Am 26. Januar 2019 verstarb Thomas Oppermann, Professor für Öffentliches Recht einschließlich Europarecht und Völkerrecht. Das zukunftsgerichtete, globale Denken dieses deutschen Europäers strahlt weit über Universität und Land hinaus. Besonders im Europarecht stehen wir auf den Schultern eines großen Werkes und Wirkens.
Der Tübinger Juristenfakultät gehörte der Gelehrte seit 1967 an. Ihr und der Eberhard-Karls-Universität, denen er auch als Dekan und Vizepräsident diente, blieb er trotz Rufen nach Bonn und Hamburg bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1999 treu. Zu seinen Ehren veranstaltete die Fakultät im Jahr 2016 anlässlich seines 85. Geburtstags ein von ihm thematisch angeregtes und intellektuell geprägtes „Rechtsgespräch über Russland“.
Als Sohn einer Kunsthistorikerin und eines Altphilologen geboren, studierte Thomas Oppermann in Frankfurt a. M., Lyon, Freiburg i.Br. und Oxford. Mit einer Arbeit zum englischen Wahlrecht bei Joseph H. Kaiser und Konrad Hesse promoviert, wechselte er als Assistent und Habilitant zu Herbert Krüger nach Hamburg.
Im Jahr 1960 unterbrach er für mehrere Jahre die Arbeit an seiner verwaltungsrechtlichen Qualifikationsschrift, um in der Europa-Abteilung des Bonner Wirtschaftsministeriums am Auf- und Ausbau der europäischen Rechtsgemeinschaft mitzuwirken. Frühzeitig erwarb er damit Praxiserfahrung und Schlüsselkontakte.
Im Bonn-Brüsseler Kosmos fand der 29-Jährige sein Lebensthema: die wissenschaftlich-praktische Begleitung der Integration der konfliktbelasteten Ländermasse Europa. Als entschiedener Befürworter der sozialen Marktwirtschaft und des Subsidiaritätsprinzips bejahte Thomas Oppermann zeitlebens den wirtschafts- und sozialpolitischen Reformdruck des europäischen Friedens- und Gemeinschaftswerkes ebenso wie das haltgebende Weiterbestehen der Mitgliedstaaten, zumal ihrer föderalen und regionalen Glieder.
Im Jahr 1967 in Hamburg habilitiert, erhielt der 36-Jährige Rufe nach Bochum und Tübingen. Zum Wintersemester 1967/68 wechselte er an den Neckar. Der Kollegenkreis – Günter Dürig und Otto Bachof, um nur zwei Öffentlichrechtler zu nennen – war unübertroffen, die beginnende „Kulturrevolution“ eine fachliche Herausforderung für den konservativ-liberalen Experten im Kulturverwaltungsrecht.
Thomas Oppermanns Freude an einer kontinuierlichen, am gesicherten Recht orientierten Lehre und Forschung trug reiche Früchte, im Verfassungs- wie im Völkerrecht, im Europa- wie im Weltwirtschaftsrecht. Fünf seiner „Schüler“ wurden durch Habilitation Kollegen. Im Übrigen mag der Hinweis auf das methodisch wie systematisch herausragende Lehrbuch des Europarechts genügen (8. Auflage 2018, seit der Vorauflage zusammen mit Claus Dieter Classen und Martin Nettesheim verfasst), ein Werk, mit dem und einer Kaskade einschlägiger tief dringender Aufsätze der Gelehrte zum „Europapapst“ wurde.
Im Völkerrecht qualifizierte Thomas Oppermann den in der UN-Charta vorgesehenen, durch Vetos im Sicherheitsrat blockierten Kollektivzwang als „Verbotsrigorismus ohne Vollzugsautorität“. Das von einer primär gouvernementalen Grundposition ausgehende verfassungsrechtliche Denken des Verstorbenen kreiste um den Schutz und die Funktionsfähigkeit des supranational integrierten Staates in einem globalen Umfeld, in dem der Wille zum Recht knappes Gut ist.
Thomas Oppermanns praktisch-juristisches Tun und wissenschaftliches Wirken wurden mit dem Großen Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschlang ausgezeichnet. In den Jahren 1985 bis 1993 war er Mitglied des Staatsgerichtshofs für das Land Baden-Württemberg. Die Universitäten Aix-en-Provence und Piräus verliehen ihm den Dr. h.c., die Deutsche Gesellschaft für Völkerrecht und ebenso das „Kardinalskollegium“ der Deutschen Staatsrechtslehrervereinigung wählten ihn zum Vorsitzenden. Gastprofessuren führten ihn u.a. nach Chicago, Jerusalem und Yokohama. Hellwach und nachdenklich beriet er Ministerpräsident Erwin Teufel beim Europäischen Verfassungskonvent in Brüssel. Von Jugend an dem europäischen Deutschland verpflichtet, bekannte er sich zeitlebens zugleich zur „Zugehörigkeit zum Ganzen“, zur „Welt-Ebenbürtigkeit“ (Rainer Maria Rilke).
Als Persönlichkeit vereinigte Thomas Oppermann Weltumsicht, Gelehrsamkeit und Augenmaß mit selten gewordenen Eigenschaften des Herzens: mit Achtung für die Freiheit des anderen, mit ritterlichem Engagement für die ihm anvertrauten Personen, Ämter und Institutionen, mit unermüdlicher Freude an Menschen, am Gespräch, an Freundschaften. Gesegnet mit einer geliebten Ehefrau und einer blühenden Familie, denen unser tiefes Mitgefühl gilt, war dieses Leben in jeder Hinsicht ein vollständiges, ein geglücktes Leben.