Seminar für Allgemeine Rhetorik

Die Rede des Jahres 2001

Rolf Hochhuth: Jacob Grimm oder Angst um unsere Sprache

Das Seminar für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen hat die Rede Jacob Grimm oder Angst um unsere Sprache des Dramatikers und Essayisten Rolf Hochhuth zur Rede des Jahres 2001 gewählt.

Die Rede Rolf Hochhuths ist ein streitbares Plädoyer zur Rettung der deutschen Sprache, der deutschen Literatur freilich oft mit dem resignierten Unterton eines Kampfes für die beinahe schon verlorene Sache: Hochhuth sieht, dass Sprache nicht ein dauernder Besitz ist, deren ein Volk, eine Nation sicher sein können sondern dass Sprache verloren gehen kann, zeitweise oder auch auf ewig wie die Freiheit, die ja auch stets erneut behauptet, erkämpft werden muss. Es ist denn auch die politische Literatur, die politische Lyrik zumal, in der sich für Hochhuth politische Bedeutung und sprachliche Kraft in exemplarischer Weise verbinden. Ästhetik und Engagement gehören für ihn selbstverständlich zusammen, gegen pseudo-romantische Kunstverklärung oder naiv-rationales Politikverständnis ganz in der Tradition rhetorischer Theorie und wirkungsvoller Beredsamkeit seit der Antike.

Die humane und humanisierende Macht der Sprache droht der deutschen Politik, der deutschen Gesellschaft insgesamt verlorenzugehen. Während dem Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan keine Kosten mehr im Wege stehen, zieht sich die deutsche Außenpolitik aus kulturellen Gebieten zurück und werden Goethe-Häuser in aller Welt geschlossen. Doch nicht nur die Kenntnis der deutschen Sprache im Ausland geht zurück von ihrer Bedeutung als Amts- oder Arbeitssprache in internationalen politischen Organisationen und als Fachsprache auf internationalen wissenschaftlichen Kongressen ganz abgesehen , auch unsere alltägliche Rede verkommt zu deutsch-englischem Sprachgulasch. Doch nicht im zufälligen, vorübergehenden Konsens über Werte liegt die Wurzel einer Kultur, sondern im Medium jeder Verständigung selbst, das sogar noch im Streit die Parteien verbindet. Das Ziel kann dabei keine korrupte und zuletzt kulturell wie politisch korrumpierende Weltsprache sein, ein Funktionsenglisch auf geringstem Niveau: In einer Welt, in der alles vereinheitlicht zu werden droht, hebt Hochhuth die Wichtigkeit von Vielfalt, eben auch von Sprachenvielfalt, hervor gegen alle totalitären Ansprüche.

In einer glanzvollen Rede verteidigt Hochhuth die deutsche Sprachkultur, fordert ihren institutionellen Schutz, klagt mit scharfen Worten die Verantwortlichen der modernen Barbarei an und liefert in hoher rhetorischer Qualität ein Beispiel für die Kraft der Rede, die er so bedroht sieht.

Jury:Prof. Dr. Joachim Knape, Boris Kositzke, Olaf Kramer, Prof. Dr. Gert Ueding und Peter Weit.

Sprecher der Jury: Boris Kositzke

Text der Rede