Uni-Tübingen

C 05 Profit und Verschwendung von Ressourcen. Die Schaffung von ideologischem Kapital während der Wikingerzeit und im Hochmittelalter in Nordeuropa

Projektleitung: Prof. Dr. Jörn Staecker
Mitarbeiter/ innen: Janina Dieckmann, Jörg Widmaier

Zusammenfassung

In diesem Teilprojekt steht der Mensch des Hoch- und Spätmittelalters in Nordeuropa mit seiner Bewertung der Ressource Kapital (im Sinne von Edelmetall) im Fokus der Untersuchung. Die überregionale und sich über ein halbes Jahrtausend erstreckende Perspektive ermöglicht es, Wandlungen in der sozio-kulturellen Wertschätzung und Verwendung der Ressource als dynamischen Prozess zu begreifen.

Fallstudie

Die Depotfunde der Wikingerzeit und die hochmittelalterlichen Kirchenbauten im Ostseeraum vom 9.–14. Jh. stellen eine besondere Form der Transformation eines durch Handelsüberschuss gewonne-nen Investitionskapitals in ideologisches Kapital dar. Die Ressource Münze/Silber/Gold wurde nicht zur finanziellen Profitmaximierung eingesetzt, sondern stattdessen in Form von Horten (Depotfunde) vergraben oder für Kirchenbauprojekte verwendet. Die bislang stets getrennt voneinander betrachteten Quellengruppen ‚Horte‘ und ‚Kirchen‘ weisen somit einen direkten Zusammenhang auf, der besonders deutlich auf der Ostseeinsel Gotland hervortritt. Die Ressource Kapital wurde im Mittelalter nicht nur ökonomisch, sondern auch sozio-kulturell bewertet, sie diente als Ausstattung für das Jenseits und der Sicherung des Seelenheils. Mit dem Niedergang der Deponierungssitte von Edelmetallhorten im Verlaufe des 11. Jh. steigt die Zahl der Kirchenbauten, die im 12./13. Jh. kulminieren, aber bereits im Verlauf des 14. Jh. völlig zum Erliegen kommen.


Die Depotfunde sind aus zweierlei Gründen von hohem Interesse. Auf der einen Seite zeigt der über die Jahrhunderte steigende Fragmentierungsgrad des Silbers eine Anpassung an kleine Währungseinheiten, die durch den Handel und die schrittweise Integrierung in die mitteleuropäischen Wirtschafts-zonen bedingt ist. Insbesondere die Fragmentierung von Silber in kleinste Gewichtseinheiten spiegelt hierbei indirekt Handelstransaktionen wider, d. h. der Warenwert wurde später im Depot angelegt und erlaubt somit Rückschlüsse auf das Wirtschaftssystem. Auf der anderen Seite muss die scheinbare Vernichtung der ökonomischen Ressource Silber auch als Umsetzung in ein ideologisches Kapital, als Ausstattung für das Jenseits, betrachtet werden. Bisher fehlen in der Forschung vollständig überregionale und epochenübergreifende Untersuchungen, die die Frage beleuchten, wie sich die Wirtschaftssysteme im Kontext der Erschließung und Nutzung neuer Ressourcen entwickelten und welche ideologischen Motive zur Deponierung von Edelmetallhorten in größerem Umfang führten.


Die während des Hochmittelalters errichteten Kirchen bieten eine weitere Möglichkeit, die Umsetzung von finanziellen Ressourcen in ideologisches Kapital zu untersuchen. Während mit dem Bau der Holzkirchen und der romanischen Steinkirchen in der Frühphase ein genereller Bauboom zu beobachten ist, der den anfänglichen Bedarf nach einer entsprechenden Infrastruktur decken sollte, stellt sich die Frage, aus welchen Gründen es zu den Erweiterungen, Umbauten und zum Teil auch Neubauten der Kirchen während der Gotik kam. Auch Investitionen in das Kircheninventar, beispielsweise Kirchenschätze, sind hier zu berücksichtigen. Der wirtschaftliche Kollaps im 14. Jh. erscheint dann besonders drastisch. Mehrere Kirchen enden regelrecht als Bauruinen, die nur mühevoll kaschiert wurden. Vielfach findet sich ein großzügig angelegter gotischer Chor an einem kleinen romanischen Langhaus mit Turm. Hier stellt sich die Frage nach dem Zusammenhang von Kirchenbau und komplexem Wirtschaftssystem bzw. aus einer Ostseeraumperspektive der Bildung und Entwicklung von neuen Wirtschaftsräumen.

Langfristige Planung

Die Untersuchung soll in der folgenden Antragsperiode auf die schwedische Landschaft Västergötland erweitert werden, um einen Vergleich mit einem Wirtschaftsraum herzustellen, der sich innerhalb einer feudalen Gesellschaft befand und damit eine völlig andere Entwicklung nahm. In Västergötland liegen wesentlich günstigere wirtschaftliche Standortbedingungen vor, gleichzeitig gibt es bedeutend weniger Depotfunde der Wikingerzeit, während der Bau von romanischen Kirchen wiederum annähernd mit Gotland vergleichbar ist. In der dritten Förderphase soll mit Nordostdeutschland ein slawisches Siedlungsgebiet in den Blick genommen und im kontrastierenden Vergleich zu den vorher behandelten wikingerzeitlichen/skandinavischen Regionen betrachtet werden. Es gilt, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten im sozio-kulturellen Gebrauch der Ressourcen zu analysieren. Der Zusammenhang von Ressourcen, wirtschaftlichen und sozialen Netzwerken, Kapitalakkumulationen und der Vernichtung bzw. Transformation in ideologisches Kapital stellt hierbei einen nahezu unbeachteten Aspekt in der Forschung dar.

Bedeutung der Teilprojekte für den SFB

Die Transformation von finanziellem Kapital in ein ideologisches Kapital ist für mehrere Teilprojekte des SFB relevant, die Wirtschaftsform der Wikingerzeit, der Gabentausch, findet verschiedene ethnographische Parallelen und die Kirchenbauten können analog zu Tempeln oder Moscheen betrachtet werden. Über den Teilbereich C hinaus soll eine völlig neue Perspektive eröffnet werden, die Anhäufung von Edelmetall nicht nur aus einer rein wirtschaftlichen, sondern im höchsten Grade auch sozio-kulturellen Perspektive zu sehen. Die vergleichsweise dichte Parallelüberlieferung von Schrift- und Bildquellen ergänzt die archäologische Überlieferung, wodurch ein höheres Aussagepotential gegeben ist. Somit können die erzielten Erkenntnisse dazu beitragen, Interpretationsmodelle und Deutungsmuster für vor- und frühgeschichtliche Epochen auf Grundlage der Analogien zu verifizieren bzw. zu hinterfragen.


Die Rechte der auf dieser Seite verwendeten Bilder liegen beim SFB 1070, Teilprojekt C05.