag schloss sich eine lebhafte Diskussion mit interessanten Anregungen der Beteiligten an. Als Fazit hielt der Referent fest: „Der Warnschussarrest ist weder Schuss vor den Bug noch Rückenwind für eine kriminelle Karriere.“
Toni Böhme