International Center for Ethics in the Sciences and Humanities (IZEW)

Die Rolle von privaten und öffentlichen Unternehmen während des Hochwassers im Jahr 2021

Die Studie verfolgte eine Bestandsaufnahme von unternehmerischen Kooperations- und Engagementformen in Katastrophen am Beispiel des Hochwassers im Juli 2024 im Landkreis Ahrweiler. Dabei werden gegenwärtige Möglichkeitsräume ebenso wie Hindernisse bei der Kooperation mit wirtschaftlichen Akteur*innen in der akuten Lagebewältigung ausgelotet.

Projektleitung

Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen

Projektlaufzeit

Mai bis September 2022

Förderung

Die Studie wird im Auftrag des Generalsekretariats des Deutschen Roten Kreuzes e. V. durchgeführt.

Ansprechpartner

Projektbeschreibung

Das Hochwasser an Ahr und Erft im Juli 2021 zählt zu den schwersten und folgenreichsten Katastrophen der letzten Jahrzehnte in Deutschland. Es kostete über 180 Menschen das Leben, mehr als 800 Menschen wurden teilweise schwer verletzt. Die Bewältigung der Verheerungen erforderte und erfordert noch immer eine gesamtgesellschaftliche Kraftanstrengung. Noch während der Flutereignisse, aber auch im direkten Nachgang, waren tausende ehren- und hauptamtliche Katastrophenschützerinnen und Katastrophenschützer im Einsatz. Ebenso unterstützte eine kaum zu überschauende Anzahl an ungebundenen Helferinnen und Helfern die Aufräumarbeiten im Nachgang der Fluten. Darüber hinaus engagierten sich aber auch Unternehmen vor Ort und aus der Ferne beim Wiederaufbau der großflächig zerstörten Infrastrukturen.

Die vorliegende Studie analysiert, welche Rolle Unternehmen während der Hochwasserbewältigung im Juli 2021 spielten. Der Kreis Ahrweiler war die am stärksten betroffene Region. Sie steht daher exemplarisch im Mittelpunkt dieser Studie. Die Einbindung von Unternehmen in die Strukturen des Katastrophenschutzes und ihre Rolle bei der Bewältigung von Katastrophen wird unter Schlagwörtern wie Resilienz und dem Schutz der kritischen Infrastrukturen sowie – aus Unternehmensperspektive – durch Konzepte wie Business Continuity Management und Corporate Social Responsibility verhandelt.

Basierend auf einer Bandbreite an Dokumenten sowie auf 21 Interviews mit Personen aus Behörden, Hilfsorganisationen, Verbänden und Unternehmen gibt die Studie einen Überblick über die Bedeutung von Unternehmen in der Bewältigung des Hochwassers. Bereits im unmittelbaren Nachgang des Hochwassers halfen Unternehmen durch finanzielle und materielle Spenden, die Bereitstellung von Maschinen, von Fachpersonal und Infrastruktur sowie durch die Freistellung von Mitarbeitenden. Die Art und das Ausmaß des unternehmerischen Einsatzes wurden von der eigenen Betroffenheit, dem Betätigungsfeld (insbesondere, ob es sich um ein Unternehmen handelte, das zur kritischen Infrastruktur zählte) und der Phase des Wiederaufbaus beeinflusst. Menschlichkeit und Solidarität sowie Verantwortungsgefühl und die Betroffenheit der Mitarbeitenden motivierten die Unternehmen zur Hilfe. Die Öffentlichkeitswirksamkeit ihres Einsatzes wurde zwar wahrgenommen, aber nachrangig genannt. Die vorliegende Studie zeigt, dass es dabei nicht das eine Unternehmen gibt, sondern dass unterschiedliche Unternehmen über unterschiedliche Möglichkeiten und Kapazitäten bei der Katastrophenbewältigung verfügen.

Die empirischen Ergebnisse der Studie lassen sich zu vier Narrativen über die Rolle von Unternehmen in der Bewältigung der Hochwasserereignisse im Untersuchungsgebiet verdichten:

  1. Es wurden eine enorme Hilfsbereitschaft und ein großer Zusammenhalt in der Gesellschaft wahrgenommen. Dies motivierte die Helferinnen und Helfer vor Ort und wirkte als Lichtblick angesichts der Zerstörungen.
  2. In den Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern der Katastrophenschutzstrukturen sowie mit Unternehmen zeigte sich ein verbreitetes Bewusstsein über die große Bedeutung des unternehmerischen Engagements für eine effiziente Lagebewältigung und den raschen Wiederaufbau.
  3. Zahlreiche Interviewte berichteten von unklaren Zuständigkeiten und Verwirrungen in der Kommunikation, insbesondere im unmittelbaren Nachgang der Ereignisse, und wiesen auf die Gefahren eines Verantwortungsvakuums hin.
  4. Als besonders wirkungsvoll wurde lokale und spontane Hilfeleistung wahrgenommen. Vor allem übergeordnete behördliche Instanzen verwiesen jedoch auf die Gefahr, dass unkoordiniertes Engagement auch zu Mehrarbeit für den Katastrophenschutz führen kann.

Die Narrative stehen dabei nicht als allgemeingültige Wahrheiten, zeigen aber, wie unterschiedliche Beteiligte im Kreis Ahrweiler sowie in unterschiedlichen Unternehmen die Arbeiten zur Bewältigung der Hochwasserlage erlebt haben. Aus diesem Erleben leiten sich  vier zentrale Handlungsempfehlungen für die zukünftige Einbindung von Unternehmen ab:

  1. Die Ressourcen von Unternehmen sollten bereits im Vorfeld systematisch lokal und regional erfasst werden. Die Kartierung von Fähigkeiten, die durch die ansässigen Unternehmen eingebracht werden können, sollte bereits im Vorfeld erfolgen. Dies ist eine Voraussetzung für die effiziente Mobilisierung dieser Ressourcen in der eigentlichen Schadenslage.
  2. Die Kartierung der Fähigkeiten setzt einen aktiven Dialog mit den Unternehmen voraus. Die frühzeitige Einbindung von Unternehmen in die Bewältigungsarbeiten sollte daher als eigenständiges Arbeitsfeld bei Behörden mit Sicherheitsaufgaben sowie bei Hilfsorganisationen angesehen werden.
  3. Umgekehrt bedarf es einer Stärkung des Bewusstseins für Schadenslagen in Unternehmen. Dabei gilt es, Unternehmen für die Aufgaben und Grenzen der Katastrophenschutzstrukturen und auf ihre eigenen Verantwortlichkeiten im Schadensfall zu sensibilisieren.
  4. Schließlich bestätigte sich erneut das bewährte Motto „in Krisen Köpfe kennen“. Der Kreis der zu kennenden Köpfe sollte sich dabei jedoch nicht auf die Behörden und Hilfsorganisationen auf den unterschiedlichen föderalen Ebenen beschränken, sondern vor Ort tätige Unternehmen einschließen. Hierfür sind regelmäßige Kontakte zwischen den Katastrophenschutzstrukturen und Unternehmen von besonderer Bedeutung.

Dabei gilt es auch strukturelle Voraussetzungen zu reflektieren: Freiwilliges (unternehmerisches) Engagement basiert auf der Kapazität, helfen zu können. Dies umfasst einerseits das Vorhandensein von ausreichend Ressourcen auf der unternehmerischen Ebene, andererseits aber auch die individuellen Kapazitäten der einzelnen Helfenden, allen voran die Absicherung der eigenen familiären Situation. Die Befunde wurden abschließend bezüglich der Zuweisung von Verantwortung für Katastrophenarbeiten, der Anerkennung von Leistungen und Bedarfen sowie der Verteilung von Sicherheit ethisch reflektiert.

 

Die Ergebnisse der Studie werden durch das Generalsekretariat des Deutschen Roten Kreuzes sowie als Teil eines Buchprojekts zur Rolle von Unternehmen im Bevölkerungsschutz publiziert.