Fachgebiet: Katholische Theologie, Ältere deutsche Literatur
Das Teilprojekt untersucht soziale Bedrohungskommunikation des 15. bis 17. Jh., die sich im Feld religiöser Akteure und/oder mittels religiöser Sprache ereignet. Im Rahmen des Projektbereichs F (Mobilisierung) beobachten wir Selbstalarmierungen, die die soziale Ordnung als bedroht markieren, weil die Zugänge zu elementaren Gütern wie Nahrung, Lebensqualität und Anerkennung hart umkämpft werden. Solche Bedrohungskommunikation nutzt die Topoi religiöser Sprache, um in großer Schärfe mobilisierende Narrative auszubilden. Diese ziehen den Ort und den Rang gesellschaftlicher Gruppen massiv in Zweifel: Handwerker und Bauern trachten in großer Eindeutigkeit nach einer Aufwertung, die ihnen in der Regel gewaltsam verweigert wird (städtischer Aufruhr, Bauernkrieg); professionelle Akteure im religiösen Feld (Geistliche und Amtsträger im weitesten Sinne) hingegen finden sich im Kontext solcher Ordnungsbedrohungen in einer hoch ambivalenten Lage wieder, weil sie einerseits im 15. und frühen 16. Jh. als Auslöser der Bedrohung wahrgenommen werden (Antiklerikalismus, Reformation), sich andererseits aber bis ins 17. Jh. hinein soziale Plätze erkämpfen, die sie als Akteure einer Mobilisierung von re-ordering-Prozessen und als Verteidiger Bedrohter Ordnung ausweisen (Re-etablierung sozialer Ordnung im konfessionellen Gewand).
Solche Re-Hierarchisierungen, die mittels scharfer In- und Exklusionsdiskurse ausgetragen werden, untersucht F03 aus zwei Gründen in diachroner Perspektive. Erstens setzen sich die Identitäts- und Exklusions-Narrative zusammen aus Topoi religiöser Sprache mit Zeugnissen sozialer Unruhe; diese Komposita werden aufgespeichert als aktualisierbare Ressource späterer Mobilisierungen. Zweitens lässt sich nur diachron zeigen, welche Gruppen durch eine Kette von Bedrohungsszenarien und re-ordering-Prozessen ihre Lage und deren Legitimität nachhaltig verbessern konnten.
Die Fragestellung von F03 wird fortgeführt und neu akzentuiert: Das Teilprojekt hat in der 2. Phase des SFB religiöseBedrohungsszenarien untersucht. Nun liegt der Akzent auf dem Verhältnis von Bedrohungskommunikation und sozialer Dimension. Religiöse Topoi haben einerseits ein hochgradig kritisches und utopisches Potential, erweisen sich in anderer Gewandung aber auch als geeignet, soziale Ordnung als gottgewollt zu affirmieren. Wir wollen wissen, (1) Welche Durchschlagskraft entfalten religiöse Narrative in sozialen Bedrohungslagen, woher beziehen sie ihre Dominanz als Vorfahrtkommunikation und wer kann sie darum für gelingende wie scheiternde Mobilisierungen und re-ordering-Ansprüche nutzen? (2) Welche Merkmale kennzeichnen Ordnungen aufsprengende, welche hingegen stabilisierende Bedrohungskommunikation, mit welcher Dynamisierung ist zu rechnen, wenn religiös argumentierende Szenarien auf bedrohlichen sozial-moralischen Wandel verweisen; wie kann das kritisch-utopische Potential solcher Rede affirmierend eingehegt werden? (3) Wie vollzieht sich Vertrauensverlust und dann -wiedergewinn sozialer Praktiken, soziopolitischer Institutionen und religiöser Autoritäten? (4) Schließlich: Aus welchen Ressourcen werden die – imaginierten oder faktischen – Reflexionen, Restituierungen oder Neuausrichtungen von Ordnung generiert?
Quellen einer solchen Untersuchung mobilisierender Selbstalarmierungen sind religiöse Kurzerzählungen, Schauspiele und Predigten. Es sind diese Gattungen, die religiöses Wissen über sozial-moralische Ordnungen mit konkreten Bedrohungsdiskursen zusammenführen. Fragen nach raschem sozialem Wandel lassen sich allerdings in F03 nur dann beantworten, wenn die Teiluntersuchungen die Ergebnisse sozialhistorischer Forschung zum 15. bis 17. Jh. engstens einbeziehen, ohne sie selbst leisten zu können. Die europäische Perspektive war in F03 bislang mit deutschen, französischen und italienischen Quellen und deren Kontexten und Interdependenzen grundgelegt; sie wird nun um Bedrohungsszenarien erweitert, die sich in lateinischen und englischen Texten niederschlugen.
Das Teilprojekt analysiert diachron drei exemplarische Konstellationen: (TU1) Das Interagieren von antiklerikalen Tendenzen in Kurzerzählungen mit Bedrohungen sozial-moralischer Ordnung (1450 – 1515), (TU2) das Verhältnis von antiklerikaler Polemik in protestantischen Schauspielen zu sozial-politischen Praktiken des Machterhalts in städtischen Gemeinwesen (1515 – 1564), schließlich (TU3) das re-ordering ländlicher Sozialordnungen in Predigten (1580 – 1640).