Teilprojekt G03: Istrien als „Versuchsstation“ des Kulturellen. Hybridität als (bedrohte) Ordnung
Abstract
Teilprojekt G03 untersucht kulturelle Hybridität in Istrien vom späten 19. bis ins 20. Jh. und analysiert die aus verschiedenen Ordnungsperspektiven beschreibbaren Bedrohungswahrnehmungen, die aufgrund der eigenwilligen und extremen ethnischen und kulturellen Heterogenität immer wieder virulent wurden. Dabei werden Aspekte der Bedrohungskommunikation ebenso wie perspektivgebundene Modi der Reflexion sowie Strategien des re-ordering vor dem Hintergrund der für Istrien (als von den Habsburgern reklamierten ‚Versuchsstation‘) diskutierten Multikulturalität resp. ‚kulturellen Verschmelzung‘ analysiert.
Projektteam
Projektleitung:
Prof. Dr. Reinhard Johler
Mitarbeiter/innen:
Dr. Daniela Simon
Francesco Toncich
Hilfskräfte:
N.N.
Fachgebiete und Arbeitsrichtung
Empirische Kulturwissenschaften
Projektbeschreibung
Innerhalb des habsburgischen Vielvölkerstaates erwies sich die istrische Halbinsel als eine Region, deren Bevölkerung historisch von einer besonders ausgeprägten sprachlichen, ethnischen und kulturellen Heterogenität geprägt war. Diese Vielfalt war aber nicht nur von der Präsenz der drei überwiegenden nationalen Gruppierungen (kroatischen, italienischen und slowenischen) charakterisiert: Neben einem großen gemischten Bevölkerungsanteil, gab es auch ethnische „Enklaven“ (wie etwa die Istrorumänen). Aus diesem Grund wurde die istrische Halbinsel oft als eine kulturelle „Versuchsstation“ in der Monarchie wahrgenommen.
Im Mittelpunkt des Teilprojektes steht die Analyse der „kulturellen Hybridität“ in Istrien und die politischen und kulturwissenschaftlichen Kategorisierungen der Bevölkerung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Im Einzelfall berücksichtigt das Projekt die Produktion von kulturellen Differenzen sowie die Prozesse der Reflexion der entsprechenden Akteure und Ordnungsträger über die eigene Ordnung. Diese Prozesse lassen sich besonders in Bezug auf die Erfindung und Anwendung des Begriffes „Hibridismus“ im damaligen kulturwissenschaftlichen Diskurs verfolgen. Tatsächlich wurde diese Kategorisierung der „Hybridität“ als eine Bedrohung einerseits für die damaligen vorherrschenden imperialen, regionalen und kommunalen Ordnungen, anderseits für die konkurrierenden, national orientierten Strategien des re-ordering der istrischen Region wahrgenommen. Nicht zuletzt zielt die Forschung auf die Klärung der Frage hin, wer die Akteure der Bedrohungskommunikation über die wachsende Heterogenität innerhalb der istrischen Halbinsel waren.
In diesem Kontext spielen die kulturwissenschaftlichen Begriffe „Hibridismus“ oder „Hybridität“ sowie „Multikulturalismus” eine zentrale Rolle. Darüber hinaus konfrontiert sich die Untersuchung des Projektes auch mit der aktuellen US-amerikanischen geschichtswissenschaftlichen Forschung über die Anwendung der Begriffe „national indifference“, „imagined non-communities“ (Tara Zahra) und „national flexibility“ (Pieter Judson).
Das Projekt teilt sich in zwei Untersuchungen:
Die Teiluntersuchung 1 – „Ethnographisches Wissen und die kulturelle Produktion von Differenz (1850-1914)“ – berücksichtigt die Formierung eines ethnographischen Wissens, sowie die unterschiedlichen Interpretationen dieser ethnographischen Klassifikationen als eine Bedrohung und die dementsprechenden heftigen politischen Gegenreaktionen. Dieses Forschungsfeld beruht auf die Analyse von Materialien aus der wissenschaftlichen Praxis, der Statistik und dem Museums- und Ausstellungswesen.
Die Teiluntersuchung 2 – „In/Differenz als politische Handlungsanleitung (1870-1914)“ – konzentriert sich auf die problematischen und angespannten Beziehungen zwischen der lokalen politischen, national orientierten Praxis und den Bevölkerungsanteilen Istriens, die politisch und national „indifferent“ oder „mehrfachzugehörig“ waren. Die Untersuchung fokussiert die Formierung einer Bedrohungskommunikation von den Akteuren des re-ordering in Bezug auf die in dieses Klassifikationssystem nicht passenden, hybriden oder externen Bevölkerungsgruppen Istriens.
Projektbezogene Publikationen
- Simon, Daniela: Kulturelle Hybridität als Bedrohung? Istrien im ausgehenden 19. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Europäische Ethnologie. Nr. 14 (2019), in Druck.
- Simon, Daniela: Die Hybriden und das re-ordering Istriens, 1870-1914, in: Acta Histriae 2019, in Druck.
- Johler, Reinhard: Hibridismus und Hybridität. Istrien und die Genealogie eines post/habsburgischen Begriffs, in: PostEmpire. Habsburg-Zentraleuropa und die Genealogien der Gegenwart. Hg. Johannes Feichtinger und Heidemarie Uhl, Wien 2018, in Druck.
- Johler, Reinhard/Hinrichsen, Jan/Ratt, Sandro: Die Kultur der Katastrophen. Forschungsperspektiven der deutschsprachigen Ethnologie/Kulturwissenschaft. In: Johannes Moser (Hg.): Themen und Tendenzen der deutschen und japanischen Volkskunde im Austausch. Münster 2018, S. 317-337.
- Johler, Reinhard: Ordnungen, volkskundliche. In: Reinhard Johler, Jan Hinrichsen, Sandro Ratt (Hg.): Katastrophen/Kulturen, Tübingen 2018.
- Toncich, Francesco: Narrazioni e pratiche politiche antislave a Trieste tra città e campagna (1850-1871). In: Acta Histriae 25 (2017), 539-562.
- Johler Reinhard: Luoghi Europei. Processi di Territorializzazione nelle ‚Nuova Europa‘, in: Lares. Quadrimestrale i studi demoetnoantropologici 82/3 (2016), S. 355-369.
- Johler, Reinhard: Vielfalt, in: Johannes Feichtinger, Heidemarie Uhl (Hg.): Habsburg neu denken. Vielfalt und Ambivalenz in Zentraleuropa. 30 kulturwissenschaftliche Stichworte. Moritz Csáky zum 80. Geburtstag gewidmet, Wien, Köln, Weimar 2016, S. 229-236.
- Johler, Reinhard: The Invention of the Multicultural Museum in the late nineteenth Century: Ethnography and the Presentation of Cultural Diversity in Central Europe, in: Austrian History Yearbook 46 (2015), S. 51-67.
Johler, Reinhard
- Vielfalt. In: Johannes Feichtinger, Heidemarie Uhl (Hg.): Habsburg neu denken. Vielfalt und Ambivalenz in Zentraleuropa. 30 kulturwissenschaftliche Stichworte. Moritz Csáky zum 80. Geburtstag gewidmet. Wien, Köln, Weimar 2016, S. 229-236.
- Orndungen (Volkskündlich). In: reinhard Hohler, jan Hinrichsen, Sandro Ratt (Hg.): Katastrophen/Kultur. Tübingen 2017, S. 92-112.
Toncich, Francesco
- Narrazioni e pratiche politiche antislave a Trieste tra città e campagna (1850-1871). In: Acta Histriae, (erscheinend)
Tagungen, Workshops, Konferenzen
- 10.-12.04.2019 Workshop “Hybridity as a symptom of threatened order. Istria in the late 19th and early 20th centuries”, Pazin.
- 28.-30.09. 2018 121. Generalversammlung der Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft, Sektion für Europäische Ethnologie, Bamberg. Vortrag: „Kulturelle Hybridität in Istrien (1850-1914)“. (Daniela Simon)
- 10-15.09.2018 Summer Academy “Diversity beyond Nation/ State. The Danube Region after World War II”, Cluj-Napoca. Vortrag: “Defending the Istrian Diversity: the Production of Culture as a Crisis Management”. (Daniela Simon)
- 17.03.2018 Annual Conference of the Austrian Studies Association “Inter-Texts: Correspondences, Connections, and Fissures in Austrian Culture”, Chicago. Vortrag: “Hybridsm”. A Concept and Its Career. (Reinhard Johler)
- 29.-31.5.2017 Workshop „Zentren und Peripherien? Das musikkulturelle Leben in Österreich zwischen 1848 und 1918“, Wien. Vortrag: „Istrien als kulturelle Versuchsstation zwischen Wissenschaft und Musikkultur (1850-1914)“. (Francesco Toncich)
- 17.-18.11.2016 Workshop “Hybridity–Assimilation–Multiculturalism–Indifference. Concepts in Ordering Social Reality”, Tübingen. Vortrag: “In/difference as a Guide for Political Action“. (Daniela Simon)
- 17.-18.11.2016 Workshop “Hybridity–Assimilation–Multiculturalism–Indifference. Concepts in Ordering Social Reality”, Tübingen. Vortrag: “Ethnographic Knowledge and Cultural Production of Difference”. (Francesco Toncich)
- 08.-18.9.2016 Sommerakademie: “Empire” and Diversity. The Habsburg Monarchy in the Long 19th Century, Tübingen. Vortrag: “Multiculturalism and Cultural Hybridity in the Studies of Austrian Statistics and Ethnography on Istrian Peninsula (1850-1914)”. (Francesco Toncich)
- 10.09.2016. Summer Academy “’Empire’ and Diversity. The Habsburg Monarchy in the long 19th Century”. Vortrag: “The Concept of Diversity and the Study of the Habsburg Monarchy: Definitions, Problems and Advantages”. (Reinhard Johler)
- 21.-24.6.2016 Internationale Tagung „Traces of Multiculturalism in Central Europe“, Wrocław. Vortrag: „Multiculturalism and Cultural Hybridity in the Studies of Austrian Statistics and Ethnography (1850-1914)“. (Francesco Toncich)
- 22.-24.06.2016 Workshop „Gemeinschaftsbildung in der Moderne – Mechanismen eines Konstrukts“, Tübingen. Vortrag: „Hybridität und Gemeinschaftsbildung in Istrien, 1870–1914“. (Daniela Simon)
- 29.02.-02.03.2016 Interner Workshop „Ellwangen I“, Sonderforschungsbereich 923 „Bedrohte Ordnungen“. Vortrag: „Identität durch Abgrenzung“. (Daniela Simon)
- 28.01.2016 Projektvorstellung im Rahmen des Institutskolloquiums des Ludwig-Uhland-Instituts für Empirische Kulturwissenschaft, Tübingen. Vortrag: „Istrien als „Versuchsstation“ des Kulturellen. Hybridität als (bedrohte) Ordnung“. (Reinhard Johler, Daniela Simon und Francesco Toncich)
- 22.10.2015 Konferenz “Post-Empire. Habsburg-Zentraleuropa und die Genealogien der Gegenwart”. Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte, Österreichische Akademie der Wissenschaften. Vortrag: „‘Hibridismus‘. Kulturelle “Mischungen” in der Habsburgermonarchie (und ihre Folgen)“. (Reinhard Johler)
- 24.09.2015 International Symposion “Threat and Order. Existence and Power”, Tübingen. Vortrag: “Hybriditiy as a (Threatened) Order”. (Reinhard Johler)
- 28.03.2015 Annual Conference of the Austrian Studies Association “Crossing Borders – Blurring Borders”, University of Michigan, Dearborn. Vortrag: „’Hibridism’: Istria, Multiculturalism and the Habsburg Empire”. (Reinhard Johler)
Gastvorträge
- 17.-18.11.2016 Workshop “Hybridity–Assimilation–Multiculturalism–Indifference. Concepts in Ordering Social Reality”, Tübingen. Vortrag: "Representations of Cultural Plurality and Politics of Societal Inclusion". (Jasna Čapo Žmegač)
- 29.4.2016 SFB-Reihe "Fokus: Flüchtlingskrise", Tübingen. "The security-scape of a refugee camp: managing the refugee flow through Croatia in 2015". (Jasna Čapo Žmegač)
- 28.4.2016 Institutskolloquium des Ludwig-Uhland-Instituts für Empirische Kulturwissenschaft, Tübingen. Vortrag: "Multiculturalism, diversity and transnationalization: (re)conceiving plurality". (Jasna Čapo Žmegač)