Teilprojekt C05: Die Bedrohung politischer Ordnungen in afrikanischen Entwicklungsländern
Abstract
Das Teilprojekt untersucht das Verhalten von Identitätsgruppen im Kontext bedrohter Ordnungen in afrikanischen Entwicklungsländern. Die Stabilität politischer Herrschaft ist in vielen Staaten der Region prekär. Öffentliche Güter werden nur unzureichend zur Verfügung gestellt, ausgeschlossene Bevölkerungsgruppen fordern mehr Teilhabe oder Autonomie und Regierungen greifen oft zu repressiven Mitteln, um sich trotz großer sozialer Unzufriedenheit an der Macht zu halten. Unter diesen Bedingungen müssen sich Identitätsgruppen entscheiden, wie sie die politischen Bedingungen so gestalten wollen, dass sie in Sicherheit und Frieden leben können. Prinzipiell haben sie in diesem Zusammenhang die Möglichkeit, ihre Ziele mit gewaltsamen oder gewaltfreien Mitteln zu verfolgen. Im Rückgriff auf die Forschung zu sozialen Bewegungen untersucht das Teilprojekt die Rolle kollektiver Deutungsschemata (sogenannter collective action frames) bei der Mobilisierung von Identitätsgruppen zu friedlichem oder gewaltsamem Protestverhalten. Damit leistet es aus sozialwissenschaftlicher Perspektive einen Beitrag zur Erforschung von Bedrohungskommunikation und deren Konsequenzen für die Strategiewahl von Identitätsgruppen.
Projektteam
Projektleitung:
Prof. Dr. Andreas Hasenclever
Mitarbeiter/innen:
Jan Sändig, Dipl.-Pol.
Anne Theobald, Dipl.-Soz.
Tanja Granzow, MA (assoz. Mitglied)
Hilfskräfte:
Natalia Herberg, B.A.
Carmen Belafi, B.A.
Fachgebiete und Arbeitsrichtung
Politikwissenschaft, Friedens- und Konfliktforschung
Projektbeschreibung
Theoretischer Hintergrund
Innerstaatliche Gewaltkonflikte sind weltweit die vorherrschende Form der bewaffneten Auseinandersetzung und stellen das Überleben politischer Ordnungen massiv in Frage. Seit Ende des Kalten Krieges hat sich deshalb die Aufmerksamkeit der Konfliktforschung von zwischenstaatlichen Kriegen auf Bürgerkriege und andere Arten organisierter innenpolitischer Gewalt verschoben.
Das Teilprojekt ist an der Schnittstelle der Forschung zu Bürgerkriegen und bewaffneten Konflikten und Theorien sozialer Bewegungen angesiedelt. In der Forschung zu bewaffneten Konflikten und Bürgerkriegen wurde eine Reihe politischer, wirtschaftlicher und sozialer Faktoren auf der Makro-Ebene identifiziert, die bewaffnete Auseinandersetzungen mehr oder weniger wahrscheinlich machen. Es ist aber noch nicht hinreichend gelungen, Mikromechanismen der Gewalteskalation zu präzisieren. Die soziale Bewegungsforschung hat demgegenüber mit Framing einen zentralen Mikro-Ansatz entwickelt, um Mobilisierung von gesellschaftlicher Unterstützung für Proteste zu untersuchen. Nach Maßgabe des Framing-Ansatzes führt kein direkter Weg von Opportunitätsstrukturen hin zum Aufbau von Organisationsstrukturen und zur Akquirierung von Ressourcen einer sozialen Bewegung. Vielmehr brauchen soziale Bewegungen eine Programmatik, die Ziel und Strategie vorgibt, in Form sogenannter kollektiver Deutungsschemata (collective action frames; kurz: Frames). Diese intersubjektiven Deutungsschemata vereinfachen reale Situationen und Ereignisse, um Anhänger zu mobilisieren und hinzuzugewinnen sowie potenzielle Gegner zu demobilisieren.
Vorgehensweise
Das Teilprojekt untersucht das Verhalten von Identitätsgruppen im Kontext bedrohter Ordnungen in afrikanischen Entwicklungsländern. In vielen Staaten der Region ist die Herrschaft prekär: Öffentliche Güter werden nur unzureichend zur Verfügung gestellt, ausgeschlossene Bevölkerungsgruppen fordern mehr Teilhabe oder Autonomie und Regierungen greifen oft zu repressiven Mitteln, um sich trotz großer sozialer Unzufriedenheit an der Macht zu halten. Unter diesen Bedingungen müssen sich Identitätsgruppen entscheiden, wie sie die politischen Bedingungen so gestalten wollen, dass sie in Sicherheit und Frieden leben können. Prinzipiell haben sie in diesem Zusammenhang die Möglichkeit, ihre Ziele mit gewaltsamen oder gewaltfreien Mitteln zu verfolgen. In der Empirie zeigt sich, dass unter ähnlichen strukturellen Rahmenbedingungen uneinheitliches Protestverhalten beobachtet werden kann: Während manche Identitätsgruppen zu friedlichem Protest aufrufen und entsprechend handeln, mobilisieren andere ihre Anhänger für Gewalt und wenden diese auch an. Im Rückgriff auf die Forschung zu sozialen Bewegungen untersucht das Teilprojekt die Rolle von Frames bei der Mobilisierung von Identitätsgruppen zu friedlichem oder gewaltsamem Protestverhalten. Damit leistet es aus sozialwissenschaftlicher Perspektive einen Beitrag zur Erforschung von Bedrohungskommunikation und deren Konsequenzen für die Strategiewahl von benachteiligten und bedrohten Identitätsgruppen.
Das Ziel des Teilprojekts ist es, Mikro-Mechanismen herauszuarbeiten, die erklären, weshalb Identitätsgruppen im Kontext bedrohter Ordnungen friedlich oder gewaltsam gegen den Staat protestieren. Laut der Arbeitshypothese des Teilprojekts kommt es zu gewalttätigem Protestverhalten, wenn es gewaltbereiten Eliten gelingt, die Gruppenmitglieder davon zu überzeugen, dass sie sich als Gruppe in einem feindlichen Umfeld bewegen (Exklusionsbedingung), dass sie existenziell bedroht sind (Bedrohungsbedingung) und dass der Einsatz von Gewalt Erfolg versprechend ist (Erfolgsaussicht von Gewalt). Im Gegenzug protestieren Gruppen friedlich, wenn eine oder mehrere dieser Bedingungen nicht gegeben sind. Um herauszufinden, ob die Bedrohungskommunikation entscheidend für das Verhalten von Identitätsgruppen im Kontext bedrohter Ordnungen ist, werden auch materielle Anreize, kulturelle Faktoren sowie Zwangsmaßnahmen als alternative Erklärungsfaktoren für Gewalt berücksichtigt. Zudem wird die gegenläufige Propaganda von Staat und Regierenden erhoben. Diese versuchen häufig, benachteiligte Identitätsgruppen davon abzubringen, (gewaltsam) zu protestieren.
Das Teilprojekt untersucht Variationen im Protestverhalten zwischen verschiedenen Identitätsgruppen oder innerhalb dieser. Hierzu werden verschiedene Identitätsgruppen bzw. Subgruppen, die sich gleichermaßen durch den Staat benachteiligt und/oder bedroht fühlten, aber uneinheitlich – nämlich friedlich oder gewalttätig – dagegen protestiert haben, qualitativ untersucht. Um diese Verhaltensvariationen zu erklären, werden zunächst die politischen, gesellschaftlichen, sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen der Gruppen systematisch analysiert. Im nächsten Schritt werden die Frames, die in den Gruppen bzw. Subgruppen entstanden sind, erhoben und ihre Resonanz bei der Zielgruppe sowie Wirkung auf das weitere Umfeld ermittelt. Schließlich werden Erklärungen gesucht, warum bei ähnlichen strukturellen Ausgangsbedingungen in manchen Gruppen/Subgruppen gewaltmobilisierende Frames entstanden sind, während dies in anderen ausblieb; und warum sich gewaltmobilisierende Frames (sofern entstanden) in manchen Gruppen/Subgruppen verbreitet haben, während dies in anderen nicht geschah.
Das Teilprojekt vergleicht dabei sowohl innerhalb der untersuchten Länder als auch zwischen ihnen: Beim innerstaatlichen Vergleich verschiedener Gruppen bzw. Subgruppen sind die Rahmenbedingungen weitgehend konstant, was es erleichtert, Mikro-Ursachen der Verhaltensvariation zu identifizieren. Im Vergleich zwischen Ländern kann darüber hinaus die Erklärungskraft von Framing für verschiedene Formen politischer Gewalt, die mit einem unterschiedlich hohen Gewaltausmaß einhergehen, getestet werden.
Projektbezogene Vorträge und Publikationen
Hasenclever, Andreas
- Keine Angst vor den Göttern – Überlegungen zum Gewalt- und Friedenspotential von Religionen in bewaffneten Konflikten, in: Politische Bildung 2012, 45:2, S. 84-102.
- (Mit Jan Sändig): Nigeria – Gewaltursache Religion?, in: Werkner, Ines-Jacqueline, et al. (Hg.): Friedensgutachten 2014, Münster: Lit Verlag, 2014, S. 180-195.
- (Mit Jan Sändig): Radikalisierung und Terrorismus im Westen (Der Bürger im Staat 4-2011).
- 23.01.2013 - "Friedlicher Protest oder gewaltsame Rebellion? Die Reaktion ethnischer Gruppen auf Repression und Staatszerfall in Afrika." Vortrag im Rahmen des Studium Generale, Tübingen.
- 29.06.2012 - "Zynische Gewalt – Überlegungen zur Rationalität von Bürgerkriegen"; Vortrag im Rahmen des Workshops "Krieg und Bürgerkrieg", Universität Tübingen, Forum Scientiarum.
- 21./22.06.2012 - "Religion Losing the Sacred – On the Secular Nature of Armed Conflicts"; Vortrag auf dem Internationalen Workshop "The Political Impact of Religious Activism", HU Berlin.
- 22.05.2012 - "Macht und Moral: Zum bemerkenswerten Aufstieg der Menschenrechte in der internationalen Politik"; Vortrag im Rahmen des Studiums Generale "Human Rights and Human Wrongs – Menschenrechte zwischen Anspruch und Wirklichkeit", Tübingen.
- 18.11.2011 - "Macht und Moral: Normwandel und Normgeltung in den internationalen Beziehungen"; Vortrag zur 29. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Politikwissenschaft 2011 "Aspekte der Macht", Tutzing.
Granzow, Tanja
- (mit Fabian Fechner, Jacek Klimek, Roman Krawielicki, Beatrice von Lüpke, Rebekka Nöcker) 'We are gambling with our survival.' Bedrohungskommunikation als Indikator für bedrohte Ordnungen, in: Aufruhr – Katastrophe – Konkurrenz – Zerfall. Bedrohte Ordnungen als Thema der Kulturwissenschaften, Bd.1 der SFB 923-Reihe 'Bedrohte Ordnungen', hg. von Ewald Frie und Mischa Meier, Tübingen 2014, S. 141-173.
- 03.09.2013 - "Violent vs. Non-Violent Struggle: Investigating the Impact of Frames on Movement Strategies in Yemen"; Vortrag im Rahmen des Workshops: "Framing Political Violence: A Micro Approach to Civil War Studies", Tübingen, 02.-04.09.2013.
- 11.01.2013 - "Framing Threat, Mobilizing Violence: Micro-Mechanisms of Conflict Escalation among the Huthis and al-Hiraak"; Vortrag auf der Konferenz "Yemen: Challenges for the Future" von BYS, LMEI und der University of London.
Sändig, Jan
- (Mit Andreas Hasenclever): Nigeria – Gewaltursache Religion?, in: Werkner, Ines-Jacqueline, et al. (Hg.): Friedensgutachten 2014, Münster: Lit Verlag, 2014, S. 180-195.
- Nigerias Sicherheitskräfte verstoßen gegen Menschenrechte (Anklagen, Amnesty International, Ausgabe Herbst 2013, ab S. 3). Link zur PDF
- (mit Andreas Hasenclever): Radikalisierung und Terrorismus im Westen (Der Bürger im Staat 4-2011).
- 21.02.2015 - "The Shortage of Protest by the Biafra Movement in Contemporary Nigeria"; 56th International Studies Association Annual Convention, New Orleans.
- 30.09.2014 - "Framing Protest and Insurgency: Boko Haram and MASSOB in Nigeria”, International Conference 'Dynamics of Social Change and Perceptions of Threat' German Historical Institute London, UK.
- 22.05.2014 - "The Renewed Demand for Biafra: A Framing Analysis of the Biafra Movement in Contemporary Nigeria", 12th Annual International Conference of the Igbo Studies Association, Chicago, USA.
- 03.09.2013 - "Explaining violent and peaceful protest: Boko Haram and the Biafra movement in contemporary Nigeria", Vortrag im Rahmen des Workshops "Framing political violence: A micro-approach to civil war studies", Universität Tübingen, 2.-4.09.2013.
- 28.06.2013 - "Why Non-Violence? A Framing Analysis of the Neo-Biafra Movement"; Vortrag auf der PSS-ISA Joint International Conference, Budapest.
- 29.05.2013 - "Why is there no Rebel Rising 'under the Rising Sun'? The Non-Violent Struggle for Biafra in Contemporary Nigeria"; Vortrag auf dem Matariki-Netzwerk Research Workshop "Nonviolent Conflicts: Research Challenges and Synergies", Uppsala.
- 19.04.2013 – "Staatszerfall, Statebuilding und Gewalteskalation"; Vortrag im Rahmen des Seminars "Failed States: Bedrohte Ordnungen und zerfallende Staaten", Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg in Kooperation mit dem Leibniz-Kolleg, Bad Urach.
- 24.01.2013 - (mit Anne Theobald) "Bedrohte Unordnung? Staatenbildung in Somalia"; Vortrag im Rahmen der Vortragsreihe "Politik ist überall", Universität Tübingen.
- 07.12.2012 - (mit Anne Theobald) "Die Bedrohung politischer Ordnungen in afrikanischen Entwicklungsländern"; Vortrag auf dem Kolloquium des SFB 923, Universität Tübingen.
- 02.06.2012 - "Protest and insurgency in Nigeria: The puzzling cases of MASSOB and Boko Haram"; 25th Annual Conference of the German Peace Psychology Association "Perpetrators and Victims of Collective Violence", Konstanz.
- 03.04.2012 - "Framing Rebellion: Social Movements, Frames, and Insurgency in Nigeria"; 53rd International Studies Association Annual Convention, San Diego.
Theobald, Anne
- Rezension zu: Patel, Rashida: Gender Equality and Women’s Empowerment in Pakistan. Oxford/New York, 2010, in: Journal of Peace, Conflict & Development. Issue 19, 2012, S. 83-85.
- The Role of Women in Making and Building Peace in Liberia. Gender Sensitivity versus Masculinity. Stuttgart: Ibidem-Verlag, 2012.
- 29.11.2014 - "Making a Case for a New State: The Barotseland Self-Determination Struggle from a Framing Perspective"; bei der 5.Graduiertenkonferenz "Borders of Orders. Grenzziehungen, Konflikte und soziale Ordnung" des Exzellenzclusters "Die Herausbildung normativer Ordnungen", Frankfurt/Main.
- 26.03.2014 - "Claiming one's territory by violent and non-violent means: The framing and strategic action of self-determination movements"; Vortrag bei der 55. Annual Convention "Spaces and Places: Geopolitics in an Era of Globalization" der International Studies Association, Toronto.
- 03.09.2013 - "Successful collective action or failed rebellion? The Casamance conflict from a Framing perspective", Vortrag im Rahmen des Workshops "Framing political violence: A micro-approach to civil war studies", Universität Tübingen, 2.-4.09.2013.
- 29.08.2013 - "A social movement approach to violent and non-violent self-determination conflicts in Africa"; Vortrag auf der 11th Conference of the European Sociological Association "Crisis, Critique and Change", Turin.
- 27.06.2013 - "To Rebel or to March for Freedom? Explaining the Use of Violent or Non-Violent Protest Strategies of Self-Determination Movements by Reference to Framing"; Vortrag im Rahmen der 5th European Conference on African Studies "African dynamics in a multipolar world".
- 19.04.2013 - "Failed State Somalia? Eine kritische Betrachtung von (gescheiterter) Staatlichkeit"; Vortrag im Rahmen des Seminars "Failed States: Bedrohte Ordnungen und zerfallende Staaten" der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg in Kooperation mit dem Leibniz-Kolleg, Bad Urach.
- 24.01.2013 - (mit Jan Sändig) "Bedrohte Unordnung? Staatenbildung in Somalia"; Vortrag im Rahmen der Vortragsreihe "Politik ist überall", Universität Tübingen.
- 07.12.2012 - (mit Jan Sändig) "Die Bedrohung politischer Ordnungen in afrikanischen Entwicklungsländern"; Vortrag auf dem Kolloquium des SFB 923, Universität Tübingen.
- 12.10.2012 - "Is Women’s Participation in Peace Processes the Key to Gender-Sensitive Post-Conflict Orders? Peace between Gender Sensitivity and Masculinity"; Zentrumstage "The Constitution of Peace: Current Debates and Future Perspectives", Center for Conflict Studies of the Philipps University in Marburg.
- 02.06.2012 - "Choosing violence: How framing can help to elucidate collective violence"; 25th Annual Conference of the German Peace Psychology Association "Perpetrators and Victims of Collective Violence", Konstanz.
- 04.04.2012 - "To Rebel or Not to Rebel? How Framing Can Help to Explain Civil War in Sub-Saharan Africa"; 17th International Conference "Alternative Futures and Popular Protest", Manchester Metropolitan University.
Tagungen, Workshops, Konferenzen
- 02.- 04.09.2013 - Workshop "Framing Political Violence: A Micro Approach to Civil War Studies", Tübingen. Den Bericht zum Workshop finden Sie hier.