Alte Geschichte

Das Tübinger Lykien-Projekt

Gehöfte im Yavu-Bergland

Einzelgehöfte im Yavu-Bergland

Einzelgehöfte als ländliche Siedlungsform sind seit den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts Gegenstand historisch-archäologischer Siedlungsforschungen. Allerdings wurden zu Beginn diesbezüglicher Untersuchungen nur fallweise gut erhaltene Anlagen vorgestellt bzw. als 'Gehöft' erkannt. Erst mit dem Einsetzen extensiver und intensiver Geländeuntersuchungen - unter dem Begriff 'survey' eine vor allem von der angelsächsischen Altertumswissenschaft seit den 1970er Jahren verstärkt betriebene Forschungsmethode - rückten siedlungsgeschichtliche Fragestellungen in den Vordergrund. Fragen nach der Siedlungsstruktur desländlichen Raumes (chora) antiker Gemeinwesen, d. h. nach Formen und Verteilung ländlicher Siedlungen, sind mangels aussagkräftiger Schriftzeugnisse nur auf der Grundlage intensiver, also flächendeckender Geländebegehungen zu beantworten.

Ziel der Feldforschungen im Yavu-Bergland, dessen geographischer Umriß weitgehend mit den Territoriumsgrenzen der zentrallykischen Polis Kyaneai zusammenfällt, war es, Siedlungsstrukturen und -geschichte einer geschlossenen Siedlungskammer von der archaischen bis in byzantinischeZeit zu rekonstruieren. Dafür sollten sämtliche noch an der Oberfläche sichtbaren Siedlungsreste aufgenommen und analysiert werden. Außerhalb der Zentralorte und der kleineren dorf- und weilerartigen Siedlungen (Ländliche Siedlungen) wurden auf rund 106 erforschten Quadratkilometern rund 430 Einzelgehöfte registriert, eine für die antike Welt bislang singuläres Gehöftnetz (ca. vier Gehöfte je Quadratkilometer). Diese ländlichen Anwesen waren oftmals mit einer oder mehreren Grabstätten (bei rund 90 Einzelgehöften wurden die zugehörigen Grabstätten gefunden) sowie mit Wirtschaftsinstallationen verbunden: Bei fast 120 Einzelgehöften wurden assoziierte Terrassen oder sogar Terrassenkomplexe festgestellt; bei über 85 Gehöften fanden sich zugehörige Press- und Mahlvorrichtungen; bei mehr als 120 Gehöften wurden Zisternen und Tränken registriert. Die Wirtschaftsinstallationen verweisen auf die ökonomischen Grundlagen der Gehöfte, die mit Gehöften vergesellschafteten Gräber bezeugen den Residenzcharakter der Einzelgehöfte.

Die architektonische und grundrißtypologische Analyse der im Yavu-Bergland dokumentierten Einzelgehöfte erbrachte ein erstaunliches Typenspektrum. Rund 240 Anlagen konnten typologisch klassifiziert werden, ca. 190 Anlagen lassen sich aufgrund einer variablen Grundrißdisposition keinem Bautyp zuweisen.

Folgende Gehöfttypen wurden identifziert:

1. Das Reihenraum-Gehöft: Hierbei handeltes sich um einen vermutlich regionalen, aus der Siedlungshausarchitektur in den ländlichen Bereich transponierten Bautyp. Beim Reihenraum-Gehöft sind die Räume parataktisch nebeneinander gesetzt. Dem Raumtrakt kann ein korridorartiger Verteiler vorgesetzt sein. In aller Regel ist dem Gehöft ein ummauerter Hof vorgelagert. Im 6. und 5. Jh. v. Chr. war das Reihenraum-Gehöft die architektonische 'Leitform' im Gehöftbau des Yavu-Berglandes. Insgesamt wurden über 80 Reihenraum-Gehöfte registriert.

2. Die Hofanlage: Hofanlagen bestehen aus eine mummauerten Hof und einem mit diesem architektonisch verbundenen ein- oder auch zweiräumigen Haus. Dieser Bautyp ist mit der in der Region schon in der Antike einen hohen Stellenwert einnehmenden Kleinviehwirtschaftzu verbinden. Bei den Hofanlagen handelt es sich entweder um ständig bewohnte Viehzüchter-Gehöfte oder um nur temporär aufgesuchte externe Viehgehege, die von umherziehenden Hirten und ihren Herden als schützende Unterstände genutzt wurden (Hirtenstationen). Wie die Reihenraum-Gehöfte wurden auch Hofanlagen bereits in der archaischen Zeit, als die Siedlungsweise in Einzelgehöften in der Region einsetzte, errichtet. Von diesem Bautyp wurden 33 Anlagen dokumentiert.

3. Das Turmgehöft: Etwa ab 400 v. Chr., spätestens aber ab hellenistischer Zeit rückt das Turmgehöft, eine vor allem aus dem griechischen Raum (östlichen Mittelmeerraum und Schwarzmeergebiet) bekannter ländlicher Bautypan die Spitze der Gehöfthierarchie. In der Regel setzt sich ein Turmgehöftaus einem zentralen, multifunktional genutzten Turm (Wohnhaus, Schutzbau, Wirtschaftsbereich, Stall im Erdgeschoß, Speicher), Nebengebäuden und einem angeschlossenen Hof zusammen. Das oftmals aufwendig gestaltete Mauerwerk des Turmes verweist auf den gesteigerten Repräsentationscharakter der Anwesen. Turmgehöfte wurden im Yavu-Bergland offensichtlich schon in vorhellenistischer Zeit gebaut, wobei sich eine Variante mit langrechteckigem Turmgrundriß möglicherweise in Anlehnung an die architektonische Erscheinung der wehrhaften Dynasten- und Herrensitze klassischer Zeit ausbildete. Ab hellenistischer Zeit ist jedoch eine typologische Vereinheitlichung festzustellen, die große Teile des östlichen Mittelmeerraumes und auch des Schwarzmeergebietes erfaßte. Turmgehöfte besitzen nun ausnahmslos einen (annähernd) quadratischen Grundriß. Allerdings ist auch in der Gruppe der Turmgehöfte ein gewisses Gefälle zu beobachten: Neben großen drei- oder sogar vierräumig angelegten Turmgrundrissen finden sich auch einräumige Türme, deren Mauergestaltung weniger aufwendig und repräsentativ durchgeführt wurde. Hinsichtlichder Bauplatzwahl lassen sich in Zentrallykien zwischen klassischen und hellenistischen Turmgehöfte Unterschiede erkennen: Während klassische Turmgehöfte oftmals - entsprechen den Burgen der Dynastenzeit - in fortifikatorisch vorteilhafter Kuppenlage errichtet wurden, suchen Turmgehöfte ab der hellenistischen Zeit die Nähe zu landwirtschaftlichen Nutzflächen, finden sich folglich in Hanglage oder auf leicht zugänglichen Erhebungen oberhalb von Fruchtebenen; sie finden sich auch in der Ebene unmittelbaran den zugehörigen Feldern gelegen. Insgesamt wurden 122 Turmgehöfte registriert, darunter 13 Anlagen, deren Turm einen langrechteckigen bzw. gelängten Grundriß aufweist, während 109 Turmgehöfte einen (annähernd) quadratischen Grundriß besitzen.


Folgende Tabelle vermittelteinen Eindruck von der Entwicklung der Siedlungsweise in Einzelgehöften im Yavu-Bergland:

Zahl der neu gebauten Einzelgehöfte
Zahl der gleichzeitig bewirtschafteten Einzelgehöfte
Archaische Zeit
(spätes 7. - frühes 5. Jh. v. Chr.)
1010-19
Archaisch oder klassisch
zu datierende Einzelgehöfte
8---
Klassische Zeit
(5.-4. Jh. v. Chr.)
103106-138
Klassisch oder hellenistisch
zu datierende Einzelgehöfte
(5.-4. Jh. v. Chr.)
22---
Hellenistische Zeit
(spätes 4.-1. Jh. v. Chr.)
99111-227
Hellenistisch oder kaiserzeitlich
zu datierende Einzelgehöfte
94---
Kaiserzeit
(1.-3. Jh.)
41101-183
Späte Kaiserzeit /
(früh-)byzantinische Epoche
(4.-9. Jh.)
1582
Zahl der datierten Einzelgehöfte392
(von insgesamt 430 Einzelgehöften)


Literatur:

  1. M. Miller, Archäologische Befunde im Umland von Kyaneai. Festung, Tempel, Gehöfte, Kirchen, in: F. Kolb (Hg.), Lykische Studien 1 (Asia Minor Studien 9), Bonn 1993, 70-85
  2. A. Konecny, Turmgehöft zwischen Belkonak und Gökçeyazi, ebenda 87-93
  3. B. Yener, Ein Turmgehöft im Vorfeld Trysas, ebenda 95-96
  4. M. Miller, Gehöfte auf dem Gebiet von Kyaneai, in: F.Kolb (Hg.), Lykische Studien 2 (Asia Minor Studien 18), Bonn 1995, 69-92
  5. B. Yener, Drei Turmgehöfte auf dem Bergrücken vonTüse, ebenda 93-101
  6. K. Geppert, Gehöfte und Gräber im Gebiet des AvsarTepesi, in: F. Kolb (Hg.), Lykische Studien 3 (Asia Minor Studien 24), Bonn 1996, 39-50
  7. R. Behrwald, Ein großes Turmgehöft im Gebiet des Ayibeleni, ebenda 51-57
  8. B. Yener, Vier Turmgehöfte im Kilise-Gebiet, ebenda 59-69
  9. U. Hailer, Turmgehöfte im Umland von Kyaneai, in: F.Kolb (Hg.), Lykische Studien 4 (Asia Minor Studien 29), Bonn 1998, 71-86
  10. Ders., Die klassische Anlage auf dem Kale Tepesi, ebenda 225-241
  11. Ders., Gehöfte, land- und viehwirtschaftliche Installationen, Gräber, in: F. Kolb (Hg.), Lykische Studien 5 (Asia Minor Studien 41), Bonn 2000, 59-78
  12. Ders., Die archaischen und klassischen Gehöfte im Yavu-Bergland. Indigene Agrarstrukturen und Akkulturation im südwestlichenKleinasien, Diss. Tübingen 2001 (im Druck)
  13. Ders., Einzelgehöfte im Yavu-Bergland, in: F. Kolb (Hg.), Lykische Sudien 6 (Asia Minor Studien 48), Bonn 2003, 67-109
  14. Ders., Hellenistische und kaiserzeitliche Einzelgehöfte und Agrarstrukturen im Yavu-Bergland (Zentrallykien), im Druck