Uni-Tübingen

Kurzvorträge in der Tübinger Altstadt

SoSe 2014

"Schnappschüsse - Kurzvorträge in der Tübinger Altstadt"

Am 10. Mai 2014 stellten sieben Mitarbeiter des Sonderforschungsbereiches 923 „Bedrohte Ordnungen“ unter dem Motto „Schnappschüsse“ in kurzen Impulsreferaten ihre ersten Ergebnisse an vier Stätten in der Altstadt vor. Das Besondere war der direkte Bezug der Vorträge zu den alltäglichen Orten, an denen sie vorgestellt wurden. Das Format bot dem interessierten Tübinger Publikum Einblicke in die aktuelle Forschung des SFB 923 und neue Zusammenhänge.


Die ersten Referenten des SFB 923 waren die Kulturwissenschaftler Jan Hinrichsen und Sandro Ratt. Sie sprachen im Deutschen Alpenverein über „Lawinen als Bedrohung sozialer Ordnungen“ am Beispiel der Katastrophen von Galtür (1999) und Blons (1954). Sie erklärten, wie alpine Gesellschaften auf verheerende Lawinenabgänge reagieren. Hinrichsen und Ratt hoben als Ergebnis ihrer Forschung hervor, dass Katastrophen ausgehandelte Ereignisse zwischen Natur, Kultur und Erfahrung sind. Die anschließende Diskussion mit dem Publikum entspann sich besonders um die Frage der Rolle von Religion bei der Krisenbewältigung und -tradition. Auch die Funktion von Katastrophen als Katalysator kultureller und wirtschaftlicher Modernisierung wurde intensiv mit den ZuhörerInnen erörtert.


Als zweite Referentin des SFB 923 berichtet Sabine Sauter im Umweltzentrum Tübingen über „Sand- und Staubstürme in Australien“. Sie erklärte das Phänomen der Desertifikation Down Under. Durch Bilder ihrer Forschungsreisen und Ausschnitten aus geführten Interviews veranschaulichte sie die Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Ordnung. Die Historikerin ging auch auf die Reaktionen der Farmer und Spuren der Dürrekatastrophen in der australischen Kultur ein. Im Anschluss diskutierten die Besucher mit Sauter über die Verantwortung des Menschen im Umgang mit der Natur.


Der Zeithistoriker Arne Hordt sprach zum „britischen Bergarbeiterstreiks von 1984-85 als Bürgerbewegung“. Anschaulich griff Hordt die Geschichte der Begegnungsstätte „Hirsch“ auf, in der er sprach. Ausgehend von den Aktivitäten des Trägervereins, der in den 1980er Jahren das vormals dort befindliche Kaffee Völter erhalten wollte, schlug Hordt einen weiten Bogen, der die Veränderungen der Gesellschaft und Wirtschaft in ihren Wirkungen erfahrbar machte. Vor allem die Problemfelder von Identitätswandel und Formen der Solidarität zwischen ArbeiterInnen beeindruckten die ZuhörerInnen nachhaltig. In einer intensiven Diskussion stellte das Publikum vielfältige Bezüge zu Ihren eigenen Erfahrungen her, von der Arbeit an Identitätsproblemen in der Psychotherapie bis zur Jugendarbeit in Gewerkschaften.


Der interdisziplinäre Sonderforschungsbereich (SFB) 923 „Bedrohte Ordnungen“ ist an die Universität Tübingen angeschlossen. Er untersucht soziale Gefüge in Situationen, in denen die bestehende Ordnung durch innere oder äußere Faktoren bedroht ist. Die WissenschaftlerInnen beforschen die Historisierung von Krisendiagnostiken sowie die Untersuchung von Modi des schnellen sozialen Wandels. Ihr Ziel ist die Etablierung neuer Raum‐ und Zeitkategorien in den Geisteswissenschaften. Der SFB 923 wird seit dem 1. Juli 2011 von der Deutsche Forschungsgemeinschaft für die Dauer von vier Jahren gefördert.


Abschließend präsentierten Dr. des. Fabian Fechner, Dr. des. Nicole Hirschfelder und Christian Reck ihre Ergebnisse zum Thema „Fremdenangst und Fremdenfeindlichkeit“ im Weltladen Tübingen/Aktionszentrum Arme Welt und Fairer Handel. Der Historiker Dr. Fechner begann mit einer Einordnung des Themas Fremdenfeindlichkeit am Beispiel des Jesuitenordens und dessen Diskriminierung in der Frühen Neuzeit. Dabei veranschaulichte er das Thema mit vielen zeitgenössischen Zeichnungen und Karikaturen. Anschließend referierte die Amerikanistin Dr. Hirschfelder über den afro-amerikanischen Menschenrechts-aktivisten Bayard Rustin. Sie verschob den Fokus des Themas auf die Fremdenfeindlichkeit im amerikanischen Kontext der 1950er Jahre. Der Zeithistoriker Reck stellte daraufhin sein Projekt vor, das sich mit der deutschen Asyldebatte zu Beginn der 1990er Jahre beschäftigt. Gemeinsam machten die Referenten an den unterschiedlichen Beispielen deutlich, welche Mechanismen der Unterdrückung von Gesellschaften genutzt werden, um Menschen auszugrenzen. In der anschließenden Diskussion wurden Parallelen von Bayard Rustin zu Barack Obama gezogen und die deutsche Asyldebatte der 1990er Jahre mit der momentanen Flüchtlingspolitik verglichen. Auch die heutige Rolle des Jesuitenordens – mit dem prominenten Vertreter Papst Franziskus – thematisierten die interessierten ZuhörerInnen.


Das Projekt „Schnappschüsse“ schaffte es in alltäglichem Kontext neue Perspektiven und Fragen nicht nur für das Publikum sondern auch für die Referierenden herzustellen.