Uni-Tübingen

20.12.2021

„Gründung ist keine Einbahnstraße!“ Interview mit Wheyfinery

Dr. Richard Hegner ist Bioverfahrenstechniker mit fundierter Erfahrung in Fermentationstechnik. Er arbeitet seit April 2019 als Postdoc in der Arbeitsgruppe Umweltbiotechnologie von Prof. Dr. Lars Angenent an der Universität Tübingen und ist Mitgründer von Wheyfinery.

Wheyfinery arbeitet an der Kommerzialisierung einer skalierbaren Bioraffinerie zur Umwandlung von Abfällen aus der milchverarbeitenden Industrie zu bio-basiertem Öl. Das Verfahren stellt eine nachhaltige Lösung für die Herstellung grüner Chemikalien dar.

Als Sieger des Startup Pitch Tübingen wird Richard im Juli 2022 ins Landesfinale des Start-up BW Elevator Pitchs einziehen. Noch steht Wheyfinery ganz am Anfang. Im Interview verrät uns Richard, wie er den Weg von der Forschung in die Gründung erlebt.

SC: Richard, du hast mit eurer Idee die Jury beim Startup Pitch Tübingen überzeugt und dafür den ersten Platz gewonnen. Hast du im Vorfeld damit gerechnet, dass du unter die Sieger des Wettbewerbs kommst?  

Richard: Nein, anfangs gar nicht. In der Pause, als die Jury sich zur Beratung zurückgezogen hat, habe ich aber sehr gutes Feedback von den anderen Startup-Teams bekommen. Da habe ich gedacht: okay, vielleicht reicht es für Platz drei. Als ich dann bei Platz 1 aufgerufen wurde, bin ich vor Überraschung fast vom Stuhl gefallen. 

SC: Wer steckt denn alles hinter Wheyfinery?  

Richard: Wir sind ein forschungsgetriebenes „Pre-Startup“. Das würde ich jetzt mal so bezeichnen, weil wir noch nicht ausgegründet haben. Die Idee stammt von meinem Professor Lars Angenent. Er hat dieses Konzept aus seinen Forschungen in den USA mitgebracht und wir forschen nun mit der Promovendin Monika Temovska und fleißigen Studierenden an diesem Thema hier in Tübingen. Für die Ausgründung planen wir die Vergrößerung des Teams, denn wir haben aktuell eine sehr wissenschaftliche und ingenieurtechnisch ausgerichtete Kompetenz. Das ist für eine Gründung nicht ideal. Mein Professor hat bereits Ausgründungserfahrung und ich suche jetzt noch Leute, die sich mit Business Model Development und Marketing auskennen.  

SC: Als Postdoc hier an der Universität Tübingen hast du bisher eine rein wissenschaftliche Karriere verfolgt. Jetzt machst du dich auf den Weg in Richtung Gründung. Wie erlebst du diesen Prozess?  

Richard: Gewissermaßen bin ich da reingestolpert. Als Forscher muss man ja erstmal herausfinden, ob die Technologie, an der man arbeitet, überhaupt funktioniert. Das ist immer mit einem gewissen Risiko behaftet. Über Forschungsförderung wird dieses Risiko üblicherweise nur bis zu einem bestimmten Level abgedeckt. Dann ist man gezwungen, selbst das Risiko einzugehen und die Forschung technologisch und anwendungsorientierter voranzutreiben. Da ist eine Ausgründung in meinen Augen tatsächlich ein guter Weg. Beziehungsweise muss man jemanden finden, der ein direktes Interesse hat, Technologien wie unsere zu kommerzialisieren. Auch da ist eine Ausgründung sehr, sehr hilfreich, um zunächst Fuß zu fassen und sich einen Namen zu machen. Kurzum, ich bin reingestolpert, aber notwendigerweise - um weiter an unserem Wheyfinery-Konzept arbeiten zu können.  

SC: Was bringst du aus deiner Erfahrung als Forscher mit in die Startup Welt? 

Richard: In meinem konkreten Fall ist es natürlich so, dass ich viel ingenieurstechnisches und bioverfahrenstechnisches Know-how habe. Im letzten halben Jahr konnte ich aber auch viel darüber lernen, worin eigentlich die Risiken und die Hemmungen von Investoren liegen, bei biotechnologischen Konzepten einzusteigen. Aus meiner Sicht ist es so, dass Investoren oft vor dem Risiko zurückschrecken, ihre Investition in einer technischen Anlage zu binden. Eine App hingegen lässt sich mit vergleichsweise wenig Aufwand und geringen Kosten skalieren. Wie groß so eine biotechnologische Anlage für unser Konzept sein muss und worauf man beim Skalieren achten muss, das sind die Erfahrungen, die ich als Wissenschaftler mit meinem ingenieurstechnischen Hintergrund und basierend auf unseren Forschungsergebnissen einbringen kann. 

SC: Ist Gründung für dich der nächste logische Schritt zum jetzigen Zeitpunkt?  

Richard: Ja und nein. Auf der einen Seite erfordert die Entwicklung von biotechnologischen Verfahren viel Zeit. Zeit ist oftmals Geld. Das heißt, man würde sich natürlich wünschen, man hätte noch ein bisschen mehr Sicherheit und Zeit zum Forschen - und das ergebnisoffen. Auf der anderen Seite ist eine Gründung tatsächlich aber auch ein logischer Schritt, weil man irgendwann sagen muss: das ist jetzt das Verfahren, das funktioniert und es gibt Anwendungsbereiche mit Potenzial. Widmet man sich dann der direkten Anwendung, so muss man aufhören das Verfahren zu perfektionieren, sondern passt die Entwicklung mehr an die Bedürfnisse des potenziellen Marktes an. Über eine Ausgründung ist man quasi dazu gezwungen, sich diesen Markt genauer anzuschauen.  

SC: Wer sind denn potenzielle Kunden? Wo seht ihr den Markt?  

Richard: Wir sehen natürlich in den Sauermolkeproduzentinnen und -produzenten der milchverarbeitenden Industrie potenziellen Kunden. Diese müssen aktuell die Kosten für die energieintensive Entsorgung der Sauermolke selbst tragen. Wir könnten den Produzentinnen und Produzenten die Sauermolke abnehmen und diese in Carbonsäuren-haltiges Bio-Öl umwandeln.  

Mit den Carbonsäuren, die in unserem Bio-Öl enthalten sind, könnten wir wiederum verschiedene Märkte ansteuern. Das wäre zum einen die Feinchemikalien-Industrie, zur Herstellung von Duft- und Aromastoffen für die Kosmetik-, aber auch für die Lebensmittelindustrie. Weiterhin ist es möglich, über einen elektrochemischen Prozess das Bio-Öl zu synthetischem Kraftstoff weiter zu veredeln.  

Ein anderes interessantes Anwendungsfeld ist die Tierfuttermittel-Industrie. Die Carbonsäuren, die wir herstellen können, haben einen sehr hohen Energiegehalt und – so wie Antibiotika auch - eine antimikrobielle Wirkung. Somit können die Carbonsäuren die Antibiotika ersetzen, die dem Tierfutter zugesetzt werden. 

SC: Welche Unterstützung hast du bisher aus dem Umfeld der Universität bekommen?  

Richard: Unterstützung kam natürlich zum einen durch meinen Professor mit seiner Ausgründungserfahrung. Er war zuvor in den USA tätig und kam daher mit einem ganz anderen Spirit, was das Gründertum angeht, hierher. Irgendwann erreichten mich die E-Mails vom Startup Center über den Mailverteiler der Uni Tübingen. Über die Kurse, die angeboten wurden und an denen ich auch teilgenommen habe, habe ich zunächst eine Idee davon bekommen, was Gründen bedeutet, was die Hürden sind, aber wie man diese Hürden eben auch überwinden kann. 

Meinen größte Entwicklungserfolg habe ich beim Pitchen der eigenen Idee erlebt. Da muss man gefasst darauf sein, dass es Gegenwind und Fragen gibt. Davon sollte man sich aber nicht runterziehen oder provozieren lassen. Ich empfehle, den Gegenwind und die Fragen als Feedback zu verstehen, sodass man immer besser in der Lage sein wird, die eigene Idee zu erklären und dann eben auch zu verteidigen. Das und die Grundlagen zum Gründen habe ich über das letzte halbe Jahr durch das Coaching im Startup Center der Uni Tübingen gelernt.  

SC: Was war bisher deine größte Hürde?  

Richard: Die größte Hürde ist tatsächlich, sich dafür zu entscheiden, diesen Weg einzuschlagen und sich mit dem Thema Gründen konkret auseinanderzusetzen. Solange man das nicht macht, wird es immer eine fixe Idee bleiben, die einem riesig, riesig groß vorkommt. Sobald man anfängt, sich damit zu beschäftigen, werden die Hürden kleiner. Für mich ist Gründen keine Einbahnstraße mehr, sondern eine von vielen Möglichkeiten der eigenen Idee nachzugehen.  

Ich bin sicherlich durch meinen Professor ein bisschen zur Gründungsidee hingestoßen worden, aber auch durch die äußeren Umstände. Tatsache ist, dass man sich irgendwann fragen muss: Möchte ich das weitermachen? Wie sehr interessiert mich das? Ist das jetzt quasi mein eigenes Baby, das ich gerne großziehen würde? Oder habe ich nur daran geforscht, weil es mein Job war? Aktuell fühlt sich Wheyfinery für mich wie ein cooles Konzept an, in dem ich mich nun gut auskenne und das Potenzial hat. Bei allen Alternativen, die ich hinsichtlich der beruflichen Weiterentwicklung habe, ist das sicher die, die mich gerade am meisten anspricht. 

SC: Wie geht es jetzt weiter mit Wheyfinery?  

Richard: Aktuell sind wir noch bis Ende April 2022 durch das VIP+ Programm vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Wir arbeiten gerade daran, eine Verlängerung mit Aufstockung bis Ende 2022 zu bekommen. Danach streben wir eine Förderung über den EXIST Forschungstransfer des BMWi an. Dieses Förderprogramm würde uns die Möglichkeit geben, ein kompetentes und breit aufgestelltes Gründungs-Team zu bilden. Ich glaube, dass Kompetenzen gebündelt werden müssen. In den nächsten anderthalb bis zwei Jahren wird sich dann herauskristallisieren, wie gut die Idee wirklich ist.  

SC: Was würdest du anderen Forscherinnen oder Forschern empfehlen, die mit dem Gedanken spielen, zu gründen?  

Richard: In erster Linie muss man natürlich die Idee, an der man arbeitet, toll finden. Ich denke, ob das so ist, das spürt man ganz schnell. Und dann geht es darum, dass man sich von negativem Feedback oder vielleicht auf den ersten Blick schlechten Rahmenbedingungen und einem gewissen Risiko nicht abschrecken lässt. Vor ein paar Jahren hätte man gesagt, Deutschland ist nicht besonders gründungsfreundlich. Ich denke, das ändert sich gerade – auch für forschungsintensive Bereiche wie die Biotechnologie. Es gibt Förderprogramme, die das Risiko minimieren und auch das Coaching, das man mittlerweile an den Unis direkt bekommen kann, ist super hilfreich. Ich würde aus eigener Erfahrung empfehlen, die Idee möglichst früh zu pitchen. Denn dadurch bekommt man wertvolles Feedback besonders hinsichtlich des Marktes, den man ansteuert. Das ist etwas, das ich konkret aus der akademischen Forschung so nicht bekommen konnte. Deshalb empfehle ich: Sprecht mit erfahrenen Gründerinnen und Gründern und so früh wie möglich auch mit Leuten, die ihr als eure potenziellen Kundeninnen und Kunden eurer Geschäftsidee anseht. So könnt ihr vermeiden, dass ihr die eigene Geschäftsidee am Markt vorbei entwickelt. 

SC: Herzlichen Dank, Richard. Wir wünschen dir viel Erfolg auf deinem weiteren Weg!  


Das Interview wurde von Sabine Ranft und Paul-David Bittner geführt.

Rückfragen zur weiteren Veröffentlichung an: gruendenspam prevention@uni-tuebingen.de 
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