International Center for Ethics in the Sciences and Humanities (IZEW)

It’s the youth, stupid.

von Katharina Wezel

20.04.2020 · In diesen Wochen taucht die Frage nach einer Zukunft nach Corona langsam in Gesprächen wieder auf. Und trotzdem scheint es unangenehm, sie laut zu stellen. Wie genau soll diese Zukunft aussehen? Dabei ist die Frage eine zutiefst solidarische und eine Chance, junge Menschen rechtzeitig miteinzubinden.

Über eines scheinen sich Katastrophenschützer*innen und Klimaaktivist*innen dieser Tage einig zu sein: So wie bisher, so geht es nicht weiter. Katastrophenforscher Prof. Martin Voss ist sich in einem Interview mit der taz sicher, dass ein Wertewandel dieser Krise folgen muss, und „dass wir in allen Bereichen des Lebens von tagespolitischen Themen auf Grundsatzfragen umschwenken werden“. Wie können wir uns diesen Wandel vorstellen? Wer darf ihn verhandeln? Wie kann das neue Normal aussehen? Antworten darauf bleiben (noch) aus.

Es ist vielleicht zu früh, um konkrete politische Aussagen darüber zu treffen, wie sich die Covid-19 Krise gesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich in den kommenden Wochen entwickeln wird. Die Frage nach der Zukunft scheint trotzdem viele zu belasten und ist dabei kaum greifbar, denn sie ist schwer zu beantworten. Sie schlägt sich stattdessen in Diskussionen nieder über das Fehlverhalten einzelner Generationen – sind es nun „die Jungen“, die zu viele Coronapartys feiern, oder doch „die Alten“, die zu ungern auf ihr Pläuschchen mit den Nachbarn verzichten? Etwas unbeholfen wird in der Debatte um die Coronabonds auf die Generationenfrage hingewiesen, weil junge Menschen Entscheidungen von heute in Zukunft tragen müssen. Das Argument mag in finanzieller Hinsicht zwar etwas verdreht sein, aber die Antwort darauf, wie eine Zukunft aussehen kann, die uns nicht erneut unvorbereitet in eine Krise wie diese stolpern lässt, ist eine, die maßgeblich vom Gedanken an und mit jungen Menschen geprägt werden sollte.

Das Netzwerk Plurale Ökonomik hat Anfang April einen Brief der Jugend für europäische Solidarität veröffentlicht, der dazu auffordert, die jetzige Krise nicht zur Bestehensfrage der EU eskalieren zu lassen. Louisa Neubauers Interview mit dem Stern – sie ist die führende Stimme der deutschen Fridays-for-Future Bewegung – beginnt mit dem Satz, dass die momentane Frage nach Klimapolitik ein „vermintes Feld“ darstelle, denn Konsens herrsche gemeinhin darüber, „dass jetzt Corona dran ist, Klima kommt später“ – Neubauer sieht das anders. Die Zukunftsangst sieht vielleicht im Querschnitt der Gesellschaft ähnlich aus, aber junge Menschen haben sich im Rahmen der Fridays-for-Future-Bewegung bewährt und bewiesen, dass sie fähig sind, eine alternative, eine solidarische Zukunft anzuvisieren, die es erlaubt, eine globale Krise in Angriff zu nehmen.

Manche könnten die Frage danach, wie die Zukunft nach Corona aussehen kann, als unsolidarisch empfinden, eben als Minenfeld, auf das man sich in Krisenzeiten nicht begeben sollte. Dabei wäre gerade jetzt der Moment, die Fragen zur Pandemieüberwindung zu stellen, die auch im Rahmen der Klimakrise so gerne ignoriert werden: Welche Werte sollen sich nach der Pandemie wandeln und ist ein solcher Wandel überhaupt wünschenswert? Für wen? Wie genau kann es weitergehen mit der europäischen Idee, wenn Krisenmanagement auf Nationalstaatlichkeit basiert? Wie kann die Bekämpfung des Klimawandels glücken, wenn schon die Frage danach tabuisiert wird, aus Sorge, ein Verdacht auf Unsolidarität könnte entstehen? Wie kann der Pflegesektor gestärkt werden, wenn wir doch nur Beifall klatschen und alle Strukturen bestehen bleiben wie gehabt? Müssten wir nicht auch angesichts der Klimakatastrophe unseren Lebenswandel so drastisch ändern, wie wir es angesichts der Pandemie offensichtlich für angemessen halten?

Die Frage ist auch in Krisenzeiten angebracht, warum es jahrzehntelang in Ordnung war, auf Kosten kommender Generationen zu wirtschaften und den Planeten auszubeuten, aber im Rahmen einer Pandemie wirtschaftliche und politische Mittel zur Verfügung stehen, von denen kein Fridays-For-Future-Demonstrant zu träumen gewagt hatte. Die überwiegend von jungen Menschen angestrebte Thematisierung dieser Entwicklungen signalisiert nicht, dass die momentanen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung nicht verstanden oder sogar gewünscht sind. Sie signalisiert nur, dass Fragen zur Zukunft der gesamten Gesellschaft außerhalb der akuten Pandemiemaßnahmen gerade nicht vom Tisch sein dürfen, weil Krisensituationen die Tendenz fördern, kurzfristig und status-quo-orientiert zu denken.

Dabei ist die Frage nach der Zukunft im Kern eine solidarische, denn sie erlaubt, dass wir uns schon jetzt darauf einstellen können, dass nach der Pandemie schwierige Zeiten bevorstehen, die verlangen, dass wir nicht nur über Abstandhalten nachdenken, sondern darüber, wie unser Planet und unser Zusammenleben zu erhalten sind. Eine Pandemie kann allerdings nur durch den Zusammenhalt der gesamten Gesellschaft, sozusagen quer durch die Generationen, nachhaltig überwunden werden. Und dafür ist die Einbindung junger Menschen unerlässlich. Dass dabei Zielkonflikte zwischen den Generationen entstehen, muss kein Problem sein. Ein erster wichtiger Schritt ist dabei die unangefochtene Freiheit, Fragen zu stellen. Ein zweiter Schritt wäre, junge Menschen mitentscheiden zu lassen, wie eine andere Zukunft vorstellbar ist und gemeinsam nach Antworten zu suchen, auch wenn sie vielleicht schwer auszuhandeln und noch schwerer auszuhalten sind.

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