Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 5/2012: Alumni Tübingen
Interview mit dem Alumnus Dr. Theo Sommer
Zeit-Redakteur Theo Sommer über seine Zeit in Tübingen und die Bedeutung und die Zukunft des Journalismus.
Als Redakteur der „Zeit“ war Theo Sommer immer mittendrin in der Weltgeschichte: Er war mit der Bundeswehr in Afghanistan und beim G-20-Gipfel in Seoul, traf bereits 1986 Muammar al-Gadhafi, berichtete über Guantánamo, den Wahlsieg Obamas 2008 und die Euro-Krise. Der gebürtige Konstanzer studierte in Tübingen und in den USA Geschichte und politische Wissenschaften. Anschließend promovierte Sommer an der Universität Tübingen bei Professor Dr. Hans Rothfels zum Thema „Deutschland und Japan zwischen den Mächten, 1935 bis 1940“. Seit 1949 ist Theo Sommer als Journalist tätig, 1958 fing er als politischer Redakteur bei der „Zeit“ an. Von 1973 bis 1992 war er Chefredakteur der „Zeit“, von 1992 bis 2000 neben Gräfin Dönhoff und Helmut Schmidt deren Herausgeber, seit dem Jahr 2000 ist er Editor-at-Large.
Im Interview mit Simona Steeger-Przytulla für „Uni Tübingen aktuell“ spricht er über seine Studien- und Promotionszeit in Tübingen, über die Bedeutung des Journalismus für die Gesellschaft und sagt, was er Studierenden rät, die in den Journalismus gehen wollen:
Warum haben Sie sich damals für ein Studium und eine anschließende Promotion an der Universität Tübingen entschieden?
Ich bin damals Professor Hans Rothfels nach Tübingen gefolgt, als er aus dem amerikanischen Exil nach Deutschland zurückkehrte. Ich hatte bei ihm an der University of Chicago Geschichte gehört, und er hatte mir zugesagt, mich eine Doktorarbeit über die deutsch-japanischen Beziehungen vor dem Zweiten Weltkrieg schreiben zu lassen. Da mein Elternhaus in Schwäbisch Gmünd stand, lag Tübingen ohnehin nahe.
Welche Erinnerungen verbinden Sie mit Ihrer Studienzeit?
Ich entsinne mich der vollen Hörsäle, wo wir noch mit Spätheimkehrern auf den Treppen saßen, aber auch der Seminare, bei denen wir in kleiner Runde, ein oder zwei Dutzend Leute höchstens, über den deutschen Widerstand (bei Hans Rothfels), Aristoteles (bei Theodor von Eschenburg) oder die Geschichte der kommunistischen Partei in der Sowjetunion (Markert) disputierten. Ich erinnere mich auch an Knackwürste für 50 Pfennig bei Tante Emma und Abendbrot-Schnittchen bei Frau Rothfels; an Mooscht und Spätzle und Rehbraten an guten Tagen bei Ausflügen nach Bebenhausen; an Roth-Händle-Zigaretten auch, die Dreierpackung zu etwa 20 Pfennig. Und ich kriege noch heute Schwitzehändchen, wenn ich an das Rigorosum in der alten Aula denke.
Was reizt Sie an Ihrem Beruf besonders und wie hat Ihre Zeit in Tübingen Sie darauf vorbereitet?
Ich habe in Tübingen Geschichte und Politische Wissenschaften studiert. Für einen politischen Journalisten ist dies allemal die beste Vorbereitung. Über Theodor Eschenburg, der damals anfing, für die ZEIT Kommentare zu schreiben, habe ich auch Kontakt zu Gräfin Dönhoff gefunden; auf seine Empfehlung hin holte sie mich nach Hamburg.
Welche Bedeutung hat Journalismus Ihrer Ansicht nach für die Gesellschaft?
Demokratie ist nach einer klassischen Definition „government by discussion“, und zwar der Diskussion nicht nur in rauchgeschwängerten Hinterzimmern der Parteifunktionäre, auch nicht nur der Diskussion in den Parlamenten, sondern der Diskussion der politischen Dinge in der breitesten Öffentlichkeit. Die Journalisten, wenn sie ihren Beruf ernst nehmen, beleben, strukturieren, vertiefen diese Diskussion. Ihre erste Aufgabe ist es, zu sagen, was ist; die zweite, zu erklären, was es bedeutet. Sie sichten und sortieren den Wust der Information, wägen und gewichten. Darüber hinaus aber wird der engagierte Journalist auch Richtung weisen wollen, Einfluss nehmen also auf das politische Geschehen, bald warnend, bald ermutigend.
Wie sieht Journalismus in Zukunft aus, auch vor dem Hintergrund der aktuellen Krise?
Ob Print-Journalismus oder Online-Journalismus – am Grundsätzlichen der publizistischen Tätigkeit wird sich nichts ändern.
Was raten Sie Studierenden, die in den Journalismus gehen wollen? Gibt es Ihrer Ansicht nach ein bestimmtes Studienfach, das darauf vorbereitet?
Ich gebe seit fünfzig Jahren allen den Ratschlag, etwas Vernünftiges zu studieren, sei es Geschichte, Astrophysik oder Volkswirtschaft, und sich den Wissenschaften des Nichtwissenswerten fernzuhalten. Kommunikationswissenschaften mögen für die Werbung taugen, nicht aber für den Journalismus, und Soziologie verdirbt die Schreibe. Im Übrigen hat ein Volontariat bei einer Lokalzeitung noch keinem geschadet.