Uni-Tübingen

Altorientalische Philologie

Die Altorientalische Philologie beschäftigt sich mit den Sprachen und Schriften des Alten Mesopotamien, dem heutigen Irak und den angrenzenden Räumen Anatoliens, Syriens und des Iran, die durch hochentwickelte, multikulturelle Gesellschaften am Anfang der Geschichte charakterisiert sind. Der behandelte Zeitraum erstreckt sich von den ersten Schriftzeugnissen um 3000 v. Chr. bis ins 3. Jh. n. Chr. Schwerpunkte sind dabei das Akkadische, die älteste dokumentierte semitische Sprache, und das Sumerische. Beide Sprachen wurden in Keilschrift festgehalten, die über drei Jahrtausende das bedeutendste Schriftsystem Vorderasiens bildete. Mit dem Abschluss Bachelor of Arts in Altorientalischer Philologie sind mögliche Berufsfelder die Bereiche Kulturvermittlung, -management und Medien oder fachspezifisch in Museen.

Veranstaltung vor Ort im Sommersemester 2025

Die Veranstaltung kann während des ganzen Semesters besucht werden (Mitte April bis Mitte Juli 2025)

 

Dienstag, 10.00 - 13.00 Uhr: Die erste Hälfte der Menschheitsgeschichte: Der Alte Orient und Ägypten für Althistoriker
Diese Veranstaltung im Vorlesungsverzeichnis

Dienstag, 10.00 - 12.00 Uhr und Mittwoch, 12.00 - 13.00 Uhr: Sumerisch I
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Freitag, 10.00 - 12.00 Uhr: The Epic of Gilgamesh: The First Work of World Literature
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hochschulreif. Der Tübinger Podcast zur Studienwahl

Folge #12: Altorientalische Philologie

Womit beschäftigt man sich in der Altorientalischen Philologie? Was können wir aus jahrtausendealten Texten heute noch lernen? Was kann man mit dem Studienabschluss beruflich anfangen? Und wie sieht der Studienalltag in Altorientalischer Philologie aus? Diese Fragen und viele mehr beantwortet Professor Dr. Andreas Fuchs uns für Euch im Studiogespräch. Auch unsere Tübinger Studierenden geben Einblicke zu Fragen rund ums Altorientalische-Philologie-Studium.

Tags #AltorientalischePhilologie #Mesopotamien #Akkadisch #Sumerisch #Keilschrift
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Alexandra Becker (A. B.): Herzlich Willkommen zur „hochschulreif“, dem Tübinger Podcast zur Studienwahl. Wir stellen Euch auch heute wieder ein Studienfach vor, damit Ihr wisst, was Euch im Studium so erwartet. Diesmal sprechen wir über das Fach Altorientalische Philologie. Wir, das sind mein lieber Kollege Christoph Jäckle. Hallo Christoph! 

Christoph Jäckle (C. J.): Hallo, Alex! 

A. B.: Und ich bin Alexandra Becker vom Team der Zentralen Studienberatung der Uni Tübingen. Für das Fach Altorientalische Philologie haben wir uns Professor Dr. Andreas Fuchs eingeladen. Schön, dass Sie da sind und herzlich Willkommen, Herr Fuchs! 

Prof. Dr. Andreas Fuchs (A. F.): Vielen Dank. 

A. B.: Herr Fuchs, ich stelle Sie kurz vor. Sie sind Professor und Studienfachberater für Altorientalische Philologie. Ihr Fach gehört zusammen mit der Ägyptologie und der Vorderasiatischen Archäologie und Palästina-Archäologie zum Institut für die Kulturen des Alten Orients, kurz IANES. Darüber hören wir gleich sicher auch noch mehr. Ich bin schon sehr gespannt. Lassen wir aber zunächst die Studierenden des Faches zu Wort kommen. Wie immer haben wir vorab gefragt, warum deren Studienwahl auf das Fach Altorientalische Philologie gefallen ist. 

Persönliche Motivation (01:05) 

Studi 1: Wenn man sich für die gesamte erste Hälfte der Weltgeschichte interessiert, dann hat man durch die Altorientalische Philologie den allerbesten Zugriff und kann sich damit das gesamte Geschichtsmaterial für diese Zeit erarbeiten. 

Studi 2: Ich habe damit angefangen, Vorderasiatische Archäologie und Palästina-Archäologie zu studieren und habe dann nebenher angefangen, Akkadisch zu lernen. Das hat mir sehr Spaß gemacht, weil man eben bereits früh auch anfangen konnte, kleinere Texte zu übersetzen, die einem die Alltagswelt und Gesellschaftsstruktur auf eine ganz andere Weise gezeigt haben, wie es der Archäologie gar nicht möglich ist. 

Studi 3: Ich bin ein ganz begeisterter Leser des Alten Testamentes. Das Studium der Altorientalischen Philologie hat mir jetzt geholfen, auch historisch, kulturell da meinen Horizont zu erweitern und viele Dinge auch noch besser zu verstehen und besser einzuordnen. 

Studi 4: Ich habe mich für das Fach Altorientalische Philologie entschieden, weil ich eigentlich angefangen habe, Archäologie zu studieren und gerade in der Vorderasiatischen Archäologie mir immer die zweite Seite, quasi neben der materiellen Kultur, die Textfunde gefehlt haben. Das hat im Grunde das Bild vom Alten Orient so komplementiert, dass ich irgendwann auch die Philologie als Studienfach mit dazu genommen habe, um wirklich den Alten Orient von beiden Seiten verstehen zu können. 

Studi 5: Eine einzigartige Möglichkeit, in die faszinierende Welt der mesopotamischen, also der sumerischen und akkadischen oder auch der hethitischen und der britischen Geschichte und Literatur einzutauchen. 

C. J.: Wenn man den Studierenden hier zuhört, bekommt man schnell den Eindruck, dass das auf jeden Fall schon angehende Experten und Expertinnen auf dem Feld der Vorderasiatischen Archäologie und der Altorientalischen Philologie sind. Wenn ich an meine Schulzeit zurückdenke, muss ich gestehen: Ich glaube, ich konnte mit dem Begriff der Altorientalischen Philologie wahrscheinlich zur Abizeit gar nicht so viel anfangen, weil es auch kein Fach ist, das man aus der Schule direkt kennt. Vom Alten Orient hat man vielleicht schon mal was gehört und manche wissen vielleicht auch, was die Philologie ist. Aber wie sind denn so die die Erwartungshaltungen der angehenden Studierenden, die mit dem Fach anfangen? Haben Sie den Eindruck, dass die meisten auch schon wissen, was sie da erwartet? 

A. F.: Bei vielen würde ich sagen, die wissen das schon. Aber bei einigen habe ich auch das Gefühl, dass sie einfach mal sehen wollen, was das so ist. Wenn ich von mir selbst ausgehe: Ich habe mich in meiner Schulzeit schon für alte Kulturen interessiert. Ich bin aber auch erst so im Laufe der Zeit darauf gekommen, dass es so was wie die Altorientalistik überhaupt gibt. Bei mir war das einfach so, dass ich gemerkt habe, dass Ägyptologie, Sinologie, Indologie interessant sind, aber die größte Vielfalt und die größte Buntheit, das bietet doch die Altorientalische Philologie. Und außerdem, wie der eine Student schon gesagt hat, diese Nähe zu unserer eigenen Kultur, die ist bei aller Andersartigkeit eben doch auch gegeben. Das macht noch mal den besonderen Reiz aus. 

C. J.: Wir hatten jetzt auch schon einem Studenten gehört, der auch erwähnt hat, dass er über die Klassische Archäologie zur Altorientalischen Philologie gekommen ist. Kommt es häufig vor, wenn Sie auch sagen, Sie hatten sich zuerst auch noch mit anderen Fächern beschäftigt, die auch am Rande mit der Altorientalischen Philologie zu tun hatten? 

A. F.: Ja, es ist so: Unser Fach bildet zusammen mit der Vorderasiatischen Archäologie im Grunde genommen eine Einheit. Das Archäologische, das Materielle, das ist hauptsächlich Sache der Vorderasiatischen Archäologie. Wir beschäftigen uns mit den schriftlichen Hinterlassenschaften. Aber beides gehört eigentlich zusammen. Wenn jemand zum Beispiel ein Studium der Altorientalischen Philologie beginnt und dann fragt, was für ein Nebenfach er wählen könnte, dann ist die natürliche Antwort, dass man dann sagt, die Vorderasiatische Archäologie, wäre die erste Wahl. 

C. J.: Weil ich natürlich auch das Knowhow haben muss: Wie komme ich überhaupt an diese fragmentarischen Schriftstücke, an die Überlieferungen? Und dann aber wahrscheinlich auch häufig das Interesse besteht, das Ganze zu entschlüsseln und kulturell einzuordnen. 

A. F.: Und die Archäologie ist natürlich berühmter, bekannter. Also viele unserer Student:innen, die fangen erst mal mit der Archäologie an und kommen dadurch dann überhaupt erst darauf, dass es uns gibt. Deswegen sind wir der Archäologie schon aus diesem Grund immer sehr dankbar. 

C. J.: Ja, ich glaube, bevor wir weiter einsteigen, sollten wir ganz bald damit beginnen, auch die wichtigsten Begriffe und Zeiträume zu klären, mit denen wir uns in der Altorientalischen Philologie beschäftigen. Und wir hören uns dafür einmal an, wie eine typische Studienwoche von Bachelor-Studierenden aussieht und mit welchen Inhalten, die sich so beschäftigen. 

Studieninhalte (05:50) 

Studi 1: Ja, eine typische Woche, wenn man Altorientalische Philologie studiert: Am Anfang des Studiums stehen erst mal die Sprachkurse, also Akkadisch und Sumerisch. Sobald man da Grundkenntnisse letztendlich erlangt hat, besteht das Studium neben einzelnen Vorlesungen vor allem aus Lektürekursen. Also man bereitet Texte vor, indem man sie zu Hause übersetzt, die Keilschrift umschreibt und das Ganze dann im Kurs eben bespricht. Es werden Fragen geklärt, man kann den Text noch mal interpretieren und in größeren Zusammenhang setzen.  

Studi 2: In den ersten Semestern muss man natürlich zunächst die Sprachen erlernen, die grundlegend für das Studium der Altorientalischen Philologie sind. Bei uns in Tübingen liegen die Schwerpunkte zum Beispiel beim Sumerischen, der ältesten überhaupt schriftlich belegten Sprache, und dem Akkadischen. In den folgenden Semestern belegt man dann Lektürekurse, in denen man die erlernten Sprachen anwendet, und Originaltexte aus verschiedenen Epochen und verschiedener Art liest. Seien es zum Beispiel literarische Texte, Verwaltungs- und Rechtstexte oder astronomische Texte. Da in jedem Semester mehrere solcher Kurse angeboten werden, kann man dann auch seinen eigenen Interessen folgen und immer die Kurse belegen, die einen wirklich interessieren. 

Studi 3: In den ersten Semestern geht es vor allem auch darum, die grundlegenden Sprachen zu erlernen und dann gibt es eine enorme Möglichkeit, sich zu entfalten. Man kann viele Wünsche auch einbringen. Die Woche besteht dann daraus, in den verschiedenen Kursen Texte vorzubereiten, seien es sumerische Gesetzestexte, die schon 4000 Jahre alt sind, seien es historische Annalen aus Babylonien, sei es der Kyros-Zylinder, seien es literarische Werke der Weltliteratur, die man dann Woche für Woche vorbereitet, übersetzt und entsprechend sich erarbeitet. 

A. B.: Ich glaube, man hat jetzt schon mal einen guten Eindruck bekommen, wie viel Arbeit darin steckt, erst mal diese Sprachen zu lernen, damit man dann die Originaltexte überhaupt lesen kann. Für den Überblick, dass wir das ein bisschen abstecken, um welche Zeitspanne und um welche Regionen geht es denn genau in dem Fach? 

A. F.: Also von der Zeitspanne her ist die sehr, sehr lang: So etwa 3000 vor Christus bis um Christi Geburt. Deswegen bezeichnet es einer der Studenten als die erste Hälfte der Menschheitsgeschichte. Das stimmt auch. Es geht eigentlich um den gesamten Raum des Vorderen Orients, also ausgenommen Ägypten, denn Ägypten wird ja von einem eigenen Fach, der Ägyptologie betreut. Bei uns steht dann Mesopotamien, also der heutige Irak, im Mittelpunkt. Dazu gehören aber auch die benachbarten Länder. Interessant ist für uns natürlich auch der Iran, die Türkei, Syrien, Libanon bis hin nach Israel, das aber dann wiederum von der Biblischen Archäologie und den Alttestamentlern eher behandelt wird als von uns. 

A. B.: Und mit welchen thematischen Bereichen beschäftigen sich die Studierenden dann, also innerhalb dieser Bereiche? 
 
A. F.: Bei der Frage müsste ich Sie jetzt eigentlich fragen, wie viel Zeit wir überhaupt haben, weil das extrem viel ist. Es kommt immer darauf an, was für Interessenschwerpunkte man selbst hat. Also die Religionsgeschichte ist natürlich eine sehr wichtige Sache. Gerade diejenigen, die von der Theologie her zu uns kommen, die sind natürlich daran interessiert. Aber es gibt unendlich viel Anderes. Die Ereignisgeschichte ist natürlich ein wesentlicher Schwerpunkt. Das ist zum Beispiel meiner. Es gibt aber auch die Möglichkeit, sich mit der Gesellschaft, also mit der Gesellschaftsgeschichte zu beschäftigen. Rechtshistoriker sind an uns interessiert, weil wir die ältesten Rechtstexte überhaupt haben. Wirtschaft und Verwaltung stehen auch im Vordergrund, vor allem schon deswegen, weil die meisten Texte, die wir haben, aus diesem Bereich stammen, aus dem Alltag. Man kann aber auch Literaturgeschichte betreiben. Die meisten haben schon mal was vom Gilgamesch Epos und von ähnlichen Texten gehört. Das sind natürlich die absoluten Highlights. Solche Texte werden nur selten gefunden, aber dann ist die Begeisterung doppelt so groß. Dann gibt es noch die Wissenschaften, auch das ist etwas sehr Spezielles. Also wenn Sie zum Beispiel jetzt sich für Astronomie interessieren und astronomische Texte bei uns lesen wollen, müssten Sie eigentlich schon wieder Vorkenntnisse über die Astronomie mitbringen. Bei Mathematik ist es genauso. Da gebe ich offen zu: Die Babylonier haben von Mathematik leider sehr viel mehr verstanden als zum Beispiel ich. Es gibt also sehr viele Bereiche, mit denen man sich beschäftigen kann. Damals war es so, dass zur Wissenschaft auch so was wie Magie, Zukunftsforschung, Astrologie und solche Sachen gehört haben. 

C. J.: Wie muss man sich das denn vorstellen? In welcher Form liegen denn diese 3000 Jahre alten Texte vor? 

A. F.: Das sind Keilschrifttexte. Das ist die Art von Texten, mit denen wir uns beschäftigen. Das sind Tontafeln oder auch Steine, auf die dann ein Keilschrifttext eingemeißelt worden ist. Die Tontafeln selbst sind so etwa Streichholzschachtelgroß meistens und da ist in relativ winziger Schrift dann der Text in Keilschrift eingedrückt. Also man schrieb nicht mit Tinte oder so etwas, wie wir das heute tun, sondern man hat die verschiedenen Zeichen in den Ton eingedrückt. Da muss man dann auch schon wieder sehr spezialisiert sein, weil in jeder einzelnen Epoche etwas anders geschrieben wird – man hatte etwas andere Schreibgewohnheiten. Wenn Sie jetzt zum Beispiel einen Altorientalisten haben, der sich für das dritte Jahrtausend interessiert, sich da spezialisiert hat, der könnte nicht einfach einen Text aus dem ersten Jahrtausend nehmen und das wie eine Zeitung runterlesen. 

C. J.: Und lerne ich dann als Bachelorstudent:in die wichtigsten Schriftzeichen oder wie muss ich mir das vorstellen? Gibt es eine Grammatik? 

A. F.: Ja, selbstverständlich. Also Sie lernen immer zweierlei Dinge gleichzeitig. Das geht immer parallel. Einerseits lernen sie die Sprachen, das wurde auch schon angesprochen, das Akkadische, also die Sprache der Babylonier und Assyrer, und das Sumerische, die Sprache der Sumerer. Daneben muss man immer die Schrift erlernen. Die Sprache allein nützt nichts, die Schrift allein natürlich auch nicht. Diese Schrift ist recht kompliziert. Es ist keine Buchstabenschrift. Das ist eine Mischung aus Wortzeichen und Silbenzeichen. Die Zeichen verändern sich auch im Laufe der Zeit. Also man muss dann bei jeder einzelnen Epoche sich das Ganze noch mal neu anschauen. Deswegen besteht das Studium daraus – also mindestens das Bachelor-, aber auch das Masterstudium – den Studierenden möglichst viele unterschiedliche Epochen, möglichst viele Textgattungen zu zeigen, das vorzuführen, damit man natürlich dann erst einmal weiß, worauf man sich spezialisieren kann oder möchte. Das kann man erst dann sinnvoll tun, wenn man schon viel über diese Dinge weiß. 

A. B.: Das klingt schon auch sehr zeitaufwendig. Wie viel Raum nimmt denn das Sprachenstudium ein? 

A. F.: Es ist eine philologische Wissenschaft. Das heißt, dass natürlich die Sprache im Vordergrund steht. Das ist das Handwerkszeug, die Sprache und die Schrift, das man braucht, um die Texte überhaupt erschließen zu können. Wenn man das dann geschafft hat, dann kommt der zweite Schritt, in dem man dann versucht, das, was man da gelesen hat, zu deuten, daraus etwas zu machen, das in Beziehung zu setzen zu anderen Informationen, die man hat. Aber die Sprache und Schrift sind von existenzieller Bedeutung. Diese beiden Elemente sind es, mit denen man sich in den ersten drei Semestern des Studiums hauptsächlich befasst, also das reine Erlernen dieser Stimme. Danach braucht man es aber. Um da überhaupt hineinzukommen, muss man die Sprachen lernen. Es ist aufwendig, das stimmt schon. Also so einfach mal nebenbei macht man das nicht. 

A. B.: Nach den drei Semestern kann man dann aber auch schon die Texte im Original ansatzweise lesen? 

A. F.: Das kommt auf die Texte selbst an. Aber das ist tatsächlich so, dass wir unsere Student:innen so ausbilden, dass die nach dem zweiten Semester relativ gut etwa mit dem Gesetzestext des Königs Hammurabi von Babylon auskommen. Da hat man dann ein Zeichenrepertoire erworben, mit dem man schon recht gut klarkommt. Es ist so, dass ein berühmter altdeutscher Philologe mal gesagt hat, dass man Keilschrifttexte eigentlich nie wirklich liest, sondern sie immer nur entziffern kann. Daran sehen Sie ungefähr schon, wie sich das dann etwa anlässt. Aber wenn man zum Beispiel auf eine bestimmte Textgattung in einer bestimmten Epoche spezialisiert ist, dann ist das durchaus so, dass man einen Text auch mal hernehmen kann. So: Ach ja, das ist das und das. Die Person, die kenne ich. Das geht dann schon. Aber ganz einfach ist es eigentlich nie. Das ist auch die Herausforderung. 

C. J.: Ist da ein Großteil von den überlieferten Funden, die häufig wahrscheinlich auch nicht mehr so gut erhalten sind, schon übersetzt und wird mit den Übersetzungen gearbeitet? Oder wird da auch noch ganz viel Pionierarbeit geleistet und werden nach wie vor Funde entdeckt, die dann erst mal auch noch übersetzt werden müssen? 

A. F.: Also Funde gibt es immer wieder. Ich würde mal sagen, fast die wenigsten Keilschrifttexte sind so bearbeitet und publiziert, dass jemand, der außenstehend ist, also nicht zum Fach gehört, einfach gleich damit arbeiten kann. Ein Altorientalist würde das sowieso niemals machen, einfach nur mit der Übersetzung zu arbeiten. Das ist selbstverständlich, dass man natürlich dann in den Text schaut, weil es natürlich auch um das Vokabular, um die Spezialbegriffe und diese Dinge geht. Aber es ist ein sehr forschungsintensives Fach, das muss man sagen. Das ist auch das Schöne. Man wird dann als Student:in relativ früh in diese Forschung mit einbezogen. Der Sinn der Veranstaltung ist nicht, dass man wie in der Schule dann einfach das dann so runterbetet und immer wieder dasselbe macht, sondern dass man sich an die Forschung an klinkt und da auch die neueren Sachen vorstellt, die jetzt gerade erschienen sind, herausgebracht worden sind. Also da ist noch sehr viel zu tun. Da gibt es sicher noch in vielen Museen Kisten mit Tontafeln, die überhaupt noch gar nie ausgepackt worden sind. Also an Arbeit fehlt es nicht. 

A. B.: Sie haben gerade schon gesagt, wie man sich diese eigentlichen Texte auch vorstellen kann mit diesen streichholzschachtelgroßen Tontafeln. Jetzt stelle ich mir vor, dass die Studierenden nicht über diesen Tontafeln sitzen, sondern wahrscheinlich mit Digitalisaten von diesen Sachen arbeiten. Oder hat man tatsächlich auch mit den Quellenfunden zu tun? 

A. F.: Die meisten Quellenfunde liegen natürlich in Museen. Wir haben aber hier in der Universität Tübingen eine kleine eigene Keilschrifttafelsammlung, wo die Studierenden, die etwas weiter sind, so etwas auch mal direkt in die Hand nehmen dürfen. Das geht dann schon. Aber in den ersten Semestern geht es erst einmal darum, nur die Schrift und die Sprache zu erlernen. Das geht dann mit normalen Kopien, also in Papierform oder eben digital. Die Digitalisierung hat da natürlich Hervorragendes für uns bewirkt. Also man kann auf diese Weise sogar dreidimensional Tontafeln darstellen. Das kann man jetzt in einer Weise machen, wie das noch vor 15 Jahren oder so vollkommen unvorstellbar gewesen wäre. Die Sache ist natürlich die: Ich meine, darauf müsste man auch hinweisen, dass die meisten Texte, die wir haben, kaputt sind. Selbst bei so etwas wie das Gilgamesch-Epos, da haben wir nur einen Teil dessen, was es gab. Das sind alles Zufallsfunde. Das liegt dann zwei- bis dreitausend Jahre im Boden. Wenn da jemand durchgräbt oder eine Überschwemmung kommt, oder was auch immer, geht unendlich viel kaputt. Also das, was wir haben, ist nur das, was zufällig erhalten geblieben ist von etwas, was viel, viel umfangreicher, viel, viel größer war. Da muss man immer dankbar sein. Aber man sieht eben dann auch, was fehlt. Das Schwierige sind die kaputten Texte und das Zusammenfügen der Fragmente. Das Britische Museum, zum Beispiel, ist voll mit Tausenden von Textfragmenten, die man immer noch nicht zusammengefügt hat. Bei einigen wird es nie möglich sein, wenn von dem Text nur ein Fragment übrig ist. Da gibt es immer wieder Überraschungen. Das ist das Schöne. Das hört nicht auf. 

A. B.: Ja, ich kenne das auch aus der Altgermanistik. Da hat man auch teilweise die Sachen auseinandergenommen und dann als Buchdeckel verwendet für andere Sachen. Heute freut sich jemand, wenn wir noch mal so ein Fragment irgendwo finden, von der Handschrift, die eigentlich schon längst nicht mehr existiert. 

A. F.: Ja, bei uns ist der Vorteil, dass man die Tontafeln für nichts mehr gebrauchen kann. Man hat die weggeworfen, man kann sie aber nicht recyceln. Also das, was man im Mittelalter mit Pergament zum Teil gemacht hat, dass man das abschabt und wiederverwendet, das geht gar nicht. Deswegen wurden unsere Texte immer ganz weggeworfen, so wie sie waren. Dann liegen die irgendwo. Und wenn dann nichts passiert und niemand sie absichtlich kaputt macht, darauf trampelt oder so, dann sind die eben noch da. Das sind – das vergisst man immer – die Originaltexte, die wir haben. Aus vielen Bereichen der Geschichte haben wir nur Texte von Historikern, die Jahrhunderte nach den Ereignissen das mal geschrieben haben, aber die das gar nicht mehr selbst erlebt haben. Wir haben zum Teil die Originalbefehle von Königen, die Originalberichte über Dinge, die passiert sind. Das ist das, was die Leute damals an Briefen, an Mitteilungen direkt bekommen haben. Man schaut sozusagen dann dem König über die Schulter und liest das, was der damals gelesen oder vorgelesen bekommen hat. 

A. B.: Ist das eigentlich so elitär gewesen, dass die Schriftlichkeit nur in bestimmten gebildeten Gruppen existiert hat? Und das, was man dann als Text erhalten hat, ist auch wieder nur aus einer bestimmten Bevölkerungsschicht, die selbst schreiben kann oder schreiben lässt? 

A. F.: Ja, das ist so. Es ist nicht klar, wie groß der Anteil der Bevölkerung war, der lesen und schreiben konnte. Wahrscheinlich sind das weniger als 2 % gewesen, wenn das überhaupt so ist. Damals war es so: Wenn Sie lesen und schreiben konnten, waren Sie Spezialist, im Grunde ein Spezialhandwerker. Und nicht alle, die lesen und schreiben konnten, konnten alles lesen und schreiben. Der Codex Hammurabi ist zum Beispiel in einer Schrift geschrieben, die auf alt getrimmt ist. Ein normaler Schreiber, der auf dem Markt irgendwelche Verträge aufgesetzt hat für Leute, konnte das gar nicht lesen, da musste man eine spezielle Ausbildung haben. Man sagt, wenn man damals eine vollständige Ausbildung als Schreiber haben wollte mit allem, da war man genauso lange beschäftigt wie heute, wenn man das Abitur macht. Und wer konnte sich damals das schon erlauben? Die Phasen sind unterschiedlich. Also es gibt auch Zeiten, in denen man dann sieht, dass normale Leute selbst Briefe schreiben, zum Teil sogar die Frauen von Kaufleuten und so. Da war dann die Keilschrift relativ weitverbreitet. Aber Kaufleute waren auch nicht alle. In anderen Zeiten war es so, dass man Schreiberfamilien hat, also die das Wissen nur in der eigenen Familie möglichst weitergeben wollten. 

C. J.: Wie muss ich mir den Schreibvorgang vorstellen? Ich habe dann eine nicht gebrannte Tonplatte und drücke dort mit verschiedenen Quellen dann die einzelnen Zeichen hinein, wie mit der Druckmaschine später, oder wurde das geritzt? 

A. F.: Ja, es wird eingedrückt, das stimmt schon. Man hat das in der Hand, so wie wir etwa einen Stift halten. Dann drückt man immer mit der Spitze dieses Griffels auf den Ton. Dadurch entsteht eben durch dieses Eindrücken diese Keilform. Aber man drückt nicht das ganze Zeichen ein, sondern durch die verschiedenen Eindrücke nacheinander kommt dann das Bild des Zeichens. Aber man zieht den Stift nicht und man kann auch keine Kreise oder so etwas auf Ton machen. Das sieht furchtbar aus. Also man kann es nur drücken. Das geht aber sehr schnell. 

A. B.: Gibt es da eigentlich auch Verzierungen? 

A. F.: Weniger. Das ist eigentlich alles recht spartanisch. Das ist der Unterschied zu den Hieroglyphen, in denen dann Männlein und Vögel und alles über das Bild laufen. Das sieht dann lebendig aus. Bei uns ist das alles ausgesprochen abstrakt, was natürlich genau damit zu tun hat, dass man auf Ton nicht wirklich gut zeichnen kann. Man kann modellieren. 

C. J.: Haben Sie das selbst schon mal versucht?  

A. F.: Ja.  

A. B.: Aber da braucht man wahrscheinlich eine Brennerei? Oder muss man den Ton nur trocknen lassen? 

A. F.: Nein, eine Brennerei brauchen Sie gar nicht. Die meisten Tontafeln sind nicht gebrannt. Das ist ein Holzmangelgebiet, Mesopotamien. Nur ganz wichtige Texte hat man gebrannt. Der Rest ist ungebrannt. Das ist das Problem, wenn man die findet. Wenn man da keinen Spezialisten dabei hat von einem Museum, der dann eine solche Tafel behandeln kann, dann gibt das böse Überraschungen. Wenn Sie da einfach mal zugreifen, dann haben Sie sehr wahrscheinlich nur noch Sand in der Hand. Das muss man vorher alles nachbrennen, damit das dann erhalten bleibt. Auch das ist nicht so einfach. Steininschriften sind natürlich schön. Wenn das in Stein gemeißelt ist, da kann dann nichts passieren. Aber das meiste, was wir haben, sind Tontafeln. Auf Leder hat man auch geschrieben. Pläne, Stadtpläne oder so etwas hat man auf Leder dann gezeichnet und auch beschriftet. Aber das ist natürlich nicht erhalten geblieben. 

A. B.: Also das meiste ist dann Ton und dann hat man Leder gehabt und Stein.  

A. F.: Metall auch. Wir haben sogar Gold-Täfelchen. In meiner Dissertation habe ich sogar einen Hinweis auf einen Lapislazuli-Täfelchen thematisiert. Also Edelsteine kann man auch beschriften, Halbedelsteine sowieso. 

C. J.: Das muss man sich nur leisten können. 

A. F.: Ja, so ist es. Das sind immer Königsinschriften dann natürlich. 

C. J.: Spannend. Wenn wir noch mal auf die Inhaltsseite schauen. Es wurde jetzt schon von Ihnen erwähnt – und auch in dem Einspieler kam es vor – dass der inhaltliche Korpus, mit dem sich das Fach beschäftigt, extrem groß ist. Also es geht um literarische Texte, um juristische Texte, um welterklärende Texte, religiöse Texte. Gibt es in Tübingen einen Schwerpunkt, mit dem Sie sich hier beschäftigen und mit dem sich auch die Studierenden beschäftigen? Oder von was hängt es da letztlich ab, mit welcher Art von Texten, die Studierenden sich beschäftigen in ihrem Studium? 

A. F.: Man muss da unterscheiden zwischen dem Forschungsschwerpunkt an einer Universität und dem, was gelehrt wird. Man muss natürlich den Student:innen eine möglichst große Vielfalt unterschiedlicher Themen bieten. Das ist die eine Sache. Aber natürlich ist jeder Altorientalist irgendwie spezialisiert. Das war, glaube ich, um die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts, als es noch Altorientalisten gab, die von sich sagen konnten, dass sie das gesamte Fach beherrschen, anders. Das ist schon längst nicht mehr so. Also hier in Tübingen haben wir dann schon unsere eigenen Schwerpunkte: Gesellschaftsgeschichte, Rechtsgeschichte. Ich mache hauptsächlich Ereignisgeschichte. Das erste Jahrtausend, das Neuassyrische Reich, das ist mein spezieller Schwerpunkt, aber auch noch durchaus anderes. Für das Studium kommt es aber wie gesagt darauf an, dass man möglichst eine große Vielfalt vorstellt, weil jeder Student oder jede Studentin auch unterschiedlich ist. Jeder hat andere Interessenschwerpunkte und darauf muss man eingehen. Das machen wir bei uns dadurch, dass unser Studienprogramm auch sogenannte Wahlmodule enthält. Da kann man sich in anderen Fächern mal so umschauen, was die so machen, wenn man da etwas Interessantes findet. Jemand, der sich für Sprachen interessiert, der kann noch, sagen wir mal, Hebräisch oder Arabisch dazu machen. Jemand, der sich, sagen wir mal, für die Ereignisgeschichte interessiert, kann zu den Historikern gehen, sich da Handwerkszeug erwerben. Also wir wollten da so ein bisschen weg von diesem Korsett des Bachelor- und Mastersystems, in dem dann alles verschult ist und alles vorgeschrieben ist von Anfang bis Ende. 

A. B.: Und mich interessiert tatsächlich auch noch, wie jetzt zum Beispiel so ein Lektürekurs ganz konkret aussehen kann. Haben Sie da noch ein Beispiel, was ein Thema in einem Seminar sein könnte? Was sind das dann zum Beispiel für Perspektiven? 

A. F.: Das kommt natürlich dann auf den Text jeweils an. Wenn es ein historischer Text ist, kann das natürlich ein Ereignis sein. Es kann eine bestimmte Person sein, um die es geht, ein König oder so. Wenn das ein Wirtschaftstext ist, kann es sein, dass man sich mit einer bestimmten Struktur, mit bestimmten Verwaltungsabläufen beschäftigt. Wenn es um so etwas wie Zukunftsdeutung geht, muss man sich anschauen, wie das entsprechende Prozedere ist, bei dem man die entsprechenden Rituale dann durchführt, um zu einem Ergebnis zu kommen. Das kann man so allgemein nicht sagen. Das Wesentliche ist aber, dass man das Sprachliche und auch die Schrift selbst, dass man das so weit erschließt bei der Vorbereitung, dass man dann eben folgen kann und dass man darauf aufbauend dann darüber sprechen kann. Denn nur dann kann man mitreden. 

C. J.: Und es wurde jetzt auch schon erwähnt, dass häufig auch die Archäologie als Nebenfach empfohlen wird. Was sind sonst noch gängige Nebenfächer, die die Studierenden wählen? 

A. F.: Wenn ich von unserem Institut ausgehe, ist das natürlich noch die Ägyptologie. Das ist die Kultur, die parallel zu den Kulturen existiert hat, mit denen wir uns beschäftigen. Davon abgesehen gibt es noch verschiedene andere Archäologien, die man auch wählen kann. Die Ur- und Frühgeschichte zum Beispiel, die hat und vermittelt eben hervorragende technische Mittel, technische Kenntnisse, die ganz ausgezeichnet sind. Davon abgesehen kommt es eben wieder auf die Interessensschwerpunkte an. Sprachwissenschaften aller Art sind natürlich auch sehr praktisch, wenn man die Altorientalische Philologie eher über die sprachliche Schiene betreiben will. Es gibt auch Leute bei unseren Student:innen, die interessieren sich jetzt gar nicht unbedingt für Geschichte oder Religionsgeschichte, sondern für die ist es die Sprache selbst, die im Vordergrund steht. Die sammeln dann regelrecht Altorientalische und sonstige Sprachen. Es gibt auch mehr Sprachen als die, die wir hier anbieten können. Welche Sprachen man studieren kann, hängt immer auch von dem Studienort ab. Das ist sehr unterschiedlich. Das ist immer auch die Spezialisierung der Dozenten, die dann so etwas erlaubt oder auch nicht. 

A. B.: Viele wählen ihr Nebenfach tatsächlich auch nach ihren individuellen Interessen. Und wir haben unter anderem die Studierenden auch gefragt, was sie denn am Studium so begeistert. Hören wir da mal rein. 

Persönliche Voraussetzungen (29:40) 

Studi 1: Was ich am Fach mag, ist vor allem, dass es einen Einblick letztendlich von Innen in den Alten Orient, in die verschiedenen Epochen und die verschiedenen Regionen gibt anhand der Schriftzeugnisse. Also es ist möglich, zum Teil nachzuempfinden, wie Leute letztendlich vor 4000 Jahren zum Beispiel gelebt haben und wie sie den Alltag gesehen haben, wie sie miteinander gehandelt haben, wie sie auch Religion verstanden und praktiziert haben. Das ist total spannend, wenn man das im Original lesen und verstehen kann und das dann auch vergleichen kann. 

Studi 2: Was mich begeistert an der Altorientalischen Philologie ist, dass man von Beginn an so ein bisschen schon Teil der Forschung ist, denn alles, was man lernt, ist immer noch zum Teil offen. Es gibt ungelöste Probleme in der Grammatik, man findet immer wieder in Texten Dinge, die auch in den maßgeblichen Bearbeitungen vielleicht noch gar nicht richtig sind, wo man Dinge korrigieren kann. Man hat also ganz viele Möglichkeiten, wenn man so einen Pioniergeist hat, sich einzubringen, zu hinterfragen, mitzuarbeiten an der weiteren Erschließung der Texte. 

Studi 3: Ich finde es faszinierend, alte Sprachen zu studieren, die keiner mehr sprechen kann und die teilweise noch gar nicht ganz entziffert sind. Vor allem, wenn man sich darüber bewusst wird, dass es sich dabei um die ältesten Sprachen handelt, die wir überhaupt noch nachvollziehen können. Einfach deswegen, weil sie die Ältesten sind, die schriftlich bekannt sind. Und gerade diese ältesten Schriftzeichen, die Keilschrift zu erlernen, die kaum jemand lesen kann und in der man die Entstehung der Schrift einen der wichtigsten Schritte in der Entwicklung der Menschheit nachvollziehen kann, zu erlernen, ist wirklich sehr spannend. 

Studi 4: Solch ein intensives, historisch und sprachwissenschaftlich orientiertes Studium ist zwar nicht mühelos, aber es ist auf jeden Fall der Mühe wert. 

C. J.: Das ist doch eine schöne Zusammenfassung. Man merkt den Studierenden auf jeden Fall ihre Begeisterung an und merkt auch, für welche unterschiedlichen Bereiche sie sich begeistern. Es sind auch einige Begrifflichkeiten gefallen, die wir im Verlauf unseres Gesprächs auch schon hatten. Also zum einen, dass Sie sich schon früh als Forschende begreifen, auch einen gewissen Pioniergeist spüren oder entwickeln. Haben viele Studierende auch ein ganz starkes historisches Interesse? Das kam mehrfach auf. 

A. F.: Ja, wenn man das nicht hätte, würde man so ein Fach wahrscheinlich nicht studieren. Das sind Sprachen, die längst nicht mehr gesprochen werden. Das ist alles historisch. Wobei man natürlich immer eines sagen muss: Die Kultur, die Zivilisation ist sehr viel älter als der Bereich, mit dem wir uns beschäftigen. Nur bei uns ist es eben so, dass wir durch die Texte auch Namen haben. Also wir wissen, wer da agiert hat, was da passiert ist, wie Menschen miteinander umgegangen sind, was sie gedacht und geglaubt haben. Das ist das, was bei den Kulturen, vor Erfindung der Schrift, eben noch nicht möglich ist. 

C. J.: Wir haben uns gefragt bei der Recherche für die Folge, warum denn neben Englisch auch sehr gute Französischkenntnisse gefordert werden. Ist da viel auf Französisch geforscht worden oder was ist da der Grund? 

A. F.: Das Problem ist, dass dieses Fach sehr klein ist. Also in Deutschland haben wir eine ziemlich große Dichte an Altorientalischen Philologen. Die größte weltweit, muss man sogar sagen. Aber es kommt immer drauf an, welche Nation es war, deren Archäologen im Vorderen Orient das eine oder das andere ausgegraben haben. Und dann ist es natürlich so, dass das immer die eigenen Leute sind, die das dann auswerten. Es gab französische Archäologen, die wichtigen Dinge, also wichtige Grabungsstätten hatten und ausgegraben haben. Alles, was da publiziert wird, und alles, was da philologisch ausgewertet wird, ist natürlich dann Französisch. Also wenn man das dann nicht kann, dann sollte man sich vielleicht nicht gerade auf diesen Bereich spezialisieren. Also das Englische ist natürlich die bei weitem wichtigste Sprache, also ohne die geht es gar nicht. Aber Französisch ist natürlich auch wichtig. Auch Italienisch ist kein Fehler, wenn man es kann. Eine Zeit lang war sogar auch Russisch gar nicht mal so uninteressant. Das kommt immer drauf an, was man da genau macht, in welcher Epoche man ist. Bestimmte Epochen sind eben bestimmten Nationen fast schon vorbehalten. 

C. J.: Machen dann viele Studierende auch einen Auslandsaufenthalt, ein Auslandssemester im englischsprachigen oder französischsprachigen Ausland? 

A. F.: Ja, das kann man machen. Aber das ist natürlich in den letzten Jahren auch durch Corona und durch diese ganzen Verwicklungen dann nichts geworden. Am besten macht man es aber eigentlich erst nach dem Masterstudium, also wenn man das Ganze dann abgeschlossen hat. Das wäre eigentlich anzuraten. Damit man dann das Studium also zügig auch beendet und dann bereit ist für andere Dinge. Also bei uns ist das Studium auf eine bestimmte Art aufgebaut, die schon bedingt, dass man es dann auch der Reihe nach so absolviert, wie das vorgesehen ist. Also ich würde jedem erstmal raten, das Grundstudium, bis zum Master sogar, oder mindestens mal bis zum Bachelor, an einem Ort erst mal zu machen. Es ist auch nicht viel Zeit. Sie müssen bedenken: In den ersten drei Semestern machen wir gar nichts anderes, als die Grundlagen zu legen. Und dann fangen wir an, uns mit den eigentlichen Dingen zu beschäftigen. Dann wird das eingeübt. Dieses Einüben, das sollte man auch abgeschlossen haben, bevor man etwas Neues anfängt. Dann kommt bald schon die Bachelorarbeit. Das ist jetzt ja gar nicht mal so weit von den Grundlagen entfernt und auch das Masterstudium ist nicht wirklich lang. Das sind gerade mal zwei Jahre und das letzte Semester ist schon wieder der Masterarbeit gewidmet. 

A. B.: Wenn wir jetzt gerade schon bei den Abschlussarbeiten sind, die dann immer auch aktuelle kleine Forschungsprojekte über eine Epoche, die den ersten Teil unserer Menschheitsgeschichte beschreibt, sind: Wie könnte man den Bogen zu uns heute schlagen? Also was sind zum Beispiel Bereiche, die für uns heute bereichernd sind? Warum sollte man die Altorientalische Literatur erforschen? 

A. F.: Wenn Sie sich für die Literatur interessieren, das sind natürlich Probleme, die da angesprochen werden, die allgemein menschlich sind. Die Frage nach der Sterblichkeit des Menschen zum Beispiel im Gilgamesch Epos, die Entstehung der Welt und vieles andere mehr. Wenn Sie sich mit historischen Fragestellungen beschäftigen, dann können Sie natürlich das, was Sie in den Texten haben, sehr gut schon mal in Beziehung setzen mit dem, was heutzutage im Nahen Osten an Kriegen und Ähnlichem passiert. So können Sie das eigentlich mit all diesen Dingen tun. Das ist im Grunde eine andere Welt, das ist schon richtig. Aber diese Welt ist nicht irgendwo auf dem Mars, sondern das ist immer noch die Welt des Menschen. Viele Probleme hatten die Menschen damals auch, genauso wie wir. Sie haben sie vielleicht in anderer Weise gelöst. Sie hatten weniger Technik als wir, aber die Ähnlichkeiten sind schon da. Sie haben sozusagen eine andere Perspektive auf die Dinge, wenn sie sich mit diesen alten Texten beschäftigen. Aber Sie kommen natürlich auf die gleichen Probleme, auf die gleichen Fragestellungen, die wir heute auch haben. Diese andere Perspektive verschafft Ihnen dann auch eine gewisse Flexibilität mit den Dingen umzugehen. Sie lernen dann oder sehen sehr schnell, dass die Art, wie wir die Dinge behandeln, nicht unbedingt die einzig mögliche sein muss und dass man zu anderen Zeiten zu vollkommen anderen Ergebnissen gekommen ist. Auch wenn wir jetzt nicht unbedingt alle diese Ergebnisse von damals aus unserer Sicht vielleicht toll finden, überlegen oder großartig. Aber man sieht, dass es auch ganz anders geht. 

A. B.: Danke für die tolle Antwort. Ich finde die Frage selbst immer sehr spannend, insbesondere für Fächer, die eben historisch arbeiten. Gerade die werden auch oft hinterfragt. Jetzt haben wir noch das Feld: Was mache ich denn nach Bachelor und Master mit diesem Studium? Wir haben dazu auch unsere Tübinger Studierenden befragt, was denn deren Ideen und Vorstellungen sind und hören uns das zuerst an. 

Berufsperspektiven (38:24) 

Studi 1: Obwohl es unzählige Tontafeln auf der ganzen Welt in verschiedenen Museen gibt, die noch darauf warten, entziffert zu werden, ist das Stellenangebot bei uns im Fach leider sehr begrenzt. Trotzdem hoffe ich, irgendwann eine Stelle in der Vorderasiatischen Archäologie ergattern zu können, in der ich eigene Projekte leiten und organisieren kann. Dabei werden mir die Kenntnisse, die ich durch mein Studium der Altorientalischen Sprachen erlernt habe, mit Sicherheit weiterhelfen. 

Studi 2: Ich bin bereits beruflich tätig und arbeite als Evangelist. Da gibt es sehr viele Möglichkeiten: Studieninhalte, Dinge, die ich gelernt habe, in meinem Beruf direkt anzuwenden. Wenn ich insbesondere über Texte des Alten Testaments spreche und dort historische, kulturelle, sprachliche Parallelen und Hintergründe hinzuziehen kann. 

Studi 3: Nach dem Studium möchte ich weiter in dem Bereich arbeiten. Also ich möchte im Grunde weiter archäologisch arbeiten und die Philologie sehr zentral einbinden, um letztendlich aus diesen beiden Sichtweisen der Archäologie und der Philologie ein möglichst komplexes Bild zu gewinnen von einzelnen Zeiten und Regionen im Alten Orient. 

A. B.: Ja, ich denke, ein Punkt, der jetzt schon ersichtlich geworden ist, dass sich einige vorstellen oder wünschen, relativ nah an der Forschung zu bleiben, gegebenenfalls das auch mit der Archäologie zu kombinieren. Das wären die engeren Berufsfelder. Wo können denn Altorientalische Philolog:innen arbeiten? 

A. F.: Was man natürlich als erstes dann immer anführen kann, sind zum Beispiel Museen, aber es sind natürlich nicht so viele. Ich muss ganz ehrlich sagen, es gibt eigentlich an den Universitäten mehr Stellen für Altorientalische Philologen als an Museen in Deutschland. Das ist also eindeutig so. Hinzuzufügen ist außerdem, dass wir in Deutschland eine sehr große Vielzahl an Instituten in verschiedenen Universitäten haben, wo Stellen angeboten werden, immer wieder. Das heißt also, wer wirklich gut ist und sich da sehr engagiert – das ist natürlich dann die unbedingte Voraussetzung – hat eigentlich eine recht gute Chance, zumindest in Deutschland, eine Stelle zu finden. Das gelingt natürlich nicht jedem. Aber es gibt noch nebenberufliche Teilbereiche, in denen man auch unterkommen kann oder wo man vielleicht sogar von Anfang an hinwill. Es will nicht jeder und jede unbedingt in die Forschung, der so etwas studiert. Da wäre zum Beispiel der ganze Bereich der Kulturvermittlung, des Kulturmanagements zu nennen. Auch im Medienbereich gibt es da etliches. Man muss natürlich sehen: Wir vermitteln auch andere Fähigkeiten, als nur die Keilschrift und irgendwelche Sprachen zu beherrschen. Um dieses Studium erfolgreich abzuschließen, muss man eine ganze Reihe an Fähigkeiten entwickeln, wenn man sie nicht schon mitbekommt. Man muss natürlich entsprechend flexibel sein. Man muss zu Problemlösungen in der Lage sein. Man muss eigene Texte verfassen können, nicht nur die der anderen lesen, sondern man muss natürlich auch sich dann verständlich darstellen können für andere. In allen Tätigkeiten, in denen es um Sprache geht und in denen eigenständiges Denken erforderlich ist, ist man recht gut aufgestellt, wenn man ein Studium der Altorientalischen Philologie bewältigt hat. Man muss es auch so sehen: Das ist ein Fach, in dem Sie wieder ganz neu anfangen müssen. Sie müssen eine gewisse Flexibilität mitbringen und die Fähigkeit, sich auf etwas einzulassen, was Sie vorher noch nie so gemacht haben. Und diese Fähigkeit, das ist auch etwas, was man dann im Berufsleben in jedem Falle gut gebrauchen kann. 

C. J.: Kann man sich während des Masterstudiums oder auch während des Bachelorstudiums schon für eine bestimmte Forschungsrichtung spezialisieren? Sodass man dann, wenn man zum Beispiel merkt, dass man sich – nehmen wir jetzt mal nicht die Literatur – vielleicht für die Ereignisgeschichte begeistert, dann die Möglichkeit hat, seine Bachelorarbeit oder die Masterarbeit auch in diese Richtung bereits zu gestalten oder sich ein Thema auszusuchen? 

A. F.: Das Beste, was man sich vorstellen kann, ist wenn ein Student oder eine Studentin sowieso schon weiß, was er will und sich sogar schon ein entsprechendes Thema aussuchen kann. Wir haben, das ist der Vorteil, nur eine recht begrenzte Anzahl von Student:innen und da ist es keine Schwierigkeit, auf den Einzelnen dann auch einzugehen und sich dann auch intensiver mit solchen Dingen zu befassen. 

C. J.: Der Studiengang ist wahrscheinlich auch relativ familiär hier in Tübingen und die einzelnen Dozent:innen und Studierenden kennen sich mit der Zeit? 

A. F.: Ja, das kann man genau so sagen. Wir haben Kurse, die sind nie wirklich groß, da weiß man schon genau, was der Einzelne macht. Das ist manchmal vielleicht auch für die Student:innen nicht so angenehm, weil sie natürlich genau wissen, dass der Dozent, die Dozentin sehr genau weiß, was sie gemacht haben und was nicht. Also verstecken kann man sich da nicht. Das ging mir auch in meinem Studium so. Wenn Sie dann, was weiß ich, mal vielleicht nur zu dritt in einer Veranstaltung sitzen und Sie sind dann nicht vorbereitet, das ist gar nicht angenehm. 

C. J.: Da fällt man schneller auf, als wenn man in einer Vorlesung im Audimax mit 500 anderen Personen sitzt. Also das ist schon ein bedeutender Unterschied, auch für den Studienalltag: Bin ich einer von ganz vielen und kann mich verstecken, kann aber wahrscheinlich auch schneller verloren gehen in Anführungszeichen, wenn ich mich nicht selbst dahinterklemme oder bin ich in einer kleinen Gruppe. 

A. F.: Das ist ein sehr intensives Studium. Auch deshalb, weil man natürlich die Student:innen kennt und sie nicht nur einmal die Woche, sondern mehrfach sieht in den Veranstaltungen. Und weil man im Grunde die Leistungen auch schon ohne Klausuren, ohne Prüfungen, sehr gut abschätzen kann. Dieser enge Kontakt, der bringt das eigentlich schon mit sich. 

C. J.: Wie zeitintensiv ist das Studium dann? Haben die Studierenden zum Beispiel noch Zeit nebenher mal einem Nebenjob nachzugehen, um sich das Studium zu finanzieren? 

A. F.: Ja, das kommt eben auf das eigene Zeitmanagement an, wie man das macht und wie viel man dann selbst investiert, welche unterschiedlichen Bereiche man dann kennenlernen will. Aber das geht schon. Also es gibt auch Student:innen, die sich dann noch was daneben verdienen oder zum Teil auch verdienen müssen. Das ist durchaus möglich. Außerdem sieht das Studium sowieso, also zumindest das Bachelorstudium, ein Nebenfach vor. Um das muss man sich natürlich auch noch kümmern. Das geht, das ist schon so eingerichtet, dass es keine Unmöglichkeit ist.  

A. B.: Jetzt wäre tatsächlich meine Frage: Haben wir einen Bereich, der Ihnen wichtig erscheint, noch nicht angesprochen? 

A. F.: Also vielleicht eine Sache, nämlich wie es dann nach dem Studium weitergeht, wenn man in der Forschung bleiben will. Da muss man auf jeden Fall promovieren, also diese beiden Buchstaben vor dem Vornamen, Doktor:in (Dr.) und Professor:in (Prof.), die muss man sich dann schon erwerben, sonst geht es nicht. 

Insider-Tipps (45:28) 

A. B.: Ja, dann kommen wir doch zur letzten Rubrik: Unseren Insidertipps. Herr Fuchs, haben Sie zur weiteren Auseinandersetzung mit dem Fach noch irgendwelche Tipps mitgebracht, wo man ein bisschen weiter mal reinschauen kann oder recherchieren könnte? 

A. F.: Es gibt eine ganze Reihe von populärwissenschaftlichen Darstellungen über den Alten Orient. Wenn man erstmal nur reinschauen will, ohne dass man jetzt gleich riesige Bücherberge vertilgen möchte: Da wäre zum Beispiel von Karen Radner, das ist eine Kollegin in München, das Buch: Mesopotamien: Die frühen Hochkulturen an Euphrat und Tigris. Das ist aus der Beck-Wissen-Reihe ein kleines Büchlein, das ist sehr anzuraten. Aus der gleichen Reihe, von unserem Wiener Kollegen Michael Jursa: Die Babylonier. Das mag ich besonders, weil das auf eine sehr nette Art geschrieben ist, so ein bisschen speziell. Oder aber auch wieder ein Gesamtüberblick wäre von Eckart Frahm: Geschichte des alten Mesopotamiens, bei Reclam erschienen. Wenn Sie eines auch nur von diesen Büchern lesen, haben Sie eigentlich schon einen recht guten Einblick, über das, womit wir uns beschäftigen und um was es so in diesem Fach geht. 

A. B.: Ich glaube, Die Babylonier stehen ungelesen in meinem Bücherregal. Vielleicht ist das jetzt der Anstoß. Die Weihnachtslektüre wird: Die Babylonier. 

C. J.: Dann würde ich sagen, nehmen wir doch diese Hinweise alle bei uns in die Shownotes, auf und verlinken die für Euch. Und ich sage auf jeden Fall ganz lieben Dank für Ihren Besuch, Herr Dr. Fuchs! 

A. F.: Ja, ich bedanke mich auch. 

A. B.: Schön, dass Sie da waren! 

C. J.: Spannende Einblicke in ein besonderes Studienfach. Und falls Ihr, liebe Hörerinnen und Hörer, Fragen an uns habt oder Kommentare, dann schickt uns die gerne per E-Mail wie immer an hochschulreif@uni-tuebingen.de und wir freuen uns, wenn Ihr auch in unsere anderen Folgen rein hört. 

Shownotes

„hochschulreif“ spricht mit Prof. Dr. Andreas Fuchs über die folgenden Themen: 
01:15 Persönliche Motivation
05:53 Studieninhalte 
29:44 Persönliche Voraussetzungen
38:23 Berufsperspektiven
45:28 Insider-Tipps

Insider-Tipps zur Altorientalischen Philologie:

  • Frahm, Eckart: Geschichte des alten Mesopotamien, Stuttgart 2013.
  • Jursa, Michael: Die Babylonier. Geschichte, Gesellschaft, Kultur, München 2004.
  • Radner, Karen: Mesopotamien. Die frühen Hochkulturen an Euphrat und Tigris, München 2017.

Individuelle Unterstützung bei der Studienwahl findet ihr bei der Zentralen Studienberatung der Universität Tübingen. Infos zu allen Studiengängen an der Universität Tübingen gibt es im Verzeichnis der Studiengänge.

Bei Fragen, Anregungen oder Kritik schreibt uns an: hochschulreifspam prevention@uni-tuebingen.de


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