Wo sehen Sie als Leiter der Forschungsstelle „Ethik der Genom-Editierung“ Grenzen für die Genforschung?
Die Frage nach einer gemeinsamen Wertgrundlage für medizinethische Fragen ist nicht so leicht zu beantworten. In unserer Denkkultur kreisen die Überlegungen um die Selbstbestimmung sowie das Wohl von Individuen – also letztendlich um die Frage, wie auf gerechte Weise ein Interessenausgleich gefunden werden kann. Das internationale Wettrennen um die Anwendung der Genom-Editierung zeigt allerdings auch, dass weltweit andere Perspektiven und Rationalitäten eine immer größere Anhängerschaft finden. Es ist eine der wesentlichen Herausforderungen der Postmoderne, eine gewisse Toleranz und Offenheit im Sinne der Freiheit der Forschung zu wahren und trotzdem mit guten Gründen für die eigenen Werte einzustehen.
Für das gemeinsam mit Julia Diekämper konzipierte Projekt „ZukunftMensch“ sind Sie mit dem neu geschaffenen Nachwuchspreis für Wissenschaftskommunikation der Universität Tübingen ausgezeichnet worden. Erzählen Sie von diesem Projekt.
Das bekannteste Beispiel für die Genom-Editierung sind Keimbahneingriffe beim Menschen. Dabei werden Embryonen verändert, um beispielsweise vererbbare Krankheiten zu verhindern. Prinzipiell lassen sich damit aber auch ganz bestimmte genetische Merkmale fördern, d.h. Keimbahneingriffe erlauben auch die Manipulation von Genen ohne Krankheitsbezug.
Bei einer solchen Technologie, die das Potenzial besitzt, den Lauf der menschlichen Evolution zu beeinflussen, sollte es breite Beteiligungsprozesse geben - alle Kreise der Gesellschaft sollten hier mitreden. In der Praxis fehlt es jedoch häufig an Ideen und Formaten, wie die Öffentlichkeit erreicht werden kann. Hier haben wir angesetzt: Das Projekt ZukunftMensch war eine Einladung zur Diskussion über die Möglichkeiten und Grenzen der technischen Selbstgestaltung. Wir haben Orte aufgesucht, wo man das Thema vielleicht nicht gerade erwartet: Durch Gespräche in Kinos, Installationen im Naturkundemuseum Berlin, Postkarten in Kneipen und einigen weiteren Aktionen wollten wir den Austausch über Fragen der Gentechnik fördern. Wir haben „Guerilla-Marketing“ für die Medizinethik betrieben und wollten mit ungewöhnlichen Aktionen eine große Zahl an Menschen erreichen. Unser Ziel: nicht nur informieren, sondern zur Meinungsbildung anregen.
Wie muss generell eine moderne Wissenschaftskommunikation aus Ihrer Sicht gestaltet werden?
Wir sollten uns abgewöhnen, die öffentliche Abendveranstaltung als Goldstandard der Wissenschaftskommunikation zu erachten. Zugleich müssen aber auch nicht alle Forscher*innen ihre Zeit nun auf TikTok oder Instagram verbringen. Es bedarf meist gar nicht moderner Formen oder neuer Formate. Vielmehr scheint es mir häufig an der Bereitschaft zu mangeln, sich überhaupt ernsthaft auf einen Dialog mit der Gesellschaft einzulassen.
In meiner Rolle als Forscher kenne ich die Zurückhaltung nur zu gut: Wissenschaftskommunikation ist nicht Teil meiner Tätigkeitsbeschreibung und in meinem Studium war davon nie die Rede. Wie soll ich die Finessen einer Argumentation in 280 Zeichen auf Twitter erzählen? Und nehmen mich meine Kolleginnen und Kollegen danach überhaupt noch ernst? Es fehlt nicht nur an Interesse und Zeit, sondern auch an Wissen um erfolgreiche Methoden und dem Mut, hier etwas auszuprobieren.
Das dahinterliegende Problem ist freilich ein anderes: Es gibt schlichtweg zu wenige Honorierungsmechanismen für Forschende, ihre Arbeit für eine breite Öffentlichkeit sichtbar zu machen. Impact-Faktoren sind unsere Währung, für den kommunikativen Impact von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern interessiert sich keiner.
Umso mehr freue ich mich, dass die Universität Tübingen erstmals einen Preis für Wissenschaftskommunikation ausgelobt hat. Aber hier gibt es noch einiges zu tun: Gerade viele Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler würden sich über mehr Anerkennung und Unterstützung in ihren Kommunikationsbemühungen glücklich schätzen
Sie arbeiten beratend bei den beta stories mit, einem neuen Format für Wissenschaftskommunikation. Was ist das Besondere an den beta stories?
Der Bayrische Rundfunk hat dieses neue Format Ende letzten Jahres gestartet. Beta stories sind kurze Dokumentationen zu Zukunftsthemen, mit einem starken Bezug zu Wissenschaft und Technik. Die Sendungen widmen sich etwa der Genom-Editierung, der Diskriminierung durch Algorithmen oder dem Fleisch aus dem Labor – immer mit einem Blick auf ethische Fragen. Gerade wurde die zweite Staffel ausgerollt. Die Kurz-Dokus sind auf YouTube und in der ARD-Mediathek zu finden. Teil dieses Experiments ist ein Gremium von - mit mir - acht Expertinnen und Experten aus ganz unterschiedlichen Disziplinen, die die Entstehung dieser Formate begleiten.
Ich halte beta stories für einen wunderbaren Versuch, in Zeiten von Fake News, alternativen Fakten und Co. auch ein jüngeres Publikum für gut recherchierte Themen der Wissenschaft zu begeistern.
Das Interview führte Maximilian von Platen