Professor Dr. Wilfrid Werbeck, geboren als Pfarrerssohn am 5. Mai 1929 in Wuppertal-Elberfeld, hat mehr als ein halbes Jahrhundert lang die kirchenhistorische Forschung in Tübingen mit geprägt. Nach dem Abitur in Berlin begann er dort, mitten in der Luftbrückenzeit, mit dem Theologiestudium. 1950 wechselte er nach Tübingen. Von wenigen Jahren abgesehen, die er als Assistent seines verehrten Lehrers Professor Dr. Gerhard Ebeling in Zürich verbrachte, fand er nun mit seiner Familie seinen Lebensmittelpunkt am Neckar.
Die Grundlage für seine wissenschaftliche Laufbahn legte Wilfrid Werbeck 1958 mit einer Dissertation über den spätmittelalterlichen Psalmenkommentar des Jacobus Perez von Valencia. Im Vorwort erklärte er in eben jener Bescheidenheit, die ihn sein ganzes Forscherleben lang prägen sollte, er wolle in dieser Untersuchung nicht „etwaige Verbindungen“ zur reformatorischen Theologie herausarbeiten, sondern für solche Fragestellungen lediglich „die notwendige Vorarbeit“ leisten. Dies war die zurückhaltende Umschreibung dafür, dass Werbeck sich wie kein zweiter mit der Theologie des ausgehenden 15. Jahrhunderts vertraut gemacht hat und die Perspektiven evangelischer Theologie von ihrer Fixierung auf die großen Gestalten der Reformationszeit zu befreien half.
So speziell dieses Forschungsgebiet anmuten mag, so breit waren doch seine Kenntnisse im gesamten Gebiet der Theologie, die er sich gewissermaßen nebenher erarbeitete: Von 1957 bis 1964 war er im Verlag J. C. B. Mohr tätig, in welchem auch seine Perez-Studie erschien. Sein Aufgabengebiet lag in der Betreuung des repräsentativen Lexikons evangelischer Theologie, der dritten Auflage der „Religion in Geschichte und Gegenwart“. Zur Vorbereitung des umfänglichen Registerbandes hat er, so berichtete er, dieses monumentale Werk vier Mal durchgelesen – auch hier ließ er von jener Sorgfalt nicht ab, die bald wieder den eigenen Forschungen zugutekommen sollte.
1964 kehrte er an die Universität zurück, um hier dasjenige Werk zu beginnen, mit dem sein Name auf Dauer verbunden bleiben wird: die Edition des Sentenzenkommentars des Tübinger Theologen Gabriel Biel. Gerade hatte sich die internationale Forschung diesem Werk mit großem Interesse neu zugewandt, das einen Gipfelpunkt spätscholastischer Theologie bildete – und zugleich für Martin Luther zu der Negativfolie werden sollte, von der er sich mit seinen eigenen Ansätzen abwandte. Ohne sich um die zum Teil heftigen Debatten über die Deutung Biels zu scheren, hat Werbeck gemeinsam mit Udo Hofmann diesen Kommentar bis in das Jahr 1982 hinein ediert und sich gleichzeitig auch Biels Auslegung des Messkanons gewidmet, einem komplexen Werk, das Werbeck durch sorgfältige Gliederungshinweise und Indizierungen für die weitere Forschung erschloss. Biel wurde so zu seinem Lebensthema, auch in der Habilitationsschrift, die er 1970 einer speziellen Frage der Bielschen Bußtheologie widmete.
Mit seiner präzisen Edition hat Werbeck der Forschung eine Grundlagenarbeit bereitgestellt – diese selbstlose Dienstleistung und nicht so sehr eine äußerlich glanzvolle Karriere war sein Ziel. Im Zentrum seiner Tätigkeit, für die er schließlich 1983 auf eine Professur in Tübingen berufen wurde, standen die intensive Arbeit am Text und die hingebungsvolle Lehre für die Studierenden. Generationen von württembergischen Theologinnen und Theologen lernten ihn als einen Lehrer kennen, der sich Menschen ebenso wachsam zuwandte wie seinen geliebten scholastischen Texten. Nach seinem Eintritt in den Ruhestand im Jahre 1993 hat er auch die weiteren Entwicklungen an der Fakultät gütig beobachtet und bis in die letzten Jahre hinein aufmerksam begleitet. Es bleibt die Erinnerung an einen weitherzigen Kollegen und kenntnisreichen Gelehrten, von dessen Editionen noch Generationen von Forscherinnen und Forschern Anregung erfahren werden.
Die Evangelisch-Theologische Fakultät Tübingen wird Wilfrid Werbeck ein ehrendes Gedächtnis bewahren.