Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 1/2013: Forschung

Simulation des Gehirns

Drei Tübinger Wissenschaftler arbeiten am „Human Brain Project“ mit, das von der Europäi-schen Union gefördert wird

Es soll ein Flaggschiff europäischer Spitzenforschung werden: Drei Tübinger Wissenschaftler sind an dem neuen Großforschungsprojekt „Human Brain Project“ (HBP) beteiligt, das die Europäische Union (EU) im Rahmen ihres Programms „European Future and Emerging Technologies (FET) Flagship“ mit einer Milliarde Euro fördert. Das Projekt ist auf zehn Jahre angelegt.


Unter Koordination der Technischen Hochschule Lausanne tragen rund 250 Wissenschaftler aus 23 Ländern neurowissenschaftliche und biologische Daten zusammen. Ziel ist es, das gesamte bestehende Wissen über das menschliche Gehirn zusammenzufassen und dieses mit supercomputerbasierten Modellen zu simulieren. Dies könnte zu einem vertieften Verständnis der Funktionsweise des menschlichen Gehirns und seiner Erkrankungen führen sowie zu neuen Computer- und Robotertechnologien.


Aus Tübingen sind Professor Dr. Jan Born, Professor Dr. Martin Giese und Professor Dr. Andreas Nieder an dem Projekt beteiligt – alle drei Wissenschaftler arbeiten sowohl an der Universität Tübingen als auch am Exzellenzcluster Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften (CIN) an der Universität, Professor Giese forscht zudem am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung (HIH).


Die Arbeitsgruppe von Jan Born (Lehrstuhl für Medizinische Psychologie; CIN) erforscht, wie Gedächtnis im Schlaf gebildet wird. Die Forscher wissen, dass dafür im Tiefschlaf auf neuronaler Ebene „Gedächtnisrepräsentationen“ reaktiviert werden, die während der Wachphase in einen temporären Speicher – den Hippocampus – aufgenommen werden. Dies führt dazu, dass diese „Gedächtnisrepräsentationen“ im Gehirn zumindest teilweise transferiert werden: in extrahippocampale neuronale Netzwerke, hauptsächlich in den Neokortex, der als Langzeitspeicher fungiert. Dort werden die neu aufgenommenen Inhalte in bereits bestehende Langzeitgedächtnis-Inhalte integriert, ohne dass es zu einem Überschreiben der bestehenden Inhalte kommt. Diese sogenannte „aktive Systemkonsolidierung von Gedächtnis“, die im Schlaf stattfindet, soll mathematisch modelliert werden.


Das Projekt der Sektion für Theoretische Sensomotorik von Martin Giese (HIH, Abteilung für kognitive Neurologie; CIN) entwickelt und testet neuronale Netzwerkmodelle zur Erkennung, Planung und Interpretation komplexer Bewegungen. Im Gehirn gibt es eine enge Interaktion zwischen Bewegungswahrnehmung und Bewegungssteuerung. Wie genau die Wahrnehmung und die Planung von Bewegungen neuronal repräsentiert sind und wie sie interagieren, untersuchen die Wissenschaftler durch Simulationen mit theoretischen Modellen. Ähnliche Fragestellungen sind für die Steuerung humanoider, also menschenähnlicher Roboter wichtig.


Die Arbeitsgruppe um Andreas Nieder (Institut für Neurobiologie; CIN) will die Mechanismen kognitiver Fähigkeiten identifizieren, die im allgemeinen nur dem menschlichen Gehirn zugeschrieben werden – zum Beispiel die Manipulation von Symbolen und syntaktischen Strukturen –, und die dafür verantwortlichen neuronalen Schaltkreise identifizieren. Die Studie vergleicht die Fähigkeiten von Menschen und anderen Primaten beim Erlernen von Zeichen und Symbolen. Im Fokus steht das Erlernen von Zeichen für Mengen, zum Beispiel arabischer Zahlen. Die Ergebnisse sollen zu einem besseren Verständnis beitragen, ob und wie Zeichen und Symbole es dem Gehirn ermöglichen, die ihnen zugeschriebene Bedeutung im Arbeitsgedächtnis zu verarbeiten.

Weitere Informationen zum „Human Brain Project“:
http://www.humanbrainproject.eu/index.html

Jörg Schäfer