Vor dem Hintergrund multipler sozialer und ökologischer Krisen, gesellschaftlichen Komplexitätssteigerungen und parallel dazu laufender wissenschaftlicher Spezialisierung, muss auch eine moderne Geographie stets reflektieren, wie sie Gegenwart beobachtet und Zukunft beschreibt. Die Auswahl von Forschungsgegenständen, die Abgrenzung von Raumausschnitten und die Festlegung einer Perspektive, aus welcher ein identifiziertes Problem untersucht wird, verlangen ein kontingentes Setzen von Unterscheidungen. Dies muss Gegenstand jener Reflexion sein, welche jedoch, folgen wir der Diagnose der Disziplinhistorikerin Ute Wardenga, in Teilen ausbleibt: „Im Augenblick sind wir in der Humangeographie […] leider viel zu wenig miteinander im Gespräch. Wir zerfallen aus nachvollziehbaren Karrierelogiken in winzige internationalisierte Grüppchen, die sich wechselseitig in ihrer je spezifischen Blase verstärken“ (Korf et al., 2024, S. 12). Folglich dienen zwar der Austausch bei Konferenzen und Tagungen, die gemeinsame Bearbeitung von Forschungsschwerpunkten durch Arbeitskreise oder Kooperationen in Projektarbeit und im Publikationsbetrieb einer Annäherung der verschiedenen Grüppchen, löst jene Geschlossenheit jedoch keineswegs auf.
Eine erste Herausforderung besteht folglich darin, Offenheit zu wahren und dies u.a. durch die Anerkennung verschiedener Paradigmen und mittels einer grundlegenden Bereitschaft, vermehrt ins Gespräch zu kommen. Eine zweite Herausforderung resultiert aus dem Spannungsverhältnis zwischen Außen- und Innenwahrnehmung einer etablierten Disziplin. Die Geographie kann sich aus zahlreichen Gründen als eine bedeutende Wissenschaft der Zukunft präsentieren, wird in Nachbardisziplinen, im nicht-wissenschaftlichen Publikum sowie von Schüler*innen und damit potenziellen Studierenden jedoch nur teilweise als solche wahrgenommen. Dies hat vielfältige Gründe. Drittens besteht stets eine Herausforderung der Geographie in der nicht abschließbaren Diskussion um die Definition der Kontingenzformel Raum (Goeke & Moser, 2011). Die Erweiterung von Raumerfahrungen in virtuellen Räumen oder die steigende Relevanz eines potenziellen Metaverse dynamisieren dies und erfordern eine Reaktion, insofern eine moderne Geographie darauf abzielt, jene Räume als Forschungsgegenstände nachhaltig zu erschließen.
Mit dieser Bestandsaufnahme leiten wir drei Ziele ab, welche wir durch Interviews im Podcast-Format sowie darauf aufbauende Buchbeiträge erreichen wollen. Wir möchten erstens den verschiedenen Vertreter*innen der Geographie und benachbarten Disziplinen eine Möglichkeit bieten, ins Gespräch zu kommen und Verbindungslinien zwischen einzelnen Grüppchen zu identifizieren. Zweitens entwickeln wir damit ein Format, um die Außenwahrnehmung der Geographie zu steigern und dem nicht-wissenschaftlichen sowie wissenschaftlichen Publikum darzulegen, welche Fragestellung eine moderne Geographie wie beantworten kann. Drittens möchten wir Interviewpartner*innen sowie Zuhörer*innen dahingehend motivieren, das Nachdenken über Raum vielfältig zu eröffnen, jedoch zugleich nicht abzuschließen und als Aufgabe einer Disziplin und Gesellschaft zu betrachten, die durch Digitalisierung und Algorithmisierung herausgefordert ist.
Der philosophische Hintergrund unseres Podcasts ist der Neopragmatismus, der kontinentaleuropäische Sprachphilosophie und amerikanischen Pragmatismus verbindet (Rorty 2023). Zentral für diese Philosophie ist die Inklusion. Es geht darum, das Verbindende zu suchen und diskursive Unterschiede als Ressource zum Auffinden für Lösungen von Problemen zu suchen und nicht dazu zu entwickeln, um anderes auszuschließen. Zentrales Instrument hierfür ist es, im Gespräch miteinander zu bleiben (Müller 2021), was uns mit dem Format des Podcasts gelingen soll.
Quellen:
- Goeke, P., & Moser, E. (2011). Raum als Kontingenzformel der Geographie: Zu den Ausdifferenzierungsbesonderheiten und -schwierigkeiten einer Disziplin. Soziale Systeme, 17(2), 234-254. https://doi.org/10.1515/sosys-2011-0204
- Korf, B., Rothfuß, E., & Wardenga, U. (2024). Disziplinhistorische Tauchgänge zur German Theory: Ein Gespräch mit Ute Wardenga über die deutsche Länderkunde und Landschaftsgeographie. Geographica Helvetica, 79(1), 1–13. https://doi.org/10.5194/gh-79-1-2024
- Müller, M. (2021). Rorty lesen. Springer VS. https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-658-33550-2
- Rorty, R. (2023). Pragmatismus als Antiautoritarismus (J. Schulte, Übers.) (E. Mendieta, Hg.). Suhrkamp.