Uni-Tübingen

Familiärer Pflegefall, was tun?

Immer mehr Menschen stehen vor der Situation, dass sich im Angehörigenkreis eine Pflegebedürftigkeit ankündigt, oder diese ganz plötzlich eintritt. Hier sind einige Informationen zusammengestellt, die Ihnen einen raschen Überblick ermöglichen sollen.

Anlaufstellen

  • In den Kreisverwaltungen helfen sogenannte „Pflegestützpunkte“ weiter, wenn ein Pflegefall absehbar, oder bereits eingetreten ist.
     Pflegestützpunkt im Landkreis Tübingen
     
  • Zudem gibt es in größeren Kommunen die Stellen für Information-Anlauf-Vermittlung („IAV-Stellen“). Das sind Informations- und Beratungsstellen, die ältere Menschen und deren Angehörige mit Informationen und Ratschlägen unterstützen, wenn in der Familie durch Krankheit oder Pflege Fragen entstehen.
    In der Stadt Tübingen ist dies die 
    Beratungsstelle für ältere Menschen und deren Angehörige e.V.
     
  • An der Universität Tübingen finden Sie zudem Unterstützung im
    Familienbüro
     

Gesetzliche Regelungen:

Pflegeversicherung (SGB XI)

Die gesetzliche Pflegeversicherung ist eine der 5 Säulen der Sozialversicherung (Kranken-, Unfall-, Renten- und Arbeitslosenversicherung). Die Grundlagen der Pflegeversicherung sind im elften Buch des Sozialgesetzbuches (SGB XI) festgelegt. Die Pflegeversicherung ist eng mit der Krankenversicherung verbunden – wer gesetzlich krankenversichert ist, ist automatisch auch in der gesetzlichen Pflegeversicherung versichert. Wer privat krankenversichert ist, muss auch eine private Pflegeversicherung abschließen.

Träger der Pflegeversicherung sind die Pflegekassen. Die Pflegekassen sind bei den Krankenkassen angesiedelt, d. h. wer in einer gesetzlichen Krankenkasse pflichtversichert ist, ist automatisch Mitglied der angegliederten Pflegekasse.
Alle Pflegeleistungen müssen bei den Pflegekassen beantragt werden. Nach Antragseingang beauftragt die Pflegekasse den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) mit der Prüfung der Pflegebedürftigkeit.

Medizinischer Dienst der Krankenkassen

Für die Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach §18 SGB XI ist der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) zuständig. GutachterInnen des MDK führen Begutachtungen der Pflegebedürftigkeit durch. Ziel der Begutachtung ist die zeitnahe Erstellung eines für die Auftraggeber verständlichen und nachvollziehbaren Gutachtens, aus dem hervorgeht, ob Pflegebedürftigkeit vorliegt, falls ja, in welcher Pflegestufe, und ob die Alltagskompetenz erheblich eingeschränkt ist.

Gesetz über die Pflegezeit (Pflegezeitgesetz - PflegeZG)

Ziel des Gesetzes ist, Beschäftigten die Möglichkeit zu eröffnen, pflegebedürftige nahe Angehörige in häuslicher Umgebung zu pflegen und damit die Vereinbarkeit von Beruf und familiärer Pflege zu verbessern.

Wer ist ‚naher Angehöriger‘ im Sinne des PflegeZG?
Zu den nahen Angehörigen gehören:

  1. Großeltern, Eltern, Schwiegereltern,
  2. Ehegatten, Lebenspartner, Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft, Geschwister,
  3. Kinder, Adoptiv- oder Pflegekinder, die Kinder oder Adoptiv- oder Pflegekinder des Ehegatten oder Lebenspartners, Schwiegerkinder und Enkelkinder

Wer ist pflegebedürftig im Sinne des PflegeZG?
Pflegebedürftig sind Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem oder höheren Maße der Hilfe bedürfen. Die Voraussetzungen der Pflegeversicherung müssen erfüllt sein, d. h. es muss mindestens Pflegestufe I vorliegen.

Freistellung für Pflege im PflegeZG
Das Pflegezeitgesetz sieht zwei Formen der unbezahlten Freistellung für Beschäftigte vor, nämlich die kurzzeitige Arbeitsverhinderung von bis zu zehn Tagen und die Pflegezeit mit einer Höchstdauer von 6 Monaten.

Kurzzeitige Arbeitsverhinderung
„(1) Beschäftigte haben das Recht, bis zu zehn Arbeitstage der Arbeit fernzubleiben, wenn dies erforderlich ist, um für einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen in einer akut aufgetretenen Pflegesituation eine bedarfsgerechte Pflege zu organisieren oder eine pflegerische Versorgung in dieser Zeit sicherzustellen.

(2) Beschäftigte sind verpflichtet, dem Arbeitgeber ihre Verhinderung an der Arbeitsleistung und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen. Dem Arbeitgeber ist auf Verlangen eine ärztliche Bescheinigung über die Pflegebedürftigkeit des nahen Angehörigen und die Erforderlichkeit der in Absatz 1 genannten Maßnahmen vorzulegen.“
(PflegeZG, §2 Kurzzeitige Arbeitsverhinderung)

Längerfristige Pflege
Die Pflegezeit für einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen ist auf längstens sechs Monate begrenzt.

Für die häusliche Pflege ist der nahe Angehörige von der Arbeitsleistung vollständig oder teilweise von der Arbeitsleistung freizustellen. Hierzu muss der Arbeitgeberin spätestens zehn Arbeitstage vor Beginn schriftlich angekündigt werden, für welchen Zeitraum und in welchem Umfang die Freistellung in Anspruch genommen werden soll.

Kündigungsschutz
Arbeitnehmer, die eine kurzzeitige Arbeitsverhinderung geltend machen oder Pflegezeit in Anspruch nehmen, genießen darüberhinaus Sonderkündigungsschutz: Der Arbeitgeber darf das Beschäftigungsverhältnis von der Ankündigung bis zur Beendigung der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung oder der Pflegezeit nicht kündigen. 

Chancengleichheitsgesetz

Im Gesetz zur Verwirklichung der Chancengleichheit von Frauen und Männern im Öffentlichen Dienst des Landes Baden-Württemberg (Chancengleichheitsgesetz) ist Folgendes geregelt:

„Die Dienststellen können auf Antrag über die gleitende Arbeitszeit hinaus eine familien- oder pflegegerechte Gestaltung der täglichen und wöchentlichen Arbeitszeit einräumen, wenn dies nachweislich zur Betreuung [...] einer nach § 14 Absatz 1 SGB XI pflegebedürftigen nahen angehörigen Person nach § 7 Absatz 3 PflegeZG erforderlich ist und dienstliche Belange nicht entgegenstehen. Ist beabsichtigt, dem Antrag einer oder eines Beschäftigten nicht zu entsprechen, ist die Beauftragte für Chancengleichheit zu beteiligen. Die Ablehnung des Antrags ist von der Dienststelle schriftlich zu begründen.“
(ChancenG, §29 Familien- und pflegegerechte Arbeitszeit)

Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG)

Ein Anspruch auf Teilzeitarbeit besteht auch nach dem am 1. Januar 2001 in Kraft getretenen Teilzeit- und Befristungsgesetz. Nach §8 TzBfG haben Beschäftigte, deren Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden hat, Anspruch darauf, dass ihre regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit verringert wird. Dieser Anspruch ist aber nicht an die Versorgung eines Kindes oder pflegebedürftigen Angehörigen geknüpft, sondern für alle Beschäftigten offen.

Tarifliche Bestimmungen für Freistellung zur Pflege von Angehörigen

Im Tarifvertrag der Länder TV-L gibt es bezüglich der Dauer einer längerfristigen Freistellung für die Pflege eines Angehörigen Bestimmungen nach §11 Teilzeitbeschäftigung und §28 Sonderurlaub:

Teilzeitbeschäftigung
„Mit Beschäftigten soll auf Antrag eine geringere als die vertraglich festgelegte Arbeitszeit vereinbart werden, wenn sie [...] einen nach ärztlichem Gutachten pflegebedürftigen sonstigen Angehörigen tatsächlich betreuen oder pflegen und dringende dienstliche beziehungsweise betriebliche Belange nicht entgegenstehen. Die Teilzeitbeschäftigung [...] ist auf Antrag auf bis zu fünf Jahre zu befristen. Sie kann verlängert werden; der Antrag ist spätestens sechs Monate vor Ablauf der vereinbarten Teilzeitbeschäftigung zu stellen. Bei der Gestaltung der Arbeitszeit hat der Arbeitgeber im Rahmen der dienstlichen beziehungsweise betrieblichen Möglichkeiten der besonderen persönlichen Situation der/des Beschäftigten [...] Rechnung zu tragen.“
(TV-L,  §11 Teilzeitbeschäftigung)

Sonderurlaub
„Beschäftigte können bei Vorliegen eines wichtigen Grundes unter Verzicht auf die Fortzahlung des Entgelts Sonderurlaub erhalten.“
(TV-L, §28 Sonderurlaub)

Sonderurlaub ohne Fortzahlung der Bezüge soll Angestellten unter bestimmten Voraussetzungen gewährt werden (es ist eine Kann-Vorschrift). Zu diesen Voraussetzungen zählt die tatsächliche Betreuung oder die Pflege eines Kindes unter 18 Jahren oder eines pflegebedürftigen sonstigen Angehörigen, soweit die Pflegebedürftigkeit durch ein ärztliches Gutachten nachgewiesen worden ist. Weiterhin dürfen dienstliche bzw. betriebliche Belange nicht durch die Beurlaubung tangiert werden. Die Erteilung eines Sonderurlaubs dieser Art ist auf fünf Jahre zu befristen. Der/die Angestellte hat aber die Möglichkeit, die Beurlaubung zu verlängern. Der entsprechende Antrag muss spätestens sechs Monate vor Beendigung des Sonderurlaubs gestellt werden.

Während des Sonderurlaubs besteht das Arbeitsverhältnis grundsätzlich fort. Die beiderseitigen Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis ruhen weitgehend, insbesondere die Pflicht der Angestellten auf Arbeitsleistung und die Pflicht des Arbeitgebers zur Zahlung der Vergütung. So besteht für die Dauer des Sonderurlaubs auch kein Anspruch auf Lohnfortzahlung. Die arbeitgeberseitigen Beiträge zur Renten und Krankenversicherung werden nicht weiter bezahlt. Gleiches gilt für die Umlagen an die Zusatzversorgungskasse. Zeiten des Sonderurlaubs aus familiären Gründen gelten nicht als Beschäftigungszeiten, sie gelten damit auch nicht als Dienstzeiten.

Stand: 04/21