Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 2/2010: Leute

Nachruf auf einen skeptischen Moralisten

Zum Tod von Professor Dr. Klaus-Peter Philippi ein Nachruf von Jürgen Schröder

Wer ihn kannte, der weiß: Klaus-Peter Philippi, Professor am Deutschen Seminar der Universität Tübingen, war allen Ritualen und Zeremonien abhold, vor allem den akademischen. Zuletzt, bei seiner Pensionierung im Juli 2005, sprach er es ganz unverblümt aus: "nirgends wird bekanntlich so viel gelogen wie bei Verabschiedungen und Beerdigungen."

Und so fühle ich seinen kritischen Blick auch noch auf diesen Sätzen ruhen. Soll er hier mit den üblichen Formeln für die üblichen Leistungen eines Professorenlebens charakterisiert werden? Wird das Vokabular der traditionellen Würdigungen nicht sein persönliches und unverwechselbares Profil verwischen?

Der Germanist und Literaturwissenschaftler Philippi hat zwar alle Ansprüche, die diese Formeln und Würdigungen voraussetzen, mehr als erfüllt: er hat nach dem Studium der Fächer Deutsch, Geschichte, Philosophie und Politikwissenschaft in Erlangen, Wien und Tübingen mit einer Arbeit über Kafkas Roman "Das Schloß" promoviert (1965), er hat sich mit einer umfangreichen Untersuchung zur "Ästhetik des modernen Romans" auf der Grundlage von Kants "Kritik der Urteilskraft" habilitiert (1977). Er war als Assistent (bei Richard Brinkmann) und als Akademischer Rat (ab 1970) tätig, bevor er 1980 zum Professor ernannt wurde. Er hat sich in den Reformjahren der Universität hochschulpolitisch wirkungsvoll engagiert und mit seiner Mitarbeit an dem berühmten Tübinger Band "Methodendiskussion. Arbeitsbuch zur Literaturwissenschaft" (1971) auch die fällige Studienreform der Germanistik vorangetrieben. Er hat durch seine Studien im Grenzgebiet von Philosophie, Literatursoziologie, Methoden- und Wissenschaftstheorie originelle Anstöße gegeben und 1979 ein wichtiges ideologiekritisches Buch unter dem Titel "Volk des Zorns. Studien zur 'poetischen Mobilmachung' am Beginn des Ersten Weltkriegs" veröffentlicht. Und natürlich hat er eine Menge anregender Aufsätze unter anderem über Goethe, Robert Walser, Franz Kafka, Ernst Jünger, Hermann Hesse, Herrmann Lenz und Günter Grass geschrieben und publiziert, war erfolgreich in Lehre und Forschung und – dem abseitigen und stillen Robert Walser besonders zugetan.

Dennoch wird er noch anders in unserer Erinnerung bleiben. Wie, dafür hat sein Freund und Kollege Hans-Georg Kemper in seiner Abschiedsrede sehr genaue Worte gefunden:

Klaus-Peter Philippi wurde mit den Jahren zu einer "Autorität aus eigenen Gnaden, niemandes Knecht, ohne eigene Knechte und keiner bedürftig, Theorie-versiert, aber keiner hörig, die Freiheit des Denkens verteidigend und einfordernd, stets auf Wahrung und Hebung des Fach-Niveaus und seiner organisatorischen Bedingungen bedacht. Für diese Ziele ging er auch Auseinandersetzungen nicht aus dem Weg, übernahm zahlreiche Ämter und Positionen: von Vertretungen im Großen und Kleinen Senat sowie in der zentralen Strukturkommission der Universität bis zum Prodekanat für das Prüfungswesen der Fakultät und zum langjährigen Vorsitz ihres Promotionsausschusses. Auf sein kompetentes und dezidiertes Urteil konnten wir uns stets verlassen. Tolerant war er gegenüber den methodischen Verfahren, intolerant gegenüber mangelndem Niveau. So war er auch in der Lehre: fordernd und fördernd, streng in der Sache, denn Philologie erfordert den genauen Blick."

Bis zu seiner Pensionierung im Jahre 2005 war er die unbestechliche 'Unruh' in der Uhr der Neuphilologischen Fakultät: er sorgte dafür, dass sie 'richtig ging'! Karriere- und Prestige-Denken, Ämterdünkel, Tabus und Denkblockaden reizten ihn zu Spott und Widerspruch. Da konnte er scharfzüngig und sarkastisch werden und jugendliche Streitlust kam in seine Stimme.

Über Siegfried Unselds Hesse-Dissertation bemerkte er in einem Vortrag vor der Hesse-Gesellschaft: "Bei mir hätte er mit dieser Dissertation nicht promoviert werden können." Und als er Hans Mayer in einer Rezension ganz unverblümt die geschäftstüchtige Mehrfachverwertung seiner Texte nachwies, zog er sich dessen bleibenden Zorn zu – aber er trug ihn weitaus souveräner als Hans Mayer die ungewohnte Kränkung. Denn auch Rang und Namen mussten sich vor ihm ausweisen, bevor er sie respektierte.

Bis zuletzt, schon mitten in der tödlichen Krankheit, schrieb er Rundbriefe an seine Freunde – voll von stoischer Gelassenheit und Selbstironie. Am 28. April 2010, kurz vor seinem siebzigsten Geburtstag, ist Klaus-Peter Philippi gestorben.

Professor Dr. Jürgen Schröder