Die Rede des Jahres 2009 hat Sigmar Gabriel gehalten. Das Seminar für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen zeichnet seine Rede auf dem SPD-Parteitag am 13. November 2009 in Dresden aus. In einer für die SPD katastrophalen Krisensituation ist es Gabriel gelungen, mit Selbstkritik, Scharfsinn und Gelassenheit, aber auch Witz und persönlicher Ausstrahlung das Vertrauen der Delegierten zu gewinnen und die Partei für ihren Weg aus der Krise zu stärken. Damit hat Gabriel diese besonders herausfordernde rhetorische Situation mit Bravour gemeistert.
Gabriel hat es in dieser äußerst brisanten Situation verstanden, eine kluge und besonnene Analyse mit einer großen Souveränität und Gelassenheit auf der Rednerbühne zu präsentieren. Trotz ihrer außerordentlichen Länge von knapp zwei Stunden wird die Rede nie langweilig und bringt an jeder Stelle das persönliche Engagement und die rednerische Präsenz
Gabriels zum Vorschein. Auf dem Parteitag gefeiert, traf die Rede auch auf ein breites publizistisches Echo.
Den Ausgangspunkt von Gabriels Rede bildet die schonungslose Feststellung: Wir haben eine historische Niederlage erlitten, obwohl wir in einer Zeit leben, die geradezu nach sozialdemokratischen Antworten schreit. Die Partei habe jedoch mehr als nur ein Kommunikationsproblem. Dieses Problem löst Gabriel nun mit Raffinement, indem er im klassisch-rhetorischen Sinne die schwächere Sache zur stärkeren macht: Zu sehr habe sich die Partei der Mitte als einem politisch-gesellschaftlichen Ort anpassen wollen und sich von ihren Grundüberzeugungen entfernt. Dabei sei die Mitte kein Ort, sondern werde durch die Deutungshoheit der Gesellschaft definiert, im gesellschaftlichen Diskurs erst geschaffen. Diese Grundeinsicht der politischen Rhetorik wird von Politikern selten offen reflektiert und ausgesprochen. Es schließt sich folgerichtig die Forderung an, dass die Partei diese Meinungshoheit die in der Rhetoriktheorie als doxa bezeichnet wird nun wieder erringen müsse. Gabriels Rede ist demnach als ein großangelegter Versuch zu verstehen, diese doxa kritisch und in Einvernehmen mit der Basis wie den unterschiedlichen Flügeln der SPD zu definieren und somit zu einer umfassenden Neuakzentuierung der politischen Landschaft zu führen.
Jury: Jasmina Gherairi, Prof. Dr. Joachim Knape, Prof. Dr. Josef Kopperschmidt, Olaf Kramer, Anne Ulrich, Peter Weit, PD Dr. Temilo van Zantwijk.
Sprecherin der Jury: Anne Ulrich
Text der Rede Video der Rede