Uni-Tübingen

Newsletter Uni Tübingen aktuell Nr. 4/2021: Forschung

Eine Brücke zwischen medizinischer Forschung, Rhetorik und Design

Lehrprojekt zu visueller Wissenschaftskommunikation in der Medizin

Durch ihre große Anschaulichkeit sind visuelle Elemente wie Infografiken, Diagramme oder Visual Abstracts besonders geeignet, Interesse für wissenschaftliche Themen und Forschungsergebnisse zu wecken und den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu fördern. Genau hier setzt ein neues interdisziplinäres Lehrprojekt in Tübingen an: Als Kooperation zwischen dem Bereich „Knowledge Design“ der Forschungsstelle Präsentationskompetenz am Seminar für Allgemeine Rhetorik und der Universitätsklinik für Allgemeine, Viszeral- und Transplantationschirurgie in Tübingen bringt das neue Kompetenzbildungsformat „Visuelle Wissenschaftskommunikation in der Medizin“ Studierende der Rhetorik, Medizin und Biologie zusammen. In fachübergreifenden Teams entwickeln die Teilnehmenden zielgruppenorientierte Visualisierungskompetenzen – und machen medizinische Forschungseinsichten für breitere Adressatenkreise zugänglich. 

Um den nachhaltigen Austausch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu fördern braucht es auch neue Lehrformate, in denen Studierende frühzeitig lernen und ausprobieren können, wie sich fachlich fundierte Einsichten mit kommunikativ gelungener Gestaltung verbinden lassen. Vor diesem Hintergrund schlägt das Lehrprojekt „Visuelle Wissenschaftskommunikation in der Medizin“ bewusst Brücken zwischen medizinischer Forschung, Rhetorik und Design: Die Studierenden erarbeiten im fachübergreifenden Austausch Visualisierungen zu konkreten medizinischen Themen, die semesterweise wechseln. Als Anleitung erhalten sie dabei Unterstützung in Form von Impulsworkshops und Mentoring-Angeboten. Neben Grundlagen zur Wissenschaftskommunikation und Strategien für effektives Design wird auch an der inhaltlichen Konzeption gefeilt und die Entwicklung der Visualisierungen praxisorientiert angeleitet: „Ich fand es enorm bereichernd zu sehen, welche vielfältigen Aspekte hinter guten Grafiken stecken und was man aus der Zusammenarbeit mit Teampartnerinnen und -partnern lernen kann, die einen ganz anderen fachlichen Hintergrund haben als man selbst“, beschreibt Luisa Hernández Götz, Masterstudentin in molekularer Zellbiologie und Immunologie, ihre Erfahrungen im Seminar. 

Durch die interdisziplinäre Kooperation kommen dabei nicht nur verschiedene fachliche Kompetenzen zusammen, sondern auch unterschiedliche Hintergründe und Perspektiven – so wird die Darstellung der Forschungszusammenhänge schon während der Kursgespräche immer wieder auf ihre allgemeine Verständlichkeit geprüft. Im Zuge des Seminars sind auf diese Weise Grafiken für chirurgische Patientinnen und Patienten, aber auch für eine breite Öffentlichkeit entstanden. „Was ich mitnehme ist auf jeden Fall, wie facettenreich Wissenschaftskommunikation ist und wie intensiv wir in die kommunikativen Aspekte eingestiegen sind. Es wurden Fähigkeiten vermittelt, die mein bisheriges Studium extrem bereichern“, resümiert die Medizinstudentin Linda Brake. Iaroslav Sautkin, der bereits Arzt ist und das Seminar im Rahmen seines Promotionsstudiums in experimenteller Medizin besucht hat, ergänzt: „Der Kurs hat mein Interesse am Bereich der medizinischen Wissenschaftskommunikation bestärkt. Ich fand es spannend, den Prozess der schrittweisen Überarbeitung unserer Grafiken in den verschiedenen Workshop-Sitzungen zu durchlaufen.“

Pilotkurs zu Forschungsergebnissen der COVIDSurg Collaborative

Der im Sommersemester 2021 gestartete Pilotkurs befasste sich thematisch mit Fragen zur Behandlung chirurgischer Patienten während der aktuellen Pandemie, darunter etwa: Steigt das Komplikationsrisiko nach Operationen durch eine COVID19-Erkrankung? Sind bestimmte Patientengruppen besonders gefährdet? Gibt es Maßnahmen, um die Risiken zu vermindern?

Die Ergebnisse der internationalen COVIDSurg Collaborative, an der auch Tübinger Forscherinnen und Forscher beteiligt sind, geben darauf wichtige Antworten: In einer großangelegten globalen Studie, für die Daten von über 140.000 Patientinnen und Patienten zur Verfügung standen, konnte beispielsweise nachgewiesen werden, dass die Sterblichkeitsrate im Zusammenhang mit Operationen nach einer Coronavirus-Infektion bis zu sechs Wochen lang signifikant erhöht bleibt. Patientinnen und Patienten mit positivem Coronavirus-Testbefund haben währenddessen ein mehr als doppelt so hohes Risiko, in Folge einer Operation zu versterben als ohne die Infektion. Oder andersherum gesagt: Im Rahmen von planbaren Operationen ist es meist ratsam, mindestens sieben Wochen nach einer Corona-Infektion abzuwarten. Die Medizinstudentin Franziska Orth hat beispielsweise während des Seminars eine Illustration der konkreten Entwicklung der Sterberaten erstellt:

Hintergründe zu einigen der über 15.000 Forschenden, die im COVIDSurg Netzwerks organisiert sind und damit hinter den Ergebnisse stehen, die in dieser und weiteren Grafiken veranschaulicht wurden, hat Rhetorikstudentin Sarah Polzer zudem in einer bebilderten Interviewserie beleuchtet: Die Interviews stellen exemplarisch sechs Forschende aus diesem großen internationalen Netzwerk vor, die den Teilnehmenden auch während des Pilotkurses als Experten zur Verfügung standen und sogar einen online-Seminartermin mitgestalteten.

„Wir haben gesehen, wie wichtig Wissenschaftskommunikation ist – und was alles dazu gehört, um Botschaften an breite Adressatenkreise zu vermitteln. Das Seminar war eine riesige Chance für uns – und ich bin gespannt darauf, zu sehen, was sich aus diesem Format und Ansatz in den nachfolgenden Semestern entwickelt,“ fasst Rhetorikstudentin Annika Henner ihre Erfahrungen zusammen.

Michael Pelzer und Markus Löffler

Lehrprojekt „Visuelle Wissenschaftskommunikation in der Medizin“

Mehr Informationen zum Projekt und eine Auswahl an weiteren Seminarergebnissen (auf Deutsch und Englisch) finden sich auf den Seiten des Projektbereichs "Knowledge Design“, der Teil des übergreifenden Kommunikationskonzeptes „Sharing Knowledge“ der Universität Tübingen ist und im Rahmen der Exzellenzstrategie von Bund und Ländern gefördert wird. Im laufenden Wintersemester geht das Projekt mit dem neuen Schwerpunktthema „Impfstoffentwicklung in Tübingen“ bereits in die zweite Runde.

Links:

Kontakt:

Dr. med. Markus Löffler, Universitätsklinik für Allgemeine Chirurgie/ Interfakultäres Institut für Zellbiologie, Abteilung Immunologie, Markus.Loefflerspam prevention@med.uni-tuebingen.de

Michael Pelzer, Seminar für Allgemeine Rhetorik, Forschungsstelle Präsentationskompetenz, Bereich Knowledge Design, Michael.Pelzerspam prevention@uni-tuebingen.de