Geschichte des Instituts
Das Institut für Medienwissenschaft gehört zur Philosophischen Fakultät und besteht seit Oktober 2010. Seine wissenschaftlichen Grundlagen wurden aber schon in den frühen 1970er-Jahren gelegt. Damals begann der Tübinger Linguist Erich Straßner mit seinen Kollegen, die Sprache der Rundfunk- und Fernsehnachrichten zu untersuchen. Sie kritisierten die „enorme Komplexität“, die „fast kriminellen Schachtelungen“ und den „Zaun von Sprache“, der die Medienkonsumenten „anfällig macht für Manipulation“ (Der Spiegel 29/1972, S. 103). Viele Journalisten reagierten zunächst empört, begannen dann aber, über das eigene Handwerk nachzudenken. Die Tübinger Wissenschaftler wurden eingeladen, die Journalisten zu schulen. Es begann eine jahrzehntelange Forschungstätigkeit in ständigem Austausch mit der Praxis. Auf dieser Basis entstand unter der Leitung von Manfred Muckenhaupt der Aufbaustudiengang „Medienwissenschaft – Medienpraxis“, der 1991 als erster medienwissenschaftlicher Studiengang der Universität Tübingen eingerichtet wurde. Er war die Keimzelle, aus der heraus sich das heutige Institut für Medienwissenschaft entwickelte.
Wegbereiter des Instituts
Erich Straßner - Ein Pionier der engagierten Medienforschung
1972 machten ein paar Sprachwissenschaftler mit einem Angriff auf eine ganze Berufsgruppe von sich reden. Unter Erich Straßner, der soeben von Erlangen nach Tübingen berufen, waren Rundfunknachrichten auf ihre Verständlichkeit untersucht worden. Das Resultat war niederschmetternd. Die Journalisten, so der Befund, produzierten Texte von „enormer Komplexität“ mit „fast kriminellen Schachtelungen“. Die Anklage lautete: „Die Chancenungleichheit auf dem gesamten Bildungssektor wird auch auf den Informationssektor übertragen.“
Mit dieser Thematik exponierte sich ein Sprachwissenschaftler im gesamten deutschen Sprachraum, von dem man es seiner Ausbildung nach nicht erwartet hätte. Er hatte ein klassisches philologisches Studium hinter sich und war 1966 in Erlangen mit einem Band des Historischen Ortsnamenbuchs von Bayern promoviert worden. Es war der Teil, in dem auch Treuchtlingen vorkommt, sein Geburtsort, an den er sein Leben lang regelmäßig zurückkehrte.
Die Liebe zu Sprachgeschichte und Sprachgeographie einerseits, politisches Engagement und das Interesse für Medien andererseits kennzeichneten auch in der Folge das Werk Erich Straßners. In seiner Habilitationsschrift untersuchte er die Entwicklung der geschriebenen Sprache seit dem Frühneuhochdeutschen. In einem weiteren Buch setzte er sich für eine neuzeitliche Form des Deutschunterrichts ein. Es folgten Beiträge zur ideologischen Funktion von Sprache wie auch zur internationalen Rolle des Deutschen über die Jahrhunderte hinweg.
Von besonderer Bedeutung für Tübingen ist sein Engagement für Medienlinguistik und Medienwissenschaft. Unvergessen bleibt sein unerschrockenes Sondervotum in den 1970er Jahren für eine qualitativ ausgerichtete Medienwissenschaft, die in der damals sozialwissenschaftlich verstandenen Publizistik noch als Fremdkörper verstanden wurde.
Schon in den 1970er und 80er-Jahren leitete er Forschungsprojekte zur Verständlichkeit der Fernsehnachrichten und zur Sprache der frühesten Zeitungen. Später erschienen Monographien zu einzelnen Medien („Zeitung“, „Zeitschrift“, „Text-Bild-Kommunikation“). In Gemeinschaft mit Kollegen aus angrenzenden Fächern gab er ein dreibändiges Handbuch der Medienwissenschaft heraus. Von 1980 bis 2004 war er zudem Mitherausgeber der Niemeyer-Reihe „Medien in Forschung und Unterricht“.
Aber nicht nur die analytische Untersuchung der Medien war ihm ein Anliegen. Erich Straßner wollte den Studierenden sprachlicher Fächer den Weg in die Berufspraxis ebnen. Er initiierte einen Aufbaustudiengang mit der Bezeichnung „Medienwissenschaft –Medienpraxis“. Daraus entstanden Jahre später die heutigen medienwissenschaftlichen Studiengänge und das Tübinger Institut für Medienwissenschaft.
Unzählige Medienleute haben bei Erich Straßner studiert. Lehrstuhlinhaber der Linguistik und der Medienwissenschaft kommen aus seinem Stall. „Ich habe bei Straßner studiert“, das ist bis heute eine in dankbarer Erinnerung geäußerte Anerkennung an einen bewundernswerten akademischen Lehrer und Forscher. Ihm war es immer wichtig, nicht nur als Forscher, sondern auch als Lehrer zu wirken. Er hat es als Verpflichtung der Wissenschaft verstanden, Forschungsergebnisse zur Verständlichkeit der Nachrichtensprache in den Redaktionsstuben zu verbreiten. Auf ihn gehen z.B. die Grafik- und Schrifteinblendungen in der Tagesschau und der heute-Sendung zurück. In der Rückschau erzählte er über seine zahllosen Fortbildungsveranstaltungen mit Nachrichtenredaktionen gerne: „Die sind alle schon bei mir auf der Coach gelegen.“ Nicht nur das, die Zahl der Straßner-Schüler in Presse-, Hörfunk- und Fernsehredaktionen ist Legion.
Am 7. Mai 2012 ist Erich Straßner nach langer und schwerer Krankheit in Mössingen gestorben. Er wollte keine offizielle Begräbnisfeier. Aber einem Text zu seinem 80. Geburtstag hätte er sicher nicht widersprochen.
Noch wenige Tage vor seinem Tod hat er an umfangreichen sprachwissenschaftlichen Werken gearbeitet, die jetzt zur Veröffentlichung vorbereitet werden. Mit ihrer Thematik, der Sprachgeschichte seit der frühen Neuzeit, und mit einem Schwerpunkt auf der Entwicklung einer für die Massenmedien tauglichen Sprache schaffen sie eine Verbindung zwischen Erich Strassners philologischer Herkunft und seinen pionierhaften Beiträgen zur Medienwissenschaft.