Interfaculty Institute of Biochemistry (IFIB)

Die afrikanische Schlafkrankheit

Dass blutsaugende oder -leckende Insekten lästig und deren Stiche oder Bisse mitunter schmerzhaft sind, hat jeder schon am eigenen Leib erfahren. Doch als Bewohner gemäßigter Breiten sind wir uns oft gar nicht bewusst, wie viele Krankheiten Zecken (FSME/Borreliose), Sandfliegen (Leishmaniose) oder bestimmte Mücken (Malaria/Flussblindheit) übertragen können. Ganz anders ergeht es den Menschen im afrikanischen Tropengürtel, unter dessen klimatischen Bedingungen sich viele Krankheitsüberträger (Vektoren) erst so richtig wohl fühlen.
Lange stellte die afrikanische Schlafkrankheit eine große Bedrohung für die Bewohner zwischen dem 14. nördlichen und dem 20. südlichen Breitengrad dar. In den letzten 120 Jahren gab es drei schwere Epidemien (1896-1906, 1920-1940 und um 1970), denen hunderttausende Menschen zum Opfer fielen. Doch nicht nur Menschen, sondern auch einheimische Tierarten (Antilopen, Büffel, Riesenhamsterratten, Hyänen, Löwen) und eingeführte Nutztiere (Hausrinder, Schafe, Schweine) können infiziert werden, so dass gleichzeitig ein enormer wirtschaftlicher Schaden in der Nutztierhaltung hinzukam.

Trypanosomen

Bei den Erregern der afrikanischen Schlafkrankheit handelt es sich um parasitäre Einzeller, sogenannte Trypanosomen, die mit dem Speichel der beißenden Tsetsefliege auf den Menschen übertragen werden. Die Trypanosomen vermehren sich zuerst im Bereich des primären Infektionsherds (wo es oft zu einem typischen „Schanker“ kommt) und gelangen dann mit der Lymphflüssigkeit ins Blut. Das folgende Krankheitsstadium wird deshalb auch als hämolymphatisch bezeichnet. Es ist gekennzeichnet durch generelles Krankheitsgefühl, Lymphknotenschwellungen, Kopf-, Gelenk- und Muskelschmerzen, Fieber mit Schüttelfrost, Gewichtsverlust und Blutarmut. Je nach Erreger dauert es wenige Wochen bis Monate, bevor die Parasiten aus dem Blut ins Gehirn einwandern. Der Begriff „Gehirn“ allerdings ist weit gefächert, so dass zuletzt lebhaft diskutiert wurde, welche Bereiche denn hier tatsächlich befallen sind – und in welcher Reihenfolge. Jeder weiß, die Schokolade ist nach dem Essen im Bauch – doch ist sie deswegen wirklich innerhalb des Körpers? Trypanosomen, die mit dem Blut durch das Gehirn zirkulieren, sind funktional gesehen nicht im Gehirn. Liquor und Hirnhäute, die von Trypanosomen befallen sind, gehören auch nicht zum Gehirnparenchym. Erst Parasiten, die sich zwischen Nervenzellen befinden zählen dazu. In diesem Zusammenhang müssen auch zwei unterschiedliche Infektionswege betrachtet werden, nämlich über die Blut-Hirn- oder die Blut-Liquor-Schranke. Es ist wahrscheinlich, dass beide Wege eine Rolle spielen. Zuerst scheinen die Parasiten vorrangig über die Blut-Liquor-Schranke in die Gehirnflüssigkeit zu gelangen. Von dort besiedeln sie die Hirnhäute, sodass es zu einem ventrikulär-meningealen Stadium kommt. Es treten Verwirrungszustände, Koordinationsschwierigkeiten, Sinnesstörungen, Fragmentierung der Schlaf-/ Wachzyklen, Krämpfe und Apathie auf. Gleichzeitig gelangen immer wieder Trypanosomen über die Blut-Hirn-Schranke. Zuerst nur wenige, die von Abwehrzellen in Schach gehalten werden. Mit zunehmender Entzündungsreaktion wird die Blut-Hirn-Schranke dann immer durchlässiger. Spätestens jetzt können wir von einem enzephalitischen Stadium sprechen. Unbehandelt endet die Krankheit in fast allen Fällen tödlich. Allerdings wurde zuletzt auch von asymptomatischen Krankheitsträgern berichtet, in denen die Parasiten unbemerkt im Fettgewebe persistieren.

Situation heute

Aufgrund der schwachen Kaufkraft der betroffenen Länder stand die Schlafkrankheit in einer Reihe mit anderen vernachlässigten Krankheiten, gegen die teure Medikamentenentwicklung nicht rentabel erschien. So stehen auch heutzutage nur einige wenige Medikamente zur Verfügung, die teils mit schwerwiegenden Nebenwirkungen einhergehen. Dank systematischer Fliegenkontrolle (einfach aufzustellende Fliegenfallen, Aussetzen von sterilisierten männlichen Tsetsefliegen, gezieltem Einsatz von Insektiziden), sinkt die Zahl der Neuinfektionen seit 1995 (30 – 300 Tsd. Fälle) stetig. Hinzu kommen politische Stabilität und wirtschaftliche Entwicklung (Bau von dichten Häusern, Einsatz von Vergrämungsmitteln) und die konsequente medizinische Behandlung. Im Jahr 2017 wurden weniger als 1500 Neuinfektionen gezählt, 2018 war die Schlafkrankheit in bestimmte Regionen (West-Nil-Region) nahezu ausgerottet. Die Weltgesundheitsorganisation geht aktuell davon aus, dass die Krankheit bis 2020 besiegt sein würde.
Dennoch bleibt die Trypanosomen-Forschung aus zwei Gründen enorm wichtig: zum einen stellen die Parasiten einen gut verstandenen Modellorganismus dar, der sich in der Evolution sehr früh abgespalten und bis heute erhalten hat. Zum anderen besteht das Risiko, dass die Tsetsefliege mit zunehmender Klimaerwärmung in neue Habitate einwandert oder dass aufflammende politische Unruhen (Kriege, Völkerwanderungen, verringerter Fliegenschutz) in Afrika zu erneuten Ausbrüchen führen.