Institute for Eastern European History and Area Studies

Quellen

Die universitäre Etablierung der Geschichtswissenschaft setzte in Deutschland in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein. Geschichtswissenschaft, damals „Historik“ genannt, wurde als Inbegriff der Erkenntnis eines als Prozess aufgefassten und als Ganzes begriffenen vergangenen Geschehens definiert. Seitdem gelten Quellen, insbesondere Archivquellen, als das grundlegende Material der Geschichtswissenschaft. Eine Einführung in die historischen Wissenschaften und -methoden hat der Historiker Johann Gustav Droysen in seinen Berliner Vorlesungen der Jahre 1857 bis 1882/83 formuliert, die in verschiedenen Auflagen unter dem Titel "Historik" erschienen sind (z.Bsp. Johann Gustav Droysen, Historik. Historisch-kritische Ausgabe von Peter Leyh, Band 1, Stuttgart 1977.). Dieser kanonische Text gibt Einsicht in die geschichtswissenschaftliche Praxis und ist auch heute noch lesenswert.

Spätestens seit Droysen gilt die Quellenkritik als grundlegende Methode historischer Forschung. Es geht dabei darum, das Material, von dem Erkenntnis über die Vergangenheit erwartet wird, zu klassifizieren und zu bewerten. So wird nach verschiedenen Quellengattungen unterschieden (u.a. Urkunden, Korrespondenzen, Denkmäler, Protokolle, Tagebücher).
In der politikgeschichtlichen Wissenschaft des 19. Jahrhunderts ging man davon aus, dass die Quellen an sich über verschiedene historische Vorgänge „sprechen“, d.h. die Quelle verrate, wie es wirklich gewesen sei. Dabei wurden die Intention der Überliefernden sowie die Echtheit der Quellen überprüft. Wenn die Quelle der Überprüfung durch die Quellenkritik Stand gehalten hatte, ging man davon aus, dass die Aussage war sei. Geschichte war demnach die Summe der Quellenaussagen.

Mit diesem Ansatz kann nur eine sehr begrenzte Zahl von Fragen beantwortet werden, weil die überlieferten Quellen nur sehr wenige Dinge zum Gegenstand haben, die einer (meist schriftlichen) Überlieferung Wert schienen, aufgehoben werden und für die Forschenden zugänglich sind. Deshalb haben HistorikerInnen seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verstärkt weiterführende Methoden entwickelt. Anleihen bei anderen Fächern wie der Demographie, Soziologie, Ethnologie, und Literaturwissenschaft führten zu verschiedenen neuen Ansätzen zur Auswahl und Analyse von Quellen. So entstanden zahlreiche Forschungszweige, die teils auf den älteren Zugängen aufbauten und sie teils völlig verwarfen.

Neben der Geistes- und Ideen-, der Begriffs- und der Strukturgeschichte nahm in den 1970er und 1980er Jahren die Sozialgeschichte eine exponierte Position im deutschen Wissenschaftsbetrieb ein. Punktuell etablierte sich auch die Geschlechtergeschichte. In der Tradition der französischen Geschichtsschreibung und insbesondere in Anlehnung an die von dem französischen Philosophen Michel Foucault entwickelte Diskursanalyse setzen sich seit den 1990er Jahren zunehmend kulturgeschichtliche Ansätze durch. Diese stellen historische „Objektivität“ und „Wahrheit“ per se in Frage – und damit auch die oben genannte kanonisierte Quellenkritik. Die diskursanalytische Kulturgeschichte macht Sprache selbst zum Gegenstand historischer Analyse. Sprache bildet hier die Wirklichkeit nicht ab, sondern konstruiert diese. Sprache ist also "Handlung, und zwar Handlung, die Welt erschafft" (Achim Landwehr, Geschichte des Sagbaren. Einführung in die historische Diskursanalyse, Tübingen 2001, S. 10.).Die Suche nach dem 'Eigentlichen' hinter dem Text wird damit zugunsten einer Analyse sprachlicher Bedeutungszusammenhänge aufgegeben.

In den letzten Jahren wurden auch verstärkt Anleihen aus der Kunstgeschichte, der Theaterwissenschaft und der Musikwissenschaft gemacht. Seit dem „iconic turn“ in den Kulturwissenschaften werden Bilder nicht nur als lesbare Abbildungen verstanden; „sie entfalten eine ganz eigenen Wirkungsmacht, die sich der Sprache zu entziehen scheint“ (Doris Bachmann-Medick, Cultural Turns. Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Hamburg 2006, S.330). Seit dem „performative turn“ rückt der „Aufführungscharakter von Kultur“ in den Mittelpunkt einiger Untersuchungen. Historiker wenden sich dabei zum Beispiel dem Ritual zu, um „Kultur als Inszenierung“ in den Blick zu nehmen (ibid. S.106f). Im „acoustic turn“ kommt Klängen eine eigenständige Bedeutung für die Wirklichkeitswahrnehmung historischer Akteure zu. Er denkt in mancher Hinsicht den „iconic turn“ weiter und wendet sich insgesamt gegen den Okularzentrismus, der sich seit der Erfindung des Buchdrucks in westlichen Gesellschaften durchgesetzt hat.

Halten wir fest: die Auswahl der Quellen und die Art ihrer Interpretation sind grundsätzlich von der Fragestellung und der mit ihr korrespondierenden Methode abhängig. Es ist also unerlässlich, sich bei einer Quelleninterpretation auch Gedanken über die zugrunde gelegten Methoden zu machen. Außerdem sollte eine Quelleninterpretation deren (politische, soziale, kulturelle und/oder textuelle) Kontexte einbeziehen. Zur Erschließung dieser Kontexte sowie zur Einführung in verschiedene geschichtswissenschaftliche Methoden verweisen wir auf die angegebene Literatur. Die Lehrenden verzichten bewusst auf einen verbindlichen Fragenkatalog für den Umgang mit Quellen (Vorschläge zur Quelleninterpretation). Richtwerte für den Umgang mit spezifischen Quellen werden vor dem Hintergrund verschiedener Themen in den einzelnen Lehrveranstaltungen angeboten, vertieft und diskutiert.