Prof. Dr. Annette Gerok-Reiter

Mittelalter reloaded. Heldenbilder im Transfer zwischen Mittelalter und Moderne

Zweitägige interdisziplinäre Projektveranstaltung von Universität und Schule (4.5. und 11.5.2012)

Konzeption und Organisation:
Prof. Dr. Annette Gerok-Reiter (Germanistische Mediävistik, Universität Tübingen)
Dr. Claudia Lauer (Germanistische Mediävistik, Universität Tübingen)
OStD’in Ute Leube-Dürr (Uhland-Gymnasium Tübingen)

Beteiligte:
Prof. Dr. Annette Gerok-Reiter (Germanistische Mediävistik, Universität Tübingen)
Dr. Claudia Lauer (Germanistische Mediävistik, Universität Tübingen)
Sandra Boss (Germanistische Mediävistik, Universität Tübingen)

Prof. Dr. Susanne Marschall (Medienwissenschaft, Universität Tübingen)
Rebekka de Buhr (Medienwissenschaft, Universität Tübingen)
Vera Cuntz-Leng (Medienwissenschaft, Universität Tübingen)

SchülerInnen der Klasse 9b (Uhland-Gymnasium Tübingen)
OStD’in Ute Leube-Dürr (Uhland-Gymnasium Tübingen)


Bericht

Wie werden Heldenbilder inszeniert und über welche Mechanismen wirken sie? Welche Gemeinsamkeiten haben mittelalterliche und moderne Helden? Worin unterscheiden sie sich? Inwieweit bringen die Geschichte und das Erzählen damals wie heute überhaupt erst den Helden hervor?
Diese Fragen standen im Zentrum der zweitägigen interdisziplinären Projektveranstaltung „Mittelalter reloaded. Heldenbilder im Transfer zwischen Mittelalter und Moderne“, die am 4.5. und 11.5.2012 im Uhland-Gymnasium und an der Universität Tübingen stattfand. Mit ihnen beschäftigten sich im gemeinsamen Zusammenspiel von Schule, germanistischer Mediävistik und Medienwissenschaft 22 SchülerInnen der Klasse 9b des Uhland-Gymnasiums. Die gemeinsame Veranstaltung von Schule und Universität knüpfte damit sowohl an die aktuelle mediävistische Forschung als auch an die seit Jahren anhaltende gesellschaftliche Mittelalter-Faszination an und verfolgte drei Ziele:

1. Die historische und mediale Bedingtheit von Heldenbildern in Mittelalter und Moderne sollte offengelegt und ihr jeweiliges gesellschaftliches Normierungs-potential verdeutlicht werden.
2. Die SchülerInnen sollten an verschiedene Formen wissenschaftlichen Arbeitens im Bereich zentraler kulturwissenschaftlicher Methoden und Praktiken herangeführt werden.
3. Es galt, die institutionelle Zusammenarbeit zwischen Schule und Universität in der Region zu stärken sowie ein lebendiges Netzwerk zu initiieren.

Da Projekt diente als erster Test-Lauf für das größer angelegte Kooperationsprojekt zwischen der Universität Tübingen und Schulen aus der Region, das z.Z. am Lehrstuhl für Deutsche Literatur des Mittelalters im europäischen Kontext entsteht und sich Kulturmustern des Mittelalters und ihrer Rezeption bis in die Moderne widmet, um die Förderung historischer (Kultur-)Kompetenz in der Schule zu verbessern.

Der Rahmen
Die Projektveranstaltung war grundlegend eingebunden in den Unterricht der Klasse 9b am Uhland-Gymnasium Tübingen, der den ein- und weiterführenden Rahmen bot und das gemeinsame vernetzte Arbeiten stützte. So wurde einerseits im Vorfeld in das Nibelungenlied eingeführt und die wichtigsten Grundlagen für das Textverständnis gelegt. Andererseits fand die Veranstaltung auch eine v.a. praktisch orientierte Fortsetzung:

1. Mittelalterliche Helden und Nibelungenlied: Im Anschluss an die Projektveranstaltung besuchten die SchülerInnen im Rahmen einer zweitägigen Exkursion die „Nibelungenstadt“ Worms und das dortige Nibelungenmuseum.
2. Moderne Helden und Film: Gemeinsam mit einem Filmemacher erprobten die SchülerInnen im Anschluss an die beiden Projekttage in praktischer Weise das Zeichensystem ‚Film’. Am Beispiel von Filmausschnitten erhielten die SchülerInnen dabei zunächst eine Einführung in die Wirkung von Kameraeinstellungen und -fahrten sowie von Musik und Sounddesign. In einem zweiten Teil wurde dies praktisch erprobt, indem die SchülerInnen nicht nur mit jeweils wechselnden Kamerateams eine Szene mit verschiedenen Kameraeinstellungen und -führungen filmten. Mit dem selbst gedrehten Filmmaterial wurde darüber hinaus auch am Computer ausprobiert, welche Wirkung der Schnitt besitzt und was das Hinzufügen von Geräuschen und/oder Musik an der "Aussage" des Films verändert.

Tag 1: Mittelalterliche Helden
Der erste Projekttag fand am Uhland-Gymnasium statt und stand unter dem Motto „Mittelalterliche Helden“. Mittels einer Stationenarbeit zum Thema „Was ist ein Held?“ und einem Vergleich zwischen mittelalterlichen und modernen Heldenbildern wurden die SchülerInnen zunächst für den Aspekt sensibilisiert, dass Helden bzw. Heldenbilder immer narrativen Konstruktions- und Inszenierungsmechanismen unterliegen: „Einen Helden ohne Geschichte gibt es nicht.“ In einem zweiten Schritt beschäftigten sich die SchülerInnen dann mit der spezifischen Rolle von ,Sprache und Bedeutung’ sowie ,Medialität und Materialität’ für die Codierung und Verhandlung von Heldenbildern. Dabei konnten am Beispiel ausgewählter Strophen des Nibelungenliedes zentrale Phänomene des sprachlichen Laut- und Bedeutungswandels vom Mittelalter in die Gegenwart herausgearbeitet werden. Darüber hinaus erhielten die SchülerInnen Einblicke in die mittelalterliche Handschriftenherstellung und die medialen Besonderheiten des Erzählens im Mittelalter. Schließlich widmeten sich die SchülerInnen dem Gesichtspunkt ,Literatur und Kultur’, d.h. dem Zusammenhang von ästhetischer Inszenierung und kultureller Normierung anhand der spezifisch narrativen Konstruktion mittelalterlicher Heldenbilder und -geschichten. Dabei wurden zunächst zentrale narrative ,Stationen’ von Heldengeschichten vorgestellt und am Nibelungenlied illustriert. Derart ‚ausgerüstet’ konnten die SchülerInnen dann am Beispiel der 16. aventiure des Nibelungenliedes die narrative Konstruktion und Inszenierung des Helden Siegfrieds analysieren, dem es trotz seines ,Heldenweges’ nicht gelingt, ,Herr der zwei Welten’ zu werden.

Tag 2: Moderne Helden
Der zweite Projekttag begann ebenfalls am Uhland-Gymnasium und widmete sich den „modernen Helden“. Im Zentrum stand dabei v.a. die Geschichte Harry Potters in ihren verschiedenen Verfilmungen. Im Anschluss an die literaturwissenschaftliche Perspektive des ersten Projekttags bildeten auch hier die ,Stationen’ der Heldengeschichte den Fokus. Zunächst wurden die SchülerInnen mit den Grundtechniken der Filmanalyse vertraut gemacht und in die Dramaturgie filmischer Heldeninszenierung eingeführt. In einem zweiten ausführlicheren Block erarbeiteten die SchülerInnen dann anhand ausgewählter Filmbeispiele zentrale Charakteristika des Helden „Harry Potter“ in Relation zur Dramaturgie seiner ,Heldenreise’. Zugleich diskutierten die SchülerInnen die Variabilität der verschiedenen Stationen und erprobten den Spielraum der Variabilität an weiteren selbst gewählten Filmbeispielen, meist aus dem Bereich des Actionfilms.
Die Projektveranstaltung endete mit einer gemeinsamen Abschlusssitzung an der Universität Tübingen. In verschiedenen Gruppen sammelten und präsentierten die SchülerInnen Gemeinsamkeiten und Unterschiede von alten und neuen Heldenmustern. Dies mündete schließlich in einer Abschlussdiskussion aller Beteiligten über unterschiedliche Heldenbilder, ihre Entstehung, Transformation und Neuformierung unter veränderten gesellschaftlichen, kulturellen und medialen Bedingungen vom Mittelalter bis in die Gegenwart.