"Die Höhle Geißenklösterle: Ökonomie und Ökologie". Auswertung der Großsäugerfauna
Dr. Susanne Münzel
Das wichtigste Ergebnis der Faunenauswertung ist nicht die Artenzusammensetzung pro Schicht, sondern die Skelettteilzusammensetzung pro Art. Denn die Analyse hat gezeigt, dass die Hauptjagdtierarten in den jungpaläolithischen Schichten jeweils mit den Skelettteilen vertreten sind, die auch als Rohmaterial für die Artefaktherstellung wichtig waren.
Zur Bedeutung der Jagdtiere als Nahrungsmittel können wir meiner Meinung nach keine Aussagen machen. Ihre Nutzung als Nahrungsmittel wird zwar durch die Schlachtspuren dokumentiert, die Anzahl der Schlachtspuren wird aber vor allem durch den Anteil postkranialer Skelettteile bestimmt, der im Geißenklösterle wiederum durch deren Weiterverwendbarkeit als Rohmaterial für die Artefaktherstellung beeinflusst wird. Übriggeblieben sind vor allem die Skelettteile, die als Artefakte weiterverwendet werden konnten. Andere Skelettteile endeten, sofern sie überhaupt in die Höhle gebracht wurden, in den Feuerstellen als Brennmaterial. Im Geißenklösterle ist fast ausschließlich die letzte Phase der chaîne opératoire dokumentiert, nämlich die Herstellung von Artefakten aus harten tierischen Materialien und ihre Abfälle. Das passt gut zu den Ergebnissen der Gebrauchsspurenanalyse (Symens 1988, 201), in der die Spuren der Bearbeitung harter tierischer Materialien überwiegen. Die Zerlegung der Beute bzw. das Schneiden von Fleisch ist nur selten belegt oder aber durch die Spuren der 'Knochenarbeit' überdeckt worden (taphonomischer Prozess). Deshalb ist auch die Zerlegung der Beute in der Höhle kaum nicht belegt. Es gibt nur zwei Beispiele für Zerlegungsprozesse, an denen mehr als ein Skelettteil beteiligt ist. Die Beispiele sind vom Hinter- und Vorderfußskelett des Steinbocks. Einmal handelt es sich um einen Metatarsus und einen Fußwurzelknochen (IND: AN), die auch räumlich nah beieinander liegen. Der Fußwurzelknochen trägt eine Schnittspur, die die Trennung vom Metatarsus belegt, der anschließend aufgeschlagen wurde. Das zweite Beispiel ist aus den mittelpaläolithischen Schichten: die Trennung von Metacarpus und erster Phalange (IND: B). Dass es ausgerechnet für den Steinbock zwei Belege für die Zerlegung der Beute gibt, mag daran liegen, dass keines seiner Skelettteile so intensiv als Rohmaterial genutzt wurde wie im Jungpaläolithikum Mammut, Pferd und Ren.
Die mittelpaläolithischen Horizonte sind gekennzeichnet durch einen sehr hohen Höhlenbärenanteil, und es sind die einzigen Schichten, in denen der Steinbock bzw. die kleinen Wiederkäuer einen nennenswerten Anteil erreichen. Eine Zunahme des Steinbocks ist in vielen mittelpaläolithischen Fundplätzen zu beobachten (Gamble 1995). Gamble schließt, meiner Meinung nach zu Recht (s. u.), eine Jagdspezialisierung der Neandertaler aus. Mit Aussagen zur Häufigkeit der Tierarten oder zu ihrer Nutzung durch den Menschen muss man im Geißenklösterle aus zwei Gründen vorsichtig sein, erstens ist die Grabungsfläche sehr klein und sie hat offensichtlich nicht das Zentrum der Begehung getroffen, und zweitens ist der Erhaltungszustand der Knochen sehr schlecht. Es gibt einige wenige sehr gut erhaltene Knochen wie der Metacarpus und die erste Phalange (IND: B) vom Steinbock mit gut erhaltenen Schnittspuren, aber das Gros der Faunenreste ist verätzt, verwittert und verrundet und bietet deshalb auch keine Gelegenheit, Schnittspuren zu erkennen. Dass das Achtal auch im Mittelpaläolithikum wiederholt besucht wurde, wissen wir aus den zahlreichen mittelpaläolithischen Schichten der Großen Grotte und des Sirgensteins, nur im Geißenklösterle ist dieser Zeitraum nicht mehr gut erhalten.
Auffallend ist außerdem, dass der Anteil der typischen Jagdtierarten Mammut, Pferd und Ren in den mittelpaläolithischen Schichten relativ niedrig ist, obwohl diese Arten im Achtal präsent waren. Ich möchte aufgrund der Auswertung der jungpaläolithischen Schichten behaupten, dass ihr Anteil deshalb so gering ist, weil die Skelettteile, die für die jungpaläolithische Knochenindustrie genutzt wurden, von Neandertalern nicht verwendet wurden und deshalb der Eintrag der typischen Rohmaterialskelettteile fehlt und der anthropogene Input in die Höhle auch geringer ausfällt. Deshalb ist meiner Meinung nach der Anteil von Steinböcken und kleinen Wiederkäuern (und auch der der Höhlenbären) in den mittelpaläolithischen Schichten höher. Neandertaler müssen einen höheren Anteil an pflanzlichen Rohstoffen genutzt haben, wie etwa Holz für die Jagdwaffen. Eine Ausnahme bildet hier die Geschossspitze aus Geweih aus der Großen Grotte (Wagner 1983; Münzel/Conard 2004a), die aber aus der jüngsten mittelpaläolithischen Schicht II mit Blattspitzen stammt. Ich denke, wir können aus taphonomischen Gründen keine Aussagen zur Intensität der Neandertaleraktivitäten treffen.