Paläoanthropologie

Das bandkeramische Grubenwerk Herxheim/Pfalz: Die Menschenknochen

PD Dr. Miriam N. Haidle

Typisch?

Auf den ersten Blick erweckte das bandkeramische Erdwerk von Herxheim bei Landau bei den Grabungskampagnen von 1996 bis 1999 den Eindruck einer typischen Verteidigungsanlage. Der doppelte Graben umschloss eine Siedlung auf einer Fläche von ca. 3 ha, von der – erosionsbedingt - nur wenige hausbegleitende und andere Gruben dokumentiert werden konnten. Mit Ursprüngen bereits in der Flomborn-Phase endete die Nutzung des Erdwerks mit dem Ende der jüngsten Bandkeramik. Verstreute Knochen vollständiger Skelette, Torsi im anatomischen Verband, über 400 Schädelkalotten und zu kleinen Fragmenten zerschlagene menschliche Langknochen schienen von einer kriegerischen Auseinandersetzung zu zeugen. Wie ähnliche Befunde in Talheim und Asparn/Schletz wurde auch Herxheim als Beleg für eine gesellschaftliche Krise am Ende einer langen Phase kultureller Homogenität interpretiert.

Umbruch

Auf den zweiten Blick und im Zuge genauerer Untersuchungen zeigte die Herxheimer Anlage ein ganz anderes Gesicht. Die Gräben wurden nicht als schützende Struktur am Stück ausgehoben, sondern setzen sich aus überlappenden langen Gruben zusammen. Zumindest am Ende seiner Nutzung besaß das Grubenwerk keine normale Siedlungsfunktion mehr. In Depots in den „Gräben“ lagen Gefäße höchster Qualität aus Regionen nördlich und östlich von Herxheim (von Plaidter Keramik aus dem Moselmündungsgebiet bis in die Elbe-Saale-Region/Böhmen). Das Rohmaterial der Silexgeräte weist eine große Vielfalt auf (28 Rohmaterialvarianten), die in die entgegengesetzten Richtungen bis ins Pariser Becken, ins Saarland und auf die Schwäbische Alb weist. Der Geräteanteil liegt sehr hoch bei 52%, die an 85% aller Silexartefakte makroskopisch beobachtbaren Gebrauchsspuren deuten auf eine lange Nutzung vor ihrer Niederlegung. Wie die Keramik, die Silex- und Felsgesteingeräte wurden auch die menschlichen Knochen bewusst und nach bestimmten Regeln zerschlagen und zugerichtet. Herxheim war am Ende der Bandkeramik ein Zentrum, an dem sich Angehörige verschiedener Regionalgruppen trafen, um in einem Zeitraum von max. 50 Jahren im Rahmen bisher unbekannter Riten über 450 Leichname meist sekundär beizusetzen.

Knochenlese

Das Auffälligste am Fundplatz Herxheim ist die regelhafte Zurichtung und Niederlegung der zahlreichen Menschenreste aller Altersklassen und beider Geschlechter. Nur wenige Skelette sind vollständig und im anatomischen Verband erhalten. Sowohl Schädelkalotten als auch Kieferhälften liegen z.T. in Nestern vor. Das postcraniale Skelett ist meist kleinstückig zerschlagen. Schnittspuren auf dem Schädel, an Unterkieferästen und selten an Langknochen weisen auf die Säuberung und Zerlegung mancher Leichname hin. Die Unterrepräsentierung von Hand-, Fuß- und Rumpfknochen ist ein Indiz für sekundäre Bestattungen. Obwohl viele Individuen verheilte Schädelverletzungen aufweisen, konnte bislang noch keine tödliche Hiebverletzung festgestellt werden. Vielmehr weisen – neben der Zusammensetzung und der Behandlung des Artefaktinventars – auch Parallelen bei der Deponierung von Unterkiefern und im anatomischen Verband liegenden Skelettelementen von Caniden auf besondere Bestattungsriten hin.

DFG-Projekt Herxheim (ZE 515/2-1)

Koordination: Dr. Andrea Zeeb-Lanz, Arch. Denkmalpflege Speyer

Menschenknochen: Dr. Miriam Haidle, Universität Tübingen, Dr. Jörg Orschiedt, Universität Hamburg

Tierknochen: Dr. Rose-Marie Arbogast, CNRS, Universität Basel

Keramik: Prof. Dr. Christian Jeunesse, Université Strasbourg

Keramikseriation : Dr. Samuel van Willigen, Schweizerisches Landesmuseum Zürich

Knochenartefakte : Fabian Haack M.A., Arch. Denkmalpflege Speyer

Steingeräte: Dirk Schimmelpfennig M.A., Universität Köln

Befunde: Dr. Katja Schmidt, Université Strasbourg

Archäobotanik: Dr. Angela Kreuz, Inst. Für Archäologische Landesforschung Hessen, Wiesbaden

Die Ausgrabungen in Herxheim werden 2005/6 im nordwestlichen Bereich der Anlage fortgesetzt.


Literatur

Arbogast Rose-Marie 2003: Vorläufige Ergebnisse zur Fauna des bandkeramischen Fundplatzes von Herxheim. Archäologie in der Pfalz. Jahresbericht 2001, 273-277.

Haack, Fabian 2001: Die Knochen- und Geweihgeräte der bandkeramischen Siedlung von Herxheim bei Landau. Archäologie in der Pfalz. Jahresbericht 2000, 189-193.

Haack, Fabian 2003: Knochenstäbchen – Zur Terminologie bandkeramischer Knochengeräte. Archäologie in der Pfalz. Jahresbericht 2001, 266-270.

Häußer, Annemarie (Hrsg.) 1998: Krieg oder Frieden? Herxheim vor 7000 Jahren. Katalog zur Sonderausstellung. Herxheim.

Häußer, Annemarie 2001: Herxheim bei Landau, Kreis Südliche Weinstraße, Gewerbegebiet „West“. Die Ausgrabung der jüngstbandkeramischen Siedlung mit Grabenwerk. Archäologie in der Pfalz. Jahresbericht 2000, 63-68.

Häußer, Annemarie, Miriam Noël Haidle & Jörg Orschiedt (im Druck): Die menschlichen Skelettreste des jüngstbandkeramischen Grabenwerks von Herxheim. Zeugen eines Massakers oder einer neuen Bestattungssitte? In: K.W. Alt, R.-M. Arbogast, Ch. Jeunesse, S. van Willigen (Hrsg.), L´anthropologie du Néolithique danubien/Zur Anthropologie des Frühneolithikums in Mitteleuropa. Actes des Rencontres danubiennes de Fribourg/Br., 17/18 oct. 1998. Ass. pour la Prom. de la Recherche Arch. en Alsace, Zimmersheim.

Haidle, Miriam Noël & Jörg Orschiedt 2001: Das jüngstbandkeramische Grabenwerk von Herxheim, Kreis Landau: Schauplatz einer Schlacht oder Bestattungsplatz? Anthropologische Ansätze. Archäologie in der Pfalz. Jahresbericht 2000, 147-153.

Orschiedt, Jörg, Annemarie Häußer, Miriam Noël Haidle, Kurt W. Alt & C. H. Buitrago-Téllez 2003: Survival of a multiple skull trauma: the case of an Early Neolithic individual from the LBK enclosure at Herxheim (Southwest-Germany). International Journal of Osteoarchaeology 13, 369-374.

Kreuz, Angela 2001: Archäobotanische Untersuchungen zu bandkeramischen Fundstelle bei Herxheim. Archäologie in der Pfalz. Jahresbericht 2000, 154-155.

Schimmelpfennig, Dirk 2001: Das Steinmaterial der bandkeramischen Siedlung von Herxheim bei Landau. Archäologie in der Pfalz. Jahresbericht 2000, 193-196.

Schmidt, Katja 2004: Das bandkeramische Erdwerk von Herxheim bei Landau, Kreis Südliche Weinstraße. Untersuchung der Erdwerksgräben. Germania 82, 333-349.

Spatz, Helmut 1998: Krisen, Gewalt, Tod – zum Ende der ersten Ackerbauernkultur Mitteleuropas. In: A. Häußer (Hrsg), Krieg oder Frieden? Herxheim vor 7000 Jahren. Katalog zur Sonderausstellung. Herxheim, 10-19.

Stand: 2005