Fachgebiete: Neuere und Neueste Geschichte, Wissenschaftsgeschichte
Im Sommer 2014 erklärte die WHO den Ausbruch von Ebola in Teilen Westafrikas zum ‚Public Health Emergency of International Concern‘. Zuvor war in Guinea, Liberia und Sierra Leone der Katastrophenfall ausgerufen worden. Dort kursierte bis zum Ende der Bedrohung 2016 der tödlichste Strang des Erregers. Ebola breitete sich rasch aus und erreichte zum ersten Mal dicht besiedelte Gebiete mit Anbindung an den internationalen Personenverkehr. Schnell war die Rede von einer Pandemie. Die Infektionskrankheit forderte innerhalb von 24 Monaten über 11.000 Tote, darunter auch 500 professionelle healthcare workers. Angesichts dieser Bedrohung stellten die betroffenen Gesellschaften, die Massenmedien, aber auch Mediziner selbst tradierte Routinen der Bekämpfung von gravierenden Infektionskrankheiten infrage. Diese basierten auf einer ‚Medizinischen Ordnung‘ – der Ordnung wissenschaftlicher Medizin westlicher Prägung. Diese bakteriologisch geprägte Wissensordnung entstammt dem 19. Jahrhundert, strukturiert bis heute die moderne Klinik und ihre Institutionen, umfasst medizinisches Wissen und determiniert Praktiken.
Die Teiluntersuchung schließt mit der Analyse des Ebola-Ausbruchs um 2014 thematisch und zeitlich an die Projekte B05 (Aids) und G05 (Antibiotikaresistenzen, AMR) an, die den Kampf gegen new emerging infectious diseases ins Zentrum stellen. Im Vergleich zu diesen vorangegangenen Bedrohungen scheint mit Ebola eine neue Eskalationsstufe von Bedrohung für die Medizinische Ordnung erreicht worden zu sein; signifikant schwand das Vertrauen in sie. Etablierte Routinen der Medizin – so ‚Ärzte ohne Grenzen‘ – würden in Momenten verdichteter Zeitverknappung versagen. Andere Kritiker kommunizierten das Abschotten gegenüber konkurrierenden, effizienten Wissensbeständen als eklatantes Defizit der Medizinischen Ordnung.
Trotz dieser Bedrohungskommunikation sind nur minimale Anpassungen der Medizinischen Ordnung erkennbar. Hier setzt das Teilprojekt an, das dem Projektbereich ‚Reflexion‘ und der Gruppe ‚Synchrone Interdependenz‘ zugeordnet ist. Aufgrund der Ergebnisse des Vorgängerprojekts G05 und ersten eigenen Beobachtungen zu Ebola rückt es die Frage nach den Gründen für die vermeintliche Stabilität der Medizinischen Ordnung ins Zentrum. So fokussiert es auf Anpassungs- und Stabilisierungsstrategien dieser Ordnung beziehungsweise auf Faktoren, die Änderungen bewirkten. Anhand der Bedrohungskommunikation soll zunächst der Vertrauensverlust in die Medizinische Ordnung konkretisiert werden. Anschließend werden mithilfe dieser Ergebnisse die innerprofessionellen Reaktionen analysiert, die auf ihre Stabilisierung oder Neuordnung zielten. Diesbezüglich beleuchtet das Projekt auch die Rolle einer Teilordnung der Medizinischen Ordnung: des outbreak control, das auf instrumentell-erfolgsorientiertes Handeln im Falle von Infektionskrankheiten ausgerichtet ist. Untersucht wird, inwieweit die Bedrohungskommunikation zu Modifizierungen dieser Teilordnung führte und wie sich mögliche Transformationen des outbreak control wiederum auf die Medizinische Ordnung auswirkten. Darauf aufbauend – und zugleich vertiefend – zielt das Teilprojekt auf eine Ergebnissynthese der drei SFB-Projekte, um in diachroner Perspektive Bedingungen für die Stabilität oder den Wandel der Medizinischen Ordnung im 20. und angehenden 21. Jahrhundert zu konturieren.