Stellen im wissenschaftlichen Dienst sind nach dem Prinzip der Bestenauslese zu besetzen. Die Bewertung der wissenschaftlichen Exzellenz von Bewerberinnen und Bewerbern ist daher das zentrale Auswahlkriterium in einem Berufungsverfahren.
Die wissenschaftliche Qualifikation muss so objektiv und sachbezogen wie möglich bewertet werden. Da sie sich jedoch aus verschiedenen Elementen, wie der Publikationsleistung, der Lehrerfahrung oder der Drittmitteleinwerbung zusammensetzt, die einerseits schwer zu normieren und zudem unterschiedlich gewichtet werden können, ist die Bewertung anfällig für den sogenannte Gender Bias.
Als Gender Bias werden systematische Verzerrungseffekte bezeichnet, die ihre Ursache in gesellschaftlichen Geschlechterstereotypen, verinnerlichten Rollenbilder und geschechtsspezifischen Vorurteilen haben. Dadurch wird unbewusst die Wahrnehmung beeinflusst, was zu fehlerhaften Entscheidungen führen kann.
Studien belegen, dass Lebensläufe, Forschungsanträge und wissenschaftliche Publikationen unterschiedlich bewertet werden, abhängig davon, ob sie unter einem männlichen oder weiblichen Namen eingereicht wurden. Dabei bewerten sowohl Männer wie auch Frauen die Leistungen von Männern besser als die von Frauen. Hinzukommt, dass bei gemeinsamen Autorenschaften der Erfolg eher dem Autor als der Autorin zugeschieben wird und das gleiche Verhalten bei einem Mann positiv und bei einer Frau negativ bewertet wird.
Es gibt also in unserer Gesellschaft geschlechtsspezifische Differenzen bei der Beurteilung der wissenschaftlichen Leistung von Bewerberinnen und Bewerbern. Wir tendieren alle dazu, die Leistungen von Frauen kritischer zu beurteilen als die von Männern oder anders ausgedrückt: Was Männer tun, erscheint uns eher als brillant, selbst wenn es vergleichbar oder gar das Gleiche ist, wie das, was Frauen tun. Wer also an Auswahlverfahreng mitwirkt, muss daher fortwährend kritisch die eigene Einschätzung auf etwaige Vorurteile hin überprüfen.
Dabei spielt auch die Berücksichtigung von Nachteilen eine Rolle, die Bewerberinnen in Ihrer wissenschaftlichen Laufbahn durch Care-Arbeit entstanden sind. Familienzeiten sind angemessen bei der Beurteilung der Leistungen zu berücksichtigen. Dies gilt prinzipiell auch für männliche Bewerber. Es ist aber zu bedenken, dass Frauen in der Regel auch in den Familien, in denen Männer einen Teil der Sorgearbeit übernehmen, den deutlich größeren Anteil tragen. Diese Situation hat sich, wie Untersuchungen zeigen, während der Corona-Pandemie noch einmal verschärft.
In Fächern, in denen überwiegend Männer wissenschaftlich tätig sind, kommt zudem noch die sogenannte homosoziale Kooptation zum Tragen. Dies bedeutet, dass Mitglieder eines sozialen Netzwerkes dazu tendieren, neue Mitglieder nach dem Prinzip der „Selbstähnlichkeit“ zu rekrutieren, was bedeutet, dass gleichgeschlechtliche Förderbeziehungen überwiegen. So erhöht sich die Aussicht von Männern auf Unterstützung, während Frauen weniger Förderung erhalten. Dies gilt auch für die Aufnahme in informelle Netzwerke, die für eine wissenschaftliche Karriere von entscheidender Bedeutung sind und über die Bekanntheit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in der scientific community entscheiden.
Frauen sind somit, wenn sie sich auf eine Stelle bewerben, in einer grundsätzlich anderen Situation als Männer. Sie müssen ihre individuelle Leistung vor dem Hintergrund der genannten diskriminierenden Faktoren unter Beweis stellen. Für diejenigen, die in Auswahlverfahren Verantwortung übernehmen, ist es daher wichtig, diese diskriminierenden Faktoren zu kennen, um zu verhindern, dass dadurch Entscheidungen beeinflusst werden.