Das Tübinger Lykien-Projekt
Hoyran
Die ca. 1,7 ha große, ummauerte Siedlung, deren antiker Name unbekannt ist, liegt etwa 400 m südlich des neuzeitlichen Ortes Hoyran und ca. 3 km von der Küste entfernt auf einem in Ost-West-Richtung streichenden Hügelrücken im Bergland von Yavu in Zentrallykien (Abb. 1 und 2). Die antike Stätte war seit dem 5. Jh. v. Chr. bis in osmanische Zeit bewohnt - nachgewiesen durch Mauerwerksgestaltung, Grabanlagen, Inschriften und Keramikfunde. Neben wirtschaftsräumlichen Vorzügen aufgrund ausgedehnter Anbauflächen im Norden ist die Siedlung durch eine hervorragende strategische Lage ausgezeichnet.
Die antike Stätte besteht aus einer auf der höchsten Geländeerhebung gelegenen ummauerten Akropolis im Nordwesten. Daran schließen im Süden und Osten Befestigungsmauern an. Sie bilden zusammen mit dem östlich unterhalb liegenden Sattel, wo der Hauptzugang in die befestigte Siedlung liegt, und einem im Nordosten ca. 5 m oberhalb gelegenen, schmalen Geländegrat, dessen maximale Breite 10 m beträgt und der im Osten mit einem Turm abschließt, einen Befestigungsring (Abb. 3 und 4). Der größte Teil der Wohnsiedlung erstreckt sich über den steilen Südhang des für diesen Zweck teilweise großflächig terrassierten Bergrückens bis hin zu einer Siedlungsmauer, die die letzte Terrassenstufe begrenzt. Die Terrassen sind von geringer Tiefe, und die Hauskomplexe liegen eng beieinander. Sie sind oft durch Felstreppen miteinander verbunden. Anstehender Fels ist in die einzelnen Räume integriert. Vom aufgehenden Mauerwerk sind so gut wie keine Reste mehr vorhanden. Nördlich der Befestigungsgrenze liegen die Nekropolen.
In der klassischen Zeit kennzeichnen ein Grabpfeiler und die Akropolis diesen Ort als Dynastensitz, der vermutlich zuerst mit den wichtigsten zentrallykischen Siedlungen auf dem Avsar Tepesi und Phellos unter der Herrschaft der xanthischen Dynastie stand. Später löste der ostlykische Dynast Perikles von Limyra die xanthische Dynastie ab, wodurch sich Machtverlagerungen ergaben, die auch für die befestigte Siedlung bei Hoyran annehmen lassen, daß sie zeitweilig unter ostlykischer Herrschaft stand.
Form und Qualität der Grabanlagen weisen auf eine differenzierte Gliederung der Gesellschaft hin: Es gibt im unmittelbaren Siedlungsbereich drei reiche Gräber (zwei Felsgräber und Grabpfeiler), davon eines mit figürlichen Friesen (Abb. 5 und 6). Diese Gräber gehörten der wirtschaftlichen und politischen Elite der Siedlung. Daneben existieren weitere vier Felsfassadengräber, die ebenfalls Wohlstand der Grabinhaber belegen. In der Siedlung konnten ca. acht große Wohnkomplexe mit zugehörigen Kultanlagen sowie Wirtschaftseinrichtungen nachgewiesen.
Fünf Altäre und ca. 23 Kultnischen stellen ein Charakteristikum dieser Siedlung dar (Abb. 7 und 8).
In hellenistischer und Kaiserzeit gehörte der Ort als südöstlichster zum Polisgebiet der ca. 6 km nordwestlich gelegenen Stadt Kyaneai, nachgewiesen durch Inschriften auf Sarkophagen.
In diesen Epochen erreichte die Besiedlung einen Höhepunkt (Abb. 9). Die Errichtung neuer Häuser und die Veränderung älterer Anlagen können belegt werden. Auch ist davon auszugehen, daß alle älteren Hausanlagen weiter benutzt wurden. Insgesamt waren in der Kaiserzeit etwa 47 Hauskomplexe bewohnt. Die Einwohner lassen sich anhand der Hausanlagen in wohlhabendere und weniger wohlhabendere unterscheiden. Eine Auflösung der Befestigungsmauern scheint sich abzuzeichnen. Dies läßt sich daran erkennen, daß Wohnkomplexe an diese Mauern angebaut wurden. 55 Sarkophage stammen aus der späthellenistischen und der Kaiserzeit (Abb. 10). Ungefähr 25 Pressanlagen, die durch in den Fels eingetiefte Preßtische und Sammelbecken nachgewiesen sind, repräsentieren den wichtigsten Wirtschaftszweig in dieser Region und stellen für die Siedlung ein Charakteristikum dar.
In byzantinischer Zeit zeichnete sich der Ort durch eine weitreichende Besiedlung und ebenfalls starke wirtschaftliche Aktivitäten aus.
Bisherige Forschungen in der befestigten Siedlung bei Hoyran:
- 1881 Expedition der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (Otto Benndorf, George Niemann). Aufnahme einiger Grabinschriften und Zeichnungen der Felsgrabreliefs. Erwähnung von Siedlungsresten.
- 1882 Expedition der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (Ernst Petersen, Felix v. Luschan). Aufnahme weiterer griechischer Sarkophaginschriften sowie photographische Tätigkeiten. Erwähnung von Siedlungsresten.
- 1970er Übersichtsskizze und Geländeschnitt des nördlichen Teiles der befestigten Siedlung von Wolfgang W. Wurster.
- 1967, 1969 und 1970 Untersuchung und Vermessung der Grabanlagen im Rahmen der Publikation der lykischen Grabpfeiler von Claudine Deltour-Levie.
- 1980er Untersuchung der Sarkophage im Rahmen der Publikation über lykische Sarkophage (1985) von Vedat Idil.
- 1991 Untersuchung vor allem der Befestigungsanlagen in der Kampagne des Kyaneai-Surveys und vorläufiger Gesamtplan von Thomas Marksteiner.
- seit 1995 erneute Untersuchung des gesamten Siedlungsareals und der Nekropolen im Rahmen des Tübinger Lykien-Projektes.
- 1997 topographische Geländeaufnahme des Siedlungsgebietes und des umgebenden Bereiches der Geodäten der Fachhochschule für Vermessungstechnik in Karlsruhe.
Literatur:
- Gisela Rumpp, Die antike Siedlung bei Hoyran in Zentrallykien (Tübinger Althistorische Studien 3), Bonn 2006