International Center for Ethics in the Sciences and Humanities (IZEW)

Können Emotionen ökologisch sein?

von Vanessa Weihgold

22.02.2021 · Im englischen Sprachraum sind „ecological emotions“ ein Schlagwort für die Erforschung emotionaler und psychischer Reaktionen auf den Klimawandel und die Umweltzerstörung geworden. Medien berichten überall auf der Welt von Menschen, die an Eco-Anxiety, Climate Depression oder Ecological Grief leiden (z.B. taz, Le Monde oder Time USA). Was genau dahinter steht und welche ethischen Implikationen dies vor einem Hintergrund vernunftgeprägter Gesellschaften für Bildungskontexte haben kann, soll im Rahmen dieses Beitrags genauer erläutert werden.

Das Adjektiv „ökologisch“ wird im allgemeinen Sprachgebrauch mit „umweltbewusst“ oder „ressourcenschonend“ gleichgesetzt. Seine ursprüngliche Bedeutung entstammt jedoch dem Altgriechischen oikos für Haus(halt) und logos für Rede oder Vernunft. Als Teildisziplin der Biologie, erforscht die Ökologie die Beziehung von Lebewesen untereinander und zu ihrer Umwelt. Doch was heißt es, Emotionen als ökologisch und Teil des Beziehungsgeflechts von Lebewesen untereinander und zu ihrer Umwelt zu verstehen?[1]

Emotionen können als Signale verstanden werden, die uns mitteilen, wie es uns in unserer Umwelt mit unseren Mitlebewesen geht. Wir fühlen Angst, wenn eine Situation bedrohlich ist, oder Trauer, wenn wir einen geliebten Menschen verlieren. Diese Emotionen lassen uns fühlen, dass etwas in unserer Welt aus dem Gleichgewicht geraten ist. Verbringen wir ein entspanntes Picknick mit lieben Menschen, fühlen wir uns glücklich und in Einklang mit der Welt. Emotionen als „ökologisch“ zu verstehen, heißt in diesem Sinne, auf den Zustand unseres Beziehungsgeflechtes zu unserer Mitwelt hinzuweisen. Westliche Gesellschaften fördern allerdings vor Allem die Vernunft und halten Emotionen für instinktiv. Jedoch sind beide Teil unseres Menschseins. Wie Arlie Hochschild (The Managed Heart 2012) zeigt, ist die Erziehung, Bildung und Arbeitswelt darauf ausgerichtet, dass Gefühle nicht ausgedrückt oder sogar unterdrückt werden. In Bezug auf den Klimawandel haben unterdrückte Emotionen einen großen Einfluss auf die Handlungsfähigkeit: Vernünftige Appelle werden ignoriert, wenn der Inhalt ängstigt. (Moser und Dilling 2007) Damit hier für Schüler*innen und Studierende im Angesicht des Klimawandels ein besseres Gleichgewicht hergestellt werden kann, wäre es aus ethischer Perspektive wünschenswert, ihre Gefühle ernst zu nehmen.

Im Zusammenhang mit der Umweltzerstörung und dem Klimawandel sehen wir uns in den Medien konfrontiert mit Bildern von brennenden Wäldern, von Tieren, die an verschlucktem Plastik sterben, oder auch von großen Tagebauminen. Diese Bilder können traurig und betroffen machen, aber sie können vor allem auch Angst machen. Wie Greta Thunberg wiederholt sagte, haben besonders junge Menschen den Eindruck, dass ihnen ihre Zukunft genommen wird, weil die politischen Akteur*innen zu wenig für den Umweltschutz tun. Diese sogenannte Eco-Anxiety definiert die American Psychological Association in ihrem Report Mental Health and our Changing Climate entsprechend als „Angst vor dem Untergang der Umwelt“ (2017, S. 68).

Aber nicht nur Angst ist eine häufige Reaktion. Lehrer*innen und Dozierende, die zu der Thematik von Klimawandel und Umweltzerstörung lehren, berichten auch davon, dass ihre Schüler*innen und Studierende über verlorene Landschaften ihrer Kindheit trauern und depressiv verstimmt werden. Jennifer Atkinson – Professorin für „environmental humanities“ - erzählt in ihrem Podcast Facing It von ihrem eigenen Erlebnis der Trauer um Wälder, die einem neuen Wohngebiet weichen mussten und der steigenden Zahl junger Menschen, die hoffnungslos in die Zukunft blicken.

Schließlich sind nicht nur junge Menschen in westlichen Ländern von diesen negativen Emotionen betroffen. Ashlee Cunsolo lässt im Kurzfilm Lament for the Land Inuit aus Labrador zu Wort kommen, deren Leben, wie sie es kennen, durch den anhaltenden Klimawandel von der Eisschmelze bedroht ist. Ihre Trauer über den Verlust ihrer Jagd- und Kochkultur ist so groß, dass Wissenschaftler*innen und Hilfsorganisationen die steigenden Zahlen von Alkoholismus damit in Verbindung bringen. Im Leben der Inuit zeigt sich die Beziehung zur Mitwelt noch besonders deutlich. Vielleicht ist das der Grund, weshalb Cunsolo sich in ihrer Arbeit dafür stark macht, dass wir die Natur und ihre Lebewesen als betrauerbar erklären. Im Anschluss an Judith Butler, die im Rahmen von Migration und Terror danach fragt, welche Leben wir (Menschen des Globalen Nordens, Zielort der Migration) als betrauerbar betrachten, (Raster des Krieges. Warum wir nicht jedes Leid beklagen, 2010) fordert Cunsolo, Trauer auf nicht menschliche Tiere und Landschaften auszudehnen und dadurch deren Wichtigkeit anzuerkennen.

Jennifer Atkinson sieht in der Forderung nach Betrauerbarkeit die Möglichkeit ihren Studierenden zu vermitteln, dass ihre Gefühle ernst genommen werden und sie durch diese authentische Anteilnahme in ihrem Trauerprozess zu begleiten und zu unterstützen. Sarah Jaquette Ray – Professorin für Umweltstudien – schlägt in ihrem Ratgeber A Field Guide to Climate Anxiety (2020) ein Aufmerksamkeitstraining und den Aufbau von Gemeinschaften für Betroffene vor, damit sie sich einerseits ihrer Innenwelt bewusst machen können und andererseits diese mit der Außenwelt teilen und bearbeiten können. Besonders wichtig für die Lehre ist es in diesem Zusammenhang, einen Raum für (An)Erkennung und Reflexion der Gefühle der Schüler*innen und Studierenden zu geben, wie z.B. Lisa Kretz – Professorin für Philosophie – in mehreren Publikationen fordert. Ein wirklich ethisches Lernen ist erst möglich, wenn moderne Lehre nicht mehr vorrangig vernunftorientiert ist, sondern auch die Gefühle, die mit den Lehrinhalten einhergehen, berücksichtigt, um die Lernenden auch als leibliche Wesen anzusprechen. Schüler*innen und Studierende werden dadurch in ihren Empfindungen ernst genommen, deren Verarbeitung bei Themen wie Umweltzerstörung und Klimawandel Teil des Unterrichts wird. So bleiben sie nicht mit ihren Ängsten, depressiven Verstimmungen und ihrer Trauer allein.[2]

Im deutschen Sprachraum scheint dieses Thema bislang noch wenig angekommen zu sein. Während BNE in Kitas mit der Erforschung der Umwelt damit beginnt, die nicht menschliche Mitwelt prominenter zu machen und eine Beziehung zu ihr aufzubauen, wird in der Grundschule bereits über den Klimawandel gesprochen. Dabei werden aber die Emotionen der Kinder nur wenig begleitet. Natürlich ist es wichtig die Kinder zu befähigen, etwas zu tun und rationale Lösungen zu finden (z.B. durch Mülltrennung oder Müllsammeln in der Umgebung der Schule). Jedoch kann Handlungsfähigkeit durch ein Gefühl der Hilflosigkeit und Ohnmacht gegenüber der Übermacht Klimawandel ausgebremst werden. Entsprechend essenziell ist es, schon jungen Schüler*innen auch Kompetenzen im Umgang mit den negativen Emotionen mitzugeben (z.B. durch Aufmerksamkeitstrainings und Gruppendiskussionen).

 

[1] Im Zusammenhang dieses Beitrages werden die Begriffe Emotion und Gefühl synonym verwendet, da es der Umfang nicht zulässt, eine fundierte Begriffsklärung vorzunehmen.

[2] Das bedeutet nicht, dass Unterricht und Lehre ausschließlich auf die Gefühle orientiert sein sollen, denn natürlich sind besonders im Zusammenhang mit dem Klimawandel vernünftige Lösungen wichtig.

 

Butler, Judith. 2010. Raster des Krieges: warum wir nicht jedes Leid beklagen. Übersetzt von Reiner Ansén. Frankfurt am Main New York: Campus Verlag.

Hochschild, Arlie Russell. 2012. The Managed Heart: Commercialization of Human Feeling. Berkeley: University of California Press.

Moser, Susanne C., und Lisa Dilling, Hrsg. 2007. Creating a climate for change communicating climate change and facilitating social change. Cambridge New York Melbounre Madrid Cape Town Singapore São Paulo: Cambridge University Press.

Ray, Sarah Jaquette. 2020. A field guide to climate anxiety: how to keep your cool on a warming planet. Oakland, California: University of California Press.

Kurz-Link zum Zitieren: https://uni-tuebingen.de/de/204888