Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 2/2017: Alumni Tübingen

Der Schriftsteller Joachim Zelter im Gespräch

Vom Lehrauftrag zur Literatur

Joachim Zelter ist freier Schriftsteller und Autor von Romanen, Theaterstücken und Hörspielen. Seine Romane wurden in mehrere Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Thaddäus-Troll-Preis (2000). Mit dem Roman „Der Ministerpräsident“ war er 2010 für den Deutschen Buchpreis nominiert. Zelter wurde in Freiburg geboren und studierte von 1982-1989 in Tübingen Politikwissenschaft und Anglistik. Im Anschluss promovierte er in Neuerer Englischer Literatur und hatte von 1995 bis 1996 einen Lehrauftrag für Deutsch an der Yale University. Danach arbeitete er bis 1997 als Dozent für Neuere Englische Literatur an der Universität Tübingen. Simona Steeger hat Joachim Zelter interviewt.

Weitere Informationen: www.joachimzelter.de

Seit 1997 arbeiten Sie als freier Schriftsteller nachdem Sie zuvor als Dozent tätig waren. Wie kommt dieser Wechsel?

Schon als Jugendlicher habe ich literarische Texte geschrieben, das dann aber zunehmend zurückgestellt und verdrängt. Von 1990 bis 1997 war ich dann als Dozent bzw. Wissenschaftlicher Angestellter in Tübingen und in Yale tätig, doch mit den Jahren wurde meine Sehnsucht nach dem literarischen Schreiben immer größer. Eigentlich hätte ich in Yale ja an meiner Habilitation arbeiten sollen. Stattdessen schrieb ich dort meinen ersten Roman, die BRIEFE AUS AMERIKA. Nach meiner Rückkehr gab es dann die ersten öffentlichen Lesungen, obwohl der Roman noch gar nicht veröffentlicht war. Nach diesen Lesungen war es dann um mich geschehen. Statt an meine Habilitation zu denken, kamen mir immer neue Ideen für Romane. Es wäre völlig undenkbar gewesen, diese Romane parallel zu einer Tätigkeit an der Universität zu schreiben. Bis ich irgendwann die Entscheidung traf, meine ganze Zeit und Kraft nur noch dem Schreiben zu widmen.

Welche Erinnerungen verbinden Sie mit Ihrem Studium in Tübingen?

Es sind Erinnerungen an die allerletzten Ausläufer der 68er-Zeit. Es sind Erinnerungen an ein Studium, das nicht zuerst der Frage der Geschwindigkeit oder der beruflichen Verwertbarkeit galt, sondern dem reinen Interesse. Es sind Erinnerungen an fulminante Vorlesungsreihen, etwa die von Jens oder Küng. Es sind Erinnerungen an die Tübingen Anglo-Irish Theatre-Group, in der ich als Schauspieler mitwirkte. Man könnte diese Zeit mit dem vietnamesischen Sprichwort zusammenfassen: „Umwege erhöhen die Ortskenntnis.“ Es war ein Studium, das Umwege, Abwege und Seitenwege erlaubt hat. Im Nachhinein betrachtet, hat mein Studium fast etwas Utopisches, etwas längst nicht mehr Mögliches.

Wie hat Ihre Tübinger Zeit Sie auf Ihr Berufsleben vorbereitet?

Es war weniger eine direkte als eine indirekte Vorbereitung. Gemäß dem Satz aus dem Hamlet „By indirections find directions out.“ Was damals vielleicht noch nebensächlich oder überflüssig erschien (zum Beispiel meine Erfahrungen mit dem Studententheater), erweist sich heute als sehr hilfreich. Auch eine umfassende literaturwissenschaftliche Ausbildung ist in meinem Beruf nicht unwichtig. Man schreibt dadurch noch keine besseren Romane, aber man kann das eigene Schreiben besser einordnen und reflektieren. Vor allem aber hilft mir mein akademischer Hintergrund so etwas wie Haltung zu bewahren, eine innere und äußere Haltung, gerade in einer Welt des Buchmarktes, in der Verkaufszahlen zunehmend alle anderen Fragen zur Seite drängen.

Haben Sie einen Tipp für alle, die schon immer mal ein Buch schreiben wollten – abgesehen davon, dass man eine gute Idee braucht?

Eigentlich nein. Die Erfolgsaussichten eines Schriftstellers sind so wenig berechenbar oder vorhersehbar wie ein englischer Sommer. Jeder Ratschlag wäre vermessen. Es sind nur winzige Kleinigkeiten, die ich anempfehlen könnte. Zum Beispiel: Alle Texte, die man schreibt, laut zu lesen, sie sich selbst vorzulesen oder anderen vorzulesen. Man gewinnt dabei schnell ein Gefühl, wo man die Leser gewinnt und wo man sie verliert.

Was raten Sie den heutigen Studierenden im Hinblick auf Studium und Berufswahl?

Es kommt sowieso alles anders als man denkt. Deshalb kann man genauso gut das machen, was man eigentlich machen will, oder schon immer machen wollte. Es gibt den schönen englischen Satz: „Be yourself. Everyone else is already taken.“

Joachim Zelter beim Tübinger Bücherfest am 27. Mai

Joachim Zelter wird beim Tübinger Bücherfest aus seinem Buch "Briefe aus Amerika" lesen.

Zeit: 27. Mai 2017 um 15 Uhr

Ort: Garten des Evangelischen Stiftes (bei Regen in der Kapelle des Stifts)

https://www.tuebinger-buecherfest.de/autoren.html