Ende November wurden die Nachhaltigkeitspreise für Abschlussarbeiten von Prorektor Professor Samuel Wagner und Professor Thomas Potthast verliehen. Bereits zum 14. Mal wurden die Preise für Bachelor- und Masterarbeiten vergeben, in diesem Jahr erstmalig auch für eine Dissertation.
Im Bereich der Bachelorarbeiten wurden Leon Flemming, Marie Luise Geisbusch und Benedikt Sanwald ausgezeichnet. Leon Flemming (Geographie) analysierte in seiner Arbeit die sozialräumliche Ungleichheit der Hitzebelastung im Stadtgebiet von Tübingen und beleuchtete dabei die räumliche Ausdehnung urbaner Hitzeinseln. Marie Luise Geisbusch (Geoökologie) untersuchte die Auswirkungen von Renaturierungsmaßnahmen auf die Vegetation von Mooren, indem sie Feld- und Satellitendaten kombinierte. Benedikt Sanwald (Germanistik) setzte sich mit dem Artensterben auseinander und beleuchtete das Thema anhand der literarischen Werke „Käfer“ von Bernhard Kegel und „Subtile Jagden“ von Ernst Jünger.
Im Bereich der Masterarbeiten wurden Mara Buchstab, Jörg Müller und Freya Reiß geehrt. Mara Buchstab (Politikwissenschaft/Public Policy and Social Change) analysierte in ihrer Arbeit die ideelle Entwicklung der SPD im Hinblick auf das „Ökosoziale Wachstumstrilemma“ und untersuchte dabei Parlamentsdebatten zum Jahreswirtschaftsbericht zwischen 1968 und 2023. Jörg Müller (Medienwissenschaft) widmete sich der nachhaltigen Nutzung alter Objektive an modernen Kameras und zeigte, wie durch ihre Wiederverwendung Ressourcen geschont werden können. Freya Reiß (Wirtschaftswissenschaften/European Management) erforschte die Ursachen und Mechanismen von Greenwashing in ausgewählten Unternehmen des Eurostoxx600 anhand ökonometrischer Methoden.
Erstmalig wurde auch eine Dissertation ausgezeichnet: Dr. Beatrice Ellerhoff (Physik) untersuchte in ihrer Arbeit, wie historische Klimasimulationen genutzt werden können, um Temperaturschwankungen auf lokaler bis globaler Ebene zu verstehen und zukünftige Auswirkungen des Klimawandels präziser vorherzusagen.
Der Politikwissenschaftler Prof. Ulrich Brand von der Universität Wien hielt die Sustainability Lecture 2024 zum Thema „Kapitalismus am Limit? Zu den Widersprüchen der ‘imperialen Lebensweise’". Er sprach über die drängenden ökologischen und sozialen Herausforderungen unserer Zeit und thematisierte die grundlegenden Ursachen der Klimakrise und mögliche Wege hin zu einer nachhaltigeren und solidarischen Gesellschaft.
Brand skizzierte das Konzept der „monströsen Normalität“, welches beschreibt, wie tief die destruktive Ausbeutung von Mensch und Natur in unsere Gesellschaft und Wirtschaft eingebettet ist. Zudem kritisierte er das Schlagwort „ökologische Modernisierung“, welches oftmals verschleiere, dass Probleme nur oberflächlich behandelt werden, anstatt die Wurzeln der Krise anzupacken. Stattdessen plädierte er für einen Ansatz, der auf starke Nachhaltigkeit und eine solidarische Lebensweise setzt.
„Die Klimakrise ist da und sie ist ernsthaft da“, betonte Brand und führte das Beispiel der Starkregenereignisse in Valencia an. Während Bewegungen wie Fridays for Future im Jahr 2019 eine breite Mobilisierung bewirkten, habe die Pandemie die öffentliche Aufmerksamkeit und den Protest stark zurückgedrängt. Gleichzeitig verschärften geopolitische Entwicklungen die Situation: 2020 wurden beispielsweise 700 Milliarden Dollar in die Förderung fossiler Energien investiert – ein enormer Widerspruch zu den jährlich benötigten 250 Milliarden Dollar für die Unterstützung des Globalen Südens im Kampf gegen die Klimakrise.
In seiner Rede bezeichnete Brand die imperiale Lebensweise als zentrales Problem. Unsere Konsumgüter – von Mobiltelefonen über das billige Schnitzel bis hin zu günstiger Kleidung – basieren oft auf der Ausbeutung von Arbeitskräften und Ressourcen in anderen Teilen der Welt. Selbst alltägliche Lebensentwürfe, wie die Pflege älterer Menschen durch Arbeitskräfte aus Osteuropa, verdeutlichen diese strukturelle Abhängigkeit. Brand machte klar, dass diese nicht nur individuell bedingt sei, sondern von ökonomischen und politischen Strukturen vorangetrieben werde.
Brand kritisierte auch die Versprechen der „grünen Ökonomie“: Die Idee, Wirtschaftswachstum und Emissionen zu entkoppeln, halte nicht, was sie verspreche. Stattdessen warnte er vor der zunehmenden Instrumentalisierung des Globalen Südens als bloßes Materiallager für den Globalen Norden.
Schließlich skizzierte Brand die gesellschaftlichen Voraussetzungen für eine solidarische und nachhaltige Zukunft aus seiner Sicht. Dazu gehören für ihn unter anderem die Neugestaltung des Mobilitätssystems mit einem stärkeren Fokus auf den Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel und kurzen Wegen. Wichtig sei hierbei, Nachhaltige Entwicklung nicht mit Verzicht gleichzusetzen, sondern als Möglichkeit zu sehen, neue, lebenswerte Perspektiven zu schaffen.
Seine Kernbotschaft: Ein Wandel ist möglich, er erfordert jedoch tiefgreifende Veränderungen in Wirtschaft, Politik und Lebensweise – weg von einer destruktiven Praxis hin zu einer solidarischen und nachhaltigen Gesellschaft.
Text: Lydia Solomon, Kerstin Schopp und Thomas Potthast, Redaktion: Maximilian von Platen
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