Institute of Prehistory, Early History and Medieval Archaeology

Wüstung Oberwürzbach: Forschungen in einer abgegangenen Siedlung im Nordschwarzwald

In der mündlichen Überlieferung - aber auch in früheren wissenschaftlichen Arbeiten - war grundsätzlich bekannt, dass im Wald südlich von Würzbach ein abgegangener Ort gelegen hatte. Deshalb ist es in der Vergangenheit hier auch mehrfach zu unkontrollierten und undokumentierten Grabungen gekommen. Aber erst als Revierförster Robert Roller Kartierungen von Steinriegeln, Steinhäufen und Hohlwegen vorlegte, wurde die einzigartige Situation deutlich: Auf einer Fläche von etwa fünf Quadratkilometern erstrecken sich die Reste eines Waldhufendorfes mit rund 25 Hofstellen sowie andere Altfluren und Lesesteinhaufen.

Das fragliche Areal liegt zwischen den Orten Würzbach, Rötenbach und Schmieh im Nordschwarzwald zwischen Nagold und Enz, das nach den Ortsnamen zu schließen erst im Verlauf des Hochmittelalters aufgesiedelt wurde.
Trotz jüngerer Geländeveränderungen durch weit gefächerte Hohlwegbündel der neuzeitlichen Weinstraße ist deutlich, dass die Siedlungsrelikte im Wald die direkte Verlängerung des Ortes Würzbach darstellen. Das wird insbesondere dann deutlich, wenn man die archäologischen Reste im Wald zusammen mit dem aus Lagerbüchern rekonstruierten Flurbild der Zeit um 1690 betrachtet. Auch die Waldbezeichnung Oberwürzbach weist auf diese Zusammenhänge.

Die Ortsgeschichte

Der Ort Würzbach und sein wüstgefallener Ortsteil Oberwürzbach sind ein Vertreter des sogenannten Waldhufendorfes, der typischen Siedlungsform im nördlichen Schwarzwald. In großen Rodungsinseln reihen sich die Höfe im Abstand von bis zu 100 m entlang einer Ortsstraße auf. Ihr Wirtschaftsland erstreckt sich in langen, parallelen Streifen dahinter. Vermutlich geht diese spezielle Siedlungsform auf den Landesausbau der Grafen von Calw im 11./12. Jahrhundert zurück, da sie auch mit dem zweiten Gebiet solcher Waldhufendörfer in Südwestdeutschland in Verbindung zu bringen sind. Die Calwer Grafen waren Vögte des Klosters Lorsch, in dessen Hinterland im Odenwald ganz entsprechende Siedlungen auftreten.

Würzbach gehörte zu den Besitzungen des nahen Klosters Hirsau, wobei die Nennung unter der karolingischen Ausstattung als späterer Zusatz zu werten ist. Sicher aber lässt sich belegen, dass Würzbach im 11. Jahrhundert in enger Beziehung zu den Calwer Grafen stand, nennt sich doch Cunisa, die Mutter von Adalbert III "de Wirsbach", was auf Würzbach zu beziehen sein dürfte. Über das Ende von Oberwürzbach berichtet eine mündliche Überlieferung vor Ort: Demnach kamen die letzten Bewohner von Oberwürzbach bei einer Pestepidemie um. Als man in den Nachbarorten die Glocken nicht mehr läuten hörte, war klar, dass nun auch der letzte Einwohner ein Opfer des Schwarzen Todes geworden war. Solche Überlieferungen sind mit Skepsis zu sehen, zeigt sich doch oft, dass ihre Entstehung gar nicht so weit in die Vergangenheit reicht. Dennoch ist nach bisher bekannten schriftlichen und archäologischen Quellen wahrscheinlich, dass das Ende von Oberwürzbach mit der Krise des 14./15. Jahrhunderts zusammenhängt, bei der die Pest eine wichtige Rolle spielte.

Als 1411 die Kirche in Würzbach errichtet wurde, waren daran 20 namentlich genannte Bauern beteiligt - das entspricht in etwa den 18 Höfen, die sich 1690 im Ort nachweisen lassen. Es ist daher zu vermuten, dass die archäologisch feststellbaren Höfe im Wald schon vorher abgegangen sein müssen. Bestätigt wird dies durch einen Lagerbucheintrag, der 1435/37 "Mäder zu Oberwürzbach" erwähnt und vermuten lässt, dass die dortigen Höfe mindestens eine Generation zuvor aufgegeben worden waren. Dazu passt, dass aus einem der Gebäudereste ein fast vollständiges Gefäß der Zeit um 1400 stammt

Geländebegehungen und Sondagen

In Kooperation zwischen der staatlichen Denkmalpflege und der Abteilung Archäologie des Mittelalters wurde im Jahr 2003 begonnen, die Wüstung näher zu untersuchen.
Vorrangiges Ziel ist eine Bestandsaufnahme. Ein Plan von Robert Roller bietet dazu eine erste Grundlage. Einen exakten Plan der Siedlungsüberreste zu zeichnen, ist aber keine einfache Aufgabe, da die Gesamtfläche mehr als fünf Quadratkilometer umfasst und der Wald stellenweise sehr dicht ist.

Vergrößerung 60kbIm Winter 2004/2005 wurde im Rahmen einer Lehrveranstaltung ein kleiner Teilbereich begangen, der etwa einer zu vermutenden Hufe entspricht. Dabei aufgefundene Strukturen - große und kleine Steinhügel, Steinriegel, Terrassenkanten sowie eine etwa rechteckige Mulde von 5 auf 10 m - wurden markiert, beschrieben und soweit möglich eingemessen. Auf dieser Grundlage ist es nun möglich, einen ersten, noch schematischen und weiter abzusichernden Plan einer Waldhufe der Siedlung zu zeichnen. Auf einen vorderen Teil mit verschiedenartigen Strukturen - darunter ein großer Steinhügel, der wohl die Ruine des eigentlichen Hofes darstellt - folgt über einer Terrassenkante sehr ebenes, wohl ackerbaulich genutztes Gelände, das beiderseits von langen Steinriegeln eingefasst wird. Weit dahinter folgen Hunderte kleiner Steinhügel von oft nur sehr geringer Höhe.

Dieses Muster scheint sich innerhalb der Siedlung mehrfach zu wiederholen. Im Randbereich allerdings können ganz andere Strukturen mit kleinen Plattformen im Hang und Blockwällen erfasst werden, deren Bedeutung und Datierung bisher noch völlig unklar ist. Dabei ist auch nicht auszuschließen, dass es sich hierbei um Zeugnisse einer noch älteren Landnutzung handelt, die dem Waldhufendorf vorausgeht. Pollenanalysen für die direkte Umgebung der Wüstung Oberwürzbach zeigen jedenfalls bereits eine vorgeschichtliche Siedlungsphase an. Überhaupt haben Funde der letzten Jahre bei Neuenbürg und auf dem Rudersberg deutliche Hinweise auf eine vorgeschichtliche Besiedlung der Region erbracht.
Die zahlreichen im Gelände erkennbaren Strukturen sind im Einzelnen nur mit Hilfe von Ausgrabungen genauer zu interpretieren. 2003 und 2004 wurden deshalb jeweils im Herbst zusammen mit ehrenamtlichen Kräften aus der Umgebung und studentischen Mitarbeitern kleine Sondagen angelegt.

Vergrößerung 47kbFür eine erste archäologische Untersuchung im Herbst 2003 wurde ein Steinhügel ausgewählt, der bereits in den 1960er Jahren unsachgemäß angegraben worden war. Da man "nichts Rechtes" gefunden hatte, wurde die Grabung damals bald enttäuscht aufgegeben, so dass ein Teil des Hügels unversehrt erschien. Seitdem lagen aber zwei Mauern ungeschützt offen.

Das Gebäude war etwa 5 auf 7 m groß, wobei die Längsausdehnung bisher nicht sicher erfasst ist. Die 1,25 m starken trocken gesetzten und nur gering fundamentierten Außenmauern sind bis zu sechs aufgehenden Lagen hoch erhalten. Reste eines Zuganges konnten noch nicht festgestellt werden. Im Innern befand sich ein Lehmboden, der mehrfach ausgebessert wurde, indem man mit Lehmaufträgen Setzungen im stark beanspruchten Mittelteil des Raumes einebnete. Dadurch entstand in Teilbereichen eine Schichtenfolge von etwa 25 cm Stärke. Auf dem Fußboden zeigten sich einige Hitzerötungen, dazwischen lagen, klein, teilweise in den Laufhorizont getretene Keramikscherben verstreut. Offenbar war der Raum für handwerkliche Tätigkeiten genutzt worden und dabei nur selten ausgekehrt worden. Die ältesten Funde aus dem Gebäude gehören noch ins 11./12. Jahrhundert, die jüngsten ins 14. Jahrhundert. 2004 wurden verschiedene andere Strukturen sondiert: Untersucht wurde eine kleine Wasserstelle im Zentrum der Wüstung, ein Steinriegel sowie zwei kleine Steinhügel im rückwärtigen Teil der durch Begehungen erfassten Hufe.

Von besonderem Interesse sind die Ergebnisse an den kleinen Steinhügeln. Die Ausgangsfrage war, ob es sich um Lesesteinhaufen oder gar um vorgeschichtliche Grabhügel handelt, wie man sie etwa aus dem Südschwarzwald kennt. Überraschenderweise zeigte sich aber, dass sie nicht nur durch das Aufhäufen von Steinen entstanden sind. Vielmehr war in ihrem Umfeld Boden abgetragen worden. Offenbar hat man Humus und Oberboden systematisch entfernt und dabei die anfallenden Sandsteine an die nächsten Bäume geworfen. Unklar ist bisher, ob man den abgetragenen Boden als Streueinlage im Stall oder als Düngung der kargen Äcker verwendet hat. Keramikscherben legen jedenfalls nahe, dass es sich hier um die Spuren einer spätmittelalterlichen Waldnutzung handelt. Weitere Sondagen und eine detaillierte Planaufnahme dieser kleinen Steinhügel müssen hier weitere Sicherheit verschaffen.

Funde im Ortsbereich

Da die Wüstung im Wald und der bestehende Ort ursprünglich eine Einheit bildeten, müssen die Forschungen im Wald durch Aufschlüsse im Ortsbereich ergänzt werden.
Darum wurden verschiedene Baumaßnahmen im Ortsbereich kontrolliert, wobei einige Funde geborgen werden konnten, die im Vergleich mit Grabungs- und auch verschiedenen Lesefunden aus dem Wald eine Gleichzeitigkeit der Besiedlung zeigen.

Systematisch werden Feldbegehungen auf den Äckern des Ortes Würzbach durchgeführt. Sie dienen dazu, die spätmittelalterliche Landnutzung im Bereich des weiterexistierenden Ortsteiles zu klären - anhand der Streuung von Keramikscherben lassen sich gewöhnlich die Bereiche bestimmen, die man gedüngt hat. Darüber hinaus ist zu hoffen, dass es gelingt, ältere Siedlungsbereiche zu erfassen. Tatsächlich zeigt sich beim bisherigen Arbeitsstand eine auffallende Konzentration hochmittelalterlicher Funde in der Nachbarschaft zum Ortsteil Naislach, der der früheren Forschung wegen seinem abweichenden haufendorfartigen Grundriss schon verschiedentlich aufgefallen ist. Sollte hier ein älterer Siedlungskern liegen?

Sicher darf man den heutigen Ortsbereich bei den Fragen nach älteren Siedlungsbereichen oder nach dem Adelssitz der Cunisa de Wirzbach nicht außer Acht lassen.

Projektinformationen

Die bisherigen Arbeiten in Würzbach können sich nicht auf eine umfassende Forschungsförderung stützen, sondern werden weitgehend von der Initiative und dem Engagement der Mitarbeiter getragen. Zu danken ist hier vor allem Förster Robert Roller.

Nachdem im Wintersemester 2004/05 eine Lehrveranstaltung zur archäologischen Prospektion angeboten wurde, hat sich nun auch eine studentische Arbeitsgruppe gebildet, die sich in die weiteren Arbeiten in Würzbach einbringen möchte. Für die Studierenden ist dies eine hervorragende Möglichkeit eigene Erfahrungen zu sammeln und zwar sowohl im Bereich des Projektmanagements als auch in der praktischen archäologischen Feldarbeit, bis hin zu einer Mitarbeit bei der Publikation. Im Rahmen der neuen Studiengänge wird die Universität verstärkt Praktika anbieten müssen - studentische Arbeitsgruppen wie in Würzbach könnten auch dafür ein Modell sein. Betreut durch Universität und Denkmalpflege werden diese Arbeiten aber vor allem einen wesentlichen Beitrag zur Fortführung der Forschungen in Würzbach leisten.

Das Projekt in der Übersicht: Download des auf der Tübinger Tagung 2007 präsentierten Posters.

Ein Vorbericht zu den Ergebnissen ist in den Informationen zur Archäologie des Mittelalters 7, 2006/07, 17-21 (Infoheft Förderverein) erschienen und hier (oberwuerzbachinfo7.pdf) herunterzuladen. Ein vorläufiger Abschlussbericht der Untersuchungen in Oberwürzbach ist in den Informationen zur Archäologie des Mittelalters 9, 2009, 15-18 erschienen.

Literaturhinweise