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Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 1/2023: Leute

Vielseitiger Jurist mit großer Liebe zur Musik

Zum Tode von Professor Dr. Wolfgang Münzberg ein Nachruf von Eberhard Wagner

Am 12. Oktober 2022 verstarb Wolfgang Münzberg, bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1994 Ordinarius für Bürgerliches Recht und Zivilprozessrecht an der Universität Tübingen.

Die Alma Mater verliert mit ihm einen herausragenden Wissenschaftler, der durch zahlreiche Fachbeiträge und vor allem durch seine Bearbeitung des Zwangsvollstreckungsrechts im Stein-Jonas, dem bei Mohr-Siebeck herausgegebenen Großkommentar zur ZPO, Maßstäbe gesetzt hat, viel beachtet in Forschung und Lehre wie in der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Der am 21. November 1928 geborene, in Oberursel im Taunus aufgewachsene Sohn des Werbedienstleisters Rudolf Münzberg („Das Blaue Blatt“) finanzierte sein Jura-Studium unter anderem mit nächtlichem Klavierspiel in Clubs und Bars der amerikanischen Streitkräfte, die nach dem Krieg in der Mainmetropole stationiert waren: Begeisterte GIs spendierten ihm Whiskey oder Cognac, die er in dafür bereitgehaltene Flaschen abfüllte und lukrativ an den Mann zu bringen wusste.

Sein wissenschaftlicher Werdegang war vorgezeichnet durch eine Dissertation über das Versäumnisverfahren (1959) und seine Habilitation im Jahr 1965, beide an der Goethe-Universität Frankfurt, aufgrund einer rechtsdogmatischen Untersuchung über die Zurechnungsgründe fremdschädigender Handlungen mit dem prägnanten Titel „Verhalten und Erfolg als Grundlagen der Rechtswidrigkeit und Haftung“ (1966) und eines fulminanten öffentlichen Vortrags zu der bis heute strittigen Frage des Haftungsgrundes der Unterlassungsklage aus § 1004 BGB (vgl. JZ 1967, 689 ff.). Nach einer ersten ordentlichen Professur in Kiel, wo er fünf Jahre lehrte, folgte Münzberg zum Wintersemester 1969/70 einem Ruf an die Universität Tübingen, der er bis zu seiner Emeritierung 1994 treu blieb. Seine Arbeitsweise lässt sich – dem Gegenstand geschuldet – als überaus anspruchsvoll und aufs Iota genau beschreiben. Sein nüchternes Credo „Es gibt keinen Neuschnee!“ war mehr Ausdruck seiner persönlichen Bescheidenheit und Demut gegenüber den Leistungen früherer Generationen als erkenntnistheoretische Gewissheit.

Akademische Jubelgaben, wie sie zu runden Geburtstagen üblich geworden sind, verbat sich Münzberg für seine Person wiederholt und strikt, obwohl er selbst zahlreiche Festschriftbeiträge für Fachkollegen lieferte. Den Studierenden seiner Zeit bleibt der quirlige Professor in lebhafter Erinnerung, nicht nur durch seine anschaulichen, aus dem täglichen Leben gegriffenen Beispiels- und Übungsfälle, die er übrigens in Kurzschrift zu notieren pflegte (eine erste Version in Steno, eine zweite, „palandteske“ mit Maschine), sondern auch durch die Dynamik seines Vortrags, einschließlich einer artistischen Seitgrätsch-Sprungtechnik, die es ihm ermöglichte, die räumliche Distanz zwischen Auditorium und Tafel mühelos zu überwinden.

Die Stadt verliert mit Wolfgang Münzberg einen liebenswerten, vielseitigen, geistig wie körperlich äußerst regen und anregenden Mitbürger, gänzlich unprätentiös im Auftreten und zwanglos im persönlichen Umgang. 1970 zog er mit seiner Frau Gisela, einer Frankfurter Anwältin, in den Burgholzweg, wo er ungestört arbeiten, schwimmen und im Wald spazieren konnte. Nach dem viel zu frühen Tod seiner Frau im Jahr 2002 konzentrierte er sich auf eine letzte Neuauflage seiner Kommentierung. Wichtiger denn je wurde ihm das Klavier (sein Hauptinstrument, denn er konnte auch Klarinette und Gitarre spielen und was er sonst noch so in die Finger bekam), solo und ensemble, mit Freunden und fast immer mit seiner Tochter Franziska an der Geige oder Bratsche. Unvergessen bleibt seine Mitwirkung bei den „Swing Daddies“, einer Combo passionierter Jazzliebhaber, darunter die Juristen Gerd Dähn (Posaune) und Eugen Klunzinger (Schlagzeug) sowie der Psychologe Dirk Revenstorf (Saxophon).

Mediale Aufmerksamkeit erfuhr Wolfgang Münzberg im SWR-Fernsehen als wohl ältester Stepptänzer des Landes, der seine alten Tanzschuhe mit Metallplättchen beschlagen ließ, weil ihm Gymnastik allein zu langweilig war (vgl. Schwäbisches Tagblatt vom 22.5.2010, S. 25 – Fit wie ein Stepptanzschuh). Aktiv blieb er auch als Sänger im Kirchenchor der St. Jakobus-Gemeinde oder beim Tübinger Tag der Pflege, indem er sehr zur Freude der Seniorinnen und Senioren im Bürgerheim Schlager aus der Jugendzeit präsentierte. Nun ist er im Alter von 93 Jahren im Paul-Lechler-Krankenhaus gestorben. Wir verneigen uns und folgen seinem Motto: Beweglich bleiben!