Angestoßen durch die Aktionen von „Fridays for Future“ für mehr Klimaschutz haben sich im Februar 2019 bundesweit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammengeschlossen und „Scientists for Future“ gegründet.
Dr. Matthias Stoll hat in Tübingen Biologie studiert und arbeitet seit vielen Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachbereich Biologie der Universität. Er hat über Biodiversität geforscht und engagiert sich vor allem in der Lehre für Biodiversitätsthemen, aber auch privat beim Schwäbischen Albverein. Im Interview berichtet er über die Regionalgruppe Tübingen von Scientists for Future.
Ich beschäftige mich seit langem mit Themen wie Klimaschutz und Biodiversität. Als der Aufruf von Scientists for Future kam, habe ich hier die Regionalgruppe Tübingen mit aufgebaut. Ich wollte nicht passiv sein, während meine Töchter bei Fridays for Future demonstrieren.
In Tübingen arbeiten einige Geo- und Naturwissenschaftler zum Thema „Klima“ und ich weiß von Klimaexperten bei den Politologen, aber wir haben keine ausgewiesenen Atmosphärenforscher hier. Bei der Regionalgruppe Tübingen sind momentan rund 25 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler organisiert. Darunter sind Professorinnen und Professoren, beispielsweise aus der Informatik und der Biologie, und Beschäftigte des akademischen Mittelbaus – aus der Medizin sowie aus der Sprach-, Politik- und Geowissenschaft. Hinzu kommen einige Kolleginnen und Kollegen von der Hochschule Reutlingen und der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg. Es sind aber auch viele Doktoranden dabei. Hier gibt es personelle Überschneidungen mit der Sustainability-Initiative, die bereits im Dezember 2017 von Tübinger Doktoranden gegründet wurde.
Am 20. September hat die Regionalgruppe Tübingen vor Ort am globalen Klimastreik #AlleFürsKlima teilgenommen. Auch beim Aktionstag „#NeustartKlima – laut, wütend und unbequem – Klimagerechtigkeit jetzt“ am 29. November, dem Freitag vor Beginn der UN-Weltklimakonferenz, sind wir dabei.
Wir haben einen Brief zum Thema „Dienstreisen“ formuliert. Dieser Brief ist nach Abstimmung mit dem Beirat für Nachhaltigkeit der Universität an das Rektorat gegangen. Wir stellen uns darin ein abgestuftes Verfahren für Dienstreisen vor, mit folgenden Fragestellungen: kann ich eventuell auf meine Dienstreise verzichten? Falls nein: kann ich die Dienstreise mit dem Zug antreten? Falls dies aus zeitlichen oder anderen Gründen nicht möglich ist: werden für die Dienstreise mit dem Flugzeug Emissionsabgaben gezahlt? Mittelfristig ist zu prüfen, ob man stärker auf Videokonferenzen als Alternative zu Dienstreisen zurückgreifen kann. In der Industrie ist das schon viel üblicher, allein schon aus Kostengründen.
Grundsätzlich sehe ich Scientists for Future nicht als Kampagnenorganisation, sondern als Wissenschaftsorganisation, die im Hintergrund arbeitet. Wir liefern Background-Informationen, gehen auf Podiumsdiskussionen, stehen für Interviews zur Verfügung. Wir lesen und prüfen auch Beiträge und Materialien von Fridays for Future. Damit Fakten richtig widergegeben werden und die Leugner der Klimakrise nicht so leicht agieren können. In Tübingen arbeiten wir konkret an Handlungsnotwendigkeiten und Handlungsmöglichkeiten, die wir dann auch in die Universität hineintragen möchten.
Viele der angesprochenen Probleme sind seit langem bekannt, sie wurden bereits 1972 vom Club of Rome in seiner Studie „Grenzen des Wachstums“ vorhergesagt. Die Enquetekommission des Deutschen Bundestages hat bereits Anfang der 1990er-Jahre die Gefahren der Erderwärmung deutlich benannt. Und auch eine interne Studie des Ölkonzerns Exxon von 1982 hat die Erderwärmung bis 2010 und den aktuellen Kohlendioxidrekord sehr präzise vorhergesagt. Auf der Konferenz für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen (UNCED) wurde in Rio de Janeiro 1992 die Agenda 21 beschlossen, fünf Jahre später wurde das sogenannte Kyoto-Protokoll verabschiedet. Umgesetzt in die Praxis wurde von den beschlossenen Zielen wenig.
Ich sehe in erster Linie die Notwendigkeit einer klaren politischen Weichenstellung, weg von reinen Absichtserklärungen. Ich bin überzeugt, dass die Aktivisten von Fridays for Future hier schon einiges bewirkt haben. Viele Politiker überdenken ihre zunächst kritische Einstellung zu den Protesten, ergreifen selbst neue Initiativen.
Aber auch persönliches Engagement und persönliche Überzeugungsarbeit ist wichtig, um die wahrgenommene Relevanz der Thematik zu erhöhen. Deswegen der Appell auf unserer Homepage: „Sprechen Sie in Ihrem Umfeld über den Klimawandel!“
Meine persönliche Empfehlung für mehr Klimaschutz und eine nachhaltige Entwicklung unseres Planeten: Weniger Fleisch, weniger Autofahren, weniger Fliegen.
Das Interview führte Maximilian von Platen
Angestoßen durch die Aktionen von „Fridays for Future“ für mehr Klimaschutz haben sich im Februar 2019 bundesweit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammengeschlossen und „Scientists for Future“ gegründet. Als „Stimme der Wissenschaft“ will Scientists for Future zu einer Versachlichung der Diskussion über Klimaschutz beitragen. Die Graswurzel-Initiative „unterstützt engagierte Menschen mit wissenschaftlicher Expertise, nutzt moderne digitale Kommunikation zur Vernetzung und geht vom Wissen zum Handeln über“, sagt Gregor Hagedorn. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Museum für Naturkunde Berlin und Initiator von Scientists for Future. Die von Scientists for Future verfasste Stellungnahme zu den Argumenten der Klimastreikbewegung unterzeichneten bis zum 22. März 2019 bereits knapp 27.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Mitte Oktober zeichnete die Bundesvereinigung Nachhaltigkeit e. V. Dr. Gregor Hagedorn und die Initiative Scientists4Future mit dem Bundespreis Nachhaltigkeit 2019 in der Kategorie „Politik“ aus.
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