Botanische Gärten können durch Erhaltungskulturen dazu beitragen, bedrohte Pflanzenarten vor dem Aussterben zu bewahren – sei es auf lokaler, regionaler oder globaler Ebene. Dazu werden Pflanzen ex situ, also in einer wissenschaftlichen Pflanzensammlung außerhalb des Naturstandortes, herangezogen und vermehrt. Dadurch kann das Überleben gefährdeter Wildpopulationen in gärtnerischer Kultur kurz- bis mittelfristig sichergestellt werden. Langfristig muss dies jedoch mit einem angemessenen Schutz in situ einhergehen, also an den Wildstandorten der Art. Ist dies gewährleistet, können Erhaltungskulturen dokumentierter Wildherkünfte einen effektiven Beitrag dazu leisten, die bedrohten Wildpopulationen an ihrem ursprünglichen Standort zu stützen oder gegebenenfalls wiederanzusiedeln.
Der Botanische Garten Tübingen widmet sich insbesondere der Erhaltung gefährdeter einheimischer Wildpflanzen. Regionale Schwerpunkte liegen dabei auf der unmittelbaren Tübinger Umgebung und der Schwäbischen Alb. In Zusammenarbeit mit Akteuren des örtlichen Naturschutzes werden Arten identifiziert, bei denen Kultur und Vermehrung im Botanischen Garten sinnvoll zur Sicherung der Wildpopulationen beitragen können.
Eine Erfolgsgeschichte vergangener Jahre stellt die Vermehrung des Knotigen Mastkrautes (Sagina nodosa) dar, für dessen einziges Vorkommen in Baden-Württemberg es sprichwörtlich „fünf vor zwölf“ war. Von den 1997 nur noch 12 verbliebenen Pflanzen in einem Niedermoor bei Ulm wurden Samen und Brutknöllchen im Tübinger Garten vermehrt und konnten schon im darauffolgenden Jahr erstmals wieder am Wildstandort ausgebracht werden. Auf speziell vom Oberboden befreiten Flächen wurden dort insgesamt 240 Pflanzen wieder ausgepflanzt, die sich in den darauffolgenden Jahren kräftig vermehrten.
Zu den äußerst seltenen Arten der unmittelbaren Tübinger Umgebung gehören die Ungarische Platterbse (Lathyrus pannonicus spp. collinus) und die Zottige Fahnenwicke (Oxytropis pilosa), die jeweils nur zwei Vorkommen in Baden-Württemberg besitzen. Ihre Populationen in den wärmeliebenden Waldsäumen sowie den Trocken- und Halbtrockenrasen der Südhänge des Tübinger Spitzbergs bilden winzige Vorposten des jeweiligen Hauptareals in den pontisch-pannonischen Steppen Osteuropas.